Joachim Mohr   Mathematik Musik Delphi
Literatur zu den Musiklektionen

Bettina Gratzki: Die reine Intonation im Chorgesang

Verlag für systematische Musikwissenschaft GmbH Bonn 1993
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Exzerpt

S. 7 Einleitung

Nur auf Grundlage einer akustisch fundierten Musiktheorie ... ist reine Intonation lehrbar und lernbar.

Bettina Gratzki verwendet ausschließlich das Tonnetz. Die diatonische Durtonleiter wird bei ihr geschrieben als
c d  e f g  a  h c
     -      -  -
Im folgenden schreibe ich dafür
c d ,e f g ,a ,h c


Damit wird angedeutet, dass in C-Dur bei der reine Quintenfolge c-g-d-a-e-h die Töne ,e und ,a sowie ,h ein syntonische Komma tiefer liegen - vor ihnen steht ein Tiefkomma. Töne, die ein Komma höher liegen werden mit einem Hochkomma davor notiert.

Der Akkord der zweiten Stufe klingt unrein und wird erst rein, wenn er folgendermaßen intoniert wird
,d f ,a (d wird ein Komma tiefer intoniert) oder
d 'f a (f und a werden ein Komma höher intoniert)

Man beachte dabei, dass bei einer Modulation von zum Beispiel C-Dur nach F-Dur sich ein Ton um einen chromatischen Halbton (,h in b) und ein Ton um ein syntonisches Komma (d in ,d) verändert.
...
Es-Dur es f ,g as b ,c ,d es ,c-moll ,c ,d es ,f ,g as b ,c
B-Dur b c ,d es f ,g ,a b ,g-moll ,g ,a b ,c ,d es f ,g
F-Dur f g ,a b c ,d ,e f ,d-moll ,d ,e f ,g ,a b c d
C-Dur c d ,e f g ,a ,h c ,a-moll ,a ,h c ,d ,e f g a
G-Dur g a ,h c d ,e ,fis g ,e-moll ,e ,fis g ,a ,h c d e
D-Dur d e ,fis g a ,h ,cis d ,h-moll ,h ,cis d ,e ,fis g a ,h
A-Dur a h ,cis d e ,fis ,gis a ,fis-moll ,fis ,gis a ,h ,cis d e ,fis
...
Alternativ zum Beispiel c-moll c d 'es f g 'as 'b c


S.11 Die drei Stimmungsprinzipien

Die reine Stimmung

siehe hier.

Bettina Gratzki nimmt zu den reinen Intervallen anders als im Quint-Terz-Sytem noch die reine Septime hinzu.

Die pythagoreische Stimmung

Die sieben Halbtöne der Durtonleiter ergeben sich aus der reinen Quintenfolge
f c g d a e h.

In der Einstimmigkeit hat die pythagoreische Stimmung eine gewisse Berechtigung. Im Chorgesang spielt sie keine Rolle.

Die Temperierte Stimmung

siehe gleichstufige Stimmung

S. 24 Das Stimmungssystem des Sängers

Intervalle in einfachen Verhältnissen hören wir als konsonant. Dass wir zum Beispiel eine temperierte Terz mit kompliziertem Verhältnis trozdem als konsonant empfinden, liegt an der bemerkenswerten Eigenschaft des Ohres, das Intervall zurecht zu hören. Allerdings hören wir dabei Schwebungen. (Wir hören das reine Intervall mehr oder weniger schnell laut und leise werden. Die Obertöne "klirren".)

Sänger und Geiger haben ein inneres Maß für einfache Proportionen. Den Klang eines reinen Intervalls kann man in höchster Reinheit bescheinigen. Der Klang eines abweichenden Intervalls flackert, es stellen sich Schwebungen ein und er wird im Harmonischen ärmer.

Gegenwärtig steht der reinen Stimmung eine an der gleichstufigen Stimmung orientierte Musiktheorie im Wege. Bei den Alten war es eine Selbstverständlichkeit, dass es sich bei jeder Temperatur um eine Abweichung vom Ideal der reinen Stimmung handelts. Sie ist der Tribut, den man machen muss, um Instrumente spielbar zu machen. Die freie Intonation weckt kein Bedürfnis nach Temperierung.

Die reine Intonation muss deshalb das Ziel der Ausbildung der Sänger sein.

Reine Stimmung schließt atonale Musik aus. Diese wird in diesem Buch nicht behandelt.

S. 27 Vibrato

... [viele historische Zitate] ... Fazit: Für den Solisten umstritten, im Chorgesang unangebracht.

S. 131 Relative Solmisation und reine Stimmung

Knapp sechshundert Jahre herrschte ... das Hexachordsystem Guido von Arezzos. Auf den Tönen c, f und g konnte die Solmisationsreihe ut (oder do) - re - mi - fa -sol -la aufgebaut werden...

Nur die relative Solmisation garantiert die reine Intonation. Am Beispiel der von John Curven ins Leben gerufenen Tonic Solfa-Mathode [Curven beruft sich dabei auf eine von Sarah Ann Glover entwickelte Methode] werden die Möglichkeiten und Grenzen der relativen Solmisation in Bezug auf die reine Stimmung aufgezeigt.

S. 36 Großer Halbton, kleiner Halbton

Der chromatische Halbton ergänzt den diatonischen Halbton mit dem Frequenzverhältnis 16/15 zum Ganzton folgendermaßen.

Ganz­tonin Cent (gerundet)Chro­ma­t­ischer Halb­tonIn CentDia­to­ni­scher Halb­tonIn Cent
9/8204135/1289216/15112
10/918225/247116/15112

Der Chromatische Halbton ist also kleiner als der diatonische Halbton.

                     diatonischer Halbton
     G              GIS                  A
     |———|———|———|———|———|———|———|———|———|
     G                   AS              A
                       chromatischer Halbton
Die Gesangsschulen gaben ihren Schülern folgende Faustregel (Regel des Weißenburger Kantors Maternus Beringer, 1610).

Halbtöne auf derselben Linie im Notensystem sind als kleiner Halbton (semitus minor) zu intonieren. Halbtöne auf benachbarten Linien aber als großer Halbton (semitonus major).

Historischer Überblick mit der Bemerkung, dass auf die verschiedenartigen Halbtöne großer Wert gelegt wurde, die zwei verschiedenen Ganztöne aber eher selten unterschieden werden - wohl eine Folge der gebräuchlichen mitteltönigen Stimmung.

Viele Beispiele zur Verschiedenheit zum Beispiel von Cis und Des bzw. Unterschied zwischen Fis und Ges. Auch Leopold Mozart lehrt seinem Schüler Thomas Attwood den Unterschied zwischen kleinem und großem Halbton siehe dazu "Passus Duriusculus ".

S. 63 konkurrierende Stimmungsprinzipien

Im besonders im 19. Jahrhundert heftig umstrittene Frage war, ob das Melos, die Horizontale, eine pythagoreische oder - etwas gemildert - eine gleichstufige und der Zusammenklang, die Vertikale, eine harmonisch reine Anstimmung erfordere.

Hauptunterschied beider Stimmungen sind die Terz und der diatonische Halbton.

Terzdiatonischer Halbton
rein386 Cent112 Cent
gleichstufig400 Cent100 Cent
pythagoreisch408 Cent 90 Cent


Oettinger, Hauptmann und Helmholz betrachten als Grundlage der Intonation nur die reine Stimmung.

Hövker, Jonquiére, Engel, Röntgen und Stephani bestehen auf einem Stimmungsdualismus.

Geschärfte Leittöne, etwa in der Harmoniefolge Dominante - Tonika, trüben den Gesamteindruck erheblich.

Alten Schulen empfehlen durchweg die reine Terzen und den großen diatonischen Halbton.

Es wird der Verdacht geäußert, dass geschärfte Leittöne das Detonieren bewirken und nicht verhindern.

S. 73 Singen ohne Grenzen

Die Flexibilität der Stimme

[Zitate von Zarlino, Sethus Calvius, um 1600]
Die menschliche Stimme kann die feinen Tonhöhennuancen realisieren. Dies erfordert eine harmonische Analyse. Die Diskussion des Detonierens bei der Verwendung der reinen Septime (C. Kistler, 1886) überspringe ich, da die reine Septime nur in Ausnahmefällen verwendet wird.

S. 76 Kommaverirrungen

(A.v.Oettingen,1913, nannte es so.)
Akkordfolge I IV II V I Beispiel: Die Verwendung der II. Stufe
(Notenbilder,
Klänge und
Frequenzberechnungen mit
TTmusik)

In C-Dur:  Akkord  "f'ad" auf der II. Stufe klingt unrein
(Oettinger schlägt diese Intonation vor)
T Akkord Frequenzen  Proportionen    Anhören (T=c bedeutet Tonart C-Dur)
c e1gc   330 396 528 6/5 4/3
  f1ac   352 440 528 5/4 6/5         mp3
  f1ad   352 440 594 5/4 27/20     unrein !!!
  g1hd   396 495 594 5/4 6/5         ogg
  e1gc   330 396 528 6/5 4/3
Gleichstufig: Alles klingt ein bisschen unrein
T  Akkord    Frequenzen              Anhören (T=m@ bedeutet Tonart gleichstufig)
m@ e1gc      332,6 395,6 528
   f1ac      352,4 444 528           mp3
   f1ad      352,4 444 592,7
   g1hd      395,6 498,4 592,7       ogg
   e1gc      332,6 395,6 528
Modulation in Richtung Subdominante
(Gratzki schlägt diese Intonation vor)
T Akkord Frequenzen    Proportionen  Anhören
c e1gc   330 396 528   6/5 4/3
  f1ac   352 440 528   5/4 6/5       mp3
f f1ad   352 440 586,7 5/4 4/3    Vorgabe F-Dur: Das d wird zu d-
c g1hd   396 495 594   5/4 6/5      Achtung: Dieses d muss höher gesungen werden
  e1gc   330 396 528   6/5 4/3       ogg
Modulation in Richtung Dominante, auch eine Möglichkeit
 (von B. Gratzki weniger empfohlen)
T Akkord Frequenzen      Proportionen  Anhören
c e1gc   330 396 528     6/5 4/3
  f1ac   352 440 528     5/4 6/5       mp3
g f1ad   356,4 445,5 594 5/4 4/3  Vorgabe G-Dur/g-moll: Das f wird zu f+, das a zu a+
c g1hd   396 495 594     5/4 6/5       ogg
  e1gc  330 396 528      6/5 4/3
Die Kommafalle
Modulation in Richtung Subdominante,
aber das d im vorletzten Takt wird ein Komma zu tief gesungen
c  c1gc            330 396 528              6/5 4/3    Anhören
   f1ac            352 440 528              5/4 6/5
f  f1ad            352 440 586,7            5/4 4/3    mp3
c  g1-h-d-         391,1 488,9 586,7        5/4 6/5
   e1-g-c-         325,9 391,1 521,5        6/5 4/3    ogg
c  e1-g-c-         325,9 391,1 521,5        6/5 4/3
   f1-a-c-         347,7 434,6 521,5        5/4 6/5
f  f1-a-d-         347,7 434,6 579,4        5/4 4/3
c  g1——h——d——      386,3 482,9 579,4        5/4 6/5
   e1——g——c——      321,9 386,3 515,0        6/5 4/3
u.s.w.
c  c1gc            330 396 528              6/5 4/3

S.84 Ein weiteres Beispiel für eine Kommafalle.
Die Tonart wechselt von Dur nach Moll (zum Beispiel C-Dur nach c-moll), dann in die Paralleltonart (c-moll nach Es-Dur) und zurück über die Qintenfolge (Es-Dur, B-Dur, F-Dur und schließlich C-Dur).

Die Analyse ergibt die Kommaverschiebung
(Die Änderung um ein syntonisches Komma wird angegeben):

C-Dur c d ,e f g ,a ,h c
c-moll c d 'es f g 'as 'b c
'Es-Dur 'es 'f g 'as b c d 'es
'B-Dur ...
'F-Dur ...
'C-Dur ... (Man landet ein syntonisches Komma zu hoch)

Ausführliche Diskussion zu Mendelsohns Ruhetal hier.
S. 89 Max Planck behauptete nach Hörproben im Konzertsaal, beim Chorgesang die gleichstufige Stimmung gehört zu haben, relativierte aber seine Beobachtung, in dem er von Situationen berichtete, in denen die Chorsänger zur reinen Intonation tendierten.

Folgende Punkte nennt Max Planck für die reine Stimmung förderlich: Die nächsten Punkte beziehen sich auf die Komposition:

Es folgen Untersuchungen, bei den gute Chöre zu hoch oder zu tief enden.
Beispiel (von Max Planck und dem Dirigenten Adolf Schulze 1893 diskutiert):
Heinrich Schütz Verleih uns Frieden gnädiglich Heinrich Schütz "Verleih uns Frieden gnädiglich". Bei nebenstehender Akkordfolge ("So schlaf ich ein ...") sank der Chor merklich.
Anhören: mp3 ogg
Schlußakkord zu tief: 108,6 163 271,6 325,9 434,6 mp3 ogg
Schlußakkord richtig: 110 165 275 330 440 mp3 ogg

Die Feinanalyse ergibt folgendes:
TA   D    Akkord          Frequenzen               Frequenzverhältnisse
c         cceg            132 264 330 396          2/1 5/4 6/5
a         Aec#ea          110 165 275 330 440      3/2 5/3 6/5 4/3
d
g         Gd1gb           97,8 293,3 391,1 469,3   3/1 4/3 6/5
d
a         Aec#ea          110 165 275 330 440      3/2 5/3 6/5 4/3
d         ddf#a           146,7 293,3 366,7 440    2/1 5/4 6/5
g         gdgh            195,6 293,3 391,1 488,9  3/2 4/3 5/4
e         eheg#h          163 244,4 325,9 407,4 488,9  3/2 4/3 5/4 6/5
a
d         df1a            144,9 347,7 434,6        12/5 5/4
a
e         eheg#h          163 244,4 325,9 407,4 488,9  3/2 4/3 5/4 6/5
a         Aec#ea          108,6 163 271,6 325,9 434,6  3/2 5/3 6/5 4/3
Modulation"-" bedeutet in subdominatischer Richtung, "+" in dominatischer Richtung
c nach a-
a über d nach g-
g über d nach a+
a nach d-
d nach g-
g nach e-
e über a nach d-
d über a nach e+
e nach a-


Zu der Modulationrichtung:

Quinte abwärts oder kleine Terz abwärts (Zum Beispiel c über a nach f): Richtung Subdominate (-)

Quinte aufwärts oder große Terz aufwärts (Zum Beispiel c über e nach g): Richtung Doninate (+)

Kleine Terz abwärts Dur nach Dur (C-Dur über a-moll nach A-Dur) wirkt ebenfalls subdominatisch, wenn in der Zieltonart sich der Tonikadreiklang von moll und Dur sich nur in der Terz untescheidet (moll: A-C-E; Dur A-Cis-E)

Analog: große Terz aufwärts (C-Dur nach E-Moll, bzw. E-Dur) wird dominantisch.

Man sieht: Vom 2. Akkord, dem A-Dur-Akkord, bis zum letzten Akkord, wieder A-Dur, sind mehr Modulationen in subdominatischer Richtung als in dominatischer Richtung durchschritten worden. Dies bewirkt eine Kommaverschiebung des A-Dur-Akkordes.

Zur Vermeidung dieser Kommafalle gibt es keine einheitliche Lösung.

Schulze praktizierte, den Übergang von D-Dur nach g-moll (5. und 6. Akkord), das g-moll ein Komma höher zu intonieren (Hier nicht sichtbar: Dort hat der Tenor ein Solo). Das bedeutet eine Modulation von d über f, c nach g in dominantischer Richtung. Er hatte damit Erfolg.

Eine weitere Möglichkeit wurde diskutiert: Gleich den 2. Akkord ein Komma höher zu intonieren. Das entspräche der Modulation von C-Dur nach A-Dur über die Quintenreihe in dominatischer Richtung: c->g->d->a.
Statt ...
c         cceg            132 264 330 396
a         Aec#ea          110 165 275 330 440
Anhören: mp3 ogg
c         cceg            132 264 330 396
a+        Aec#ea          111,4 167,1 278,4 334,1 445,5
Anhören: mp3 ogg

Es werden weitere Versuche von Max Planck zum Distonieren erörtert.

Es gibt neuere Dissertationen zu diesem Thema.

S. 99 die Naturseptime

Es gibt Befürworter und Gegner (Oettingen, Röntgen, Helmholz). Ausführlich behandelt von M.Vogel, 1991.
Die Naturseptime erscheint akzeptabler im Zusammenhang mit engen Leittönen.

Instrumente in der Chorprobe

Hier wird der Frage nachgegangen, welche Instrumente als Lernmittel für den Chorgesang geeignet sind.

Das Monchord wird in vielen alten Musikschulen empfohlen.

Die Geige wird noch um 1900 viel verwendet. Vom Klavier wird abgeraten.

S.127 Chöre, die immer mit Klavier üben, sind zur Mittelmäßigkeit verdammt: Die Schönheit eine a-cappella-Chorklanges in Wohlklang und Stimmfülle wird ihnen unzugänglich bleiben.

Es wird noch das von Richard Hövker erfundene Reinistrument vorgestellt. Jede Taste hat zwei Untertasten, mit denen man um ein Komma höher oder tiefer spielen kann.

S. 131 Relative Solmisation und reine Stimmung

S. 197 Intonationsübungen

Intonationsübungen sind das Thema der Chorprobe.
S.229 Kodály, Zoltan: Die reine Intonation

Ausführungen zum "Gesetz der Schwerkraft" (Pál Kardos, Albert Limbach)

Interessant: S. 238 Barbershopgesang (Nordamerika und Kanada) mit seinem schlanken bis auf den Träger der Melodie vibtationsfreien Ton.

S. 229 Zoltan Kodály

Zoltan Kodály, nicht nur bekannt als Komponist, sondern auch als Schulmusikreformer und Schöpfer einer weltweit geschätzen Singmethode, der sich sehr für die Solmisation der englischen Solfaisten interessiert, lehrte: Nur das mindestens zweistimmige Singen ist die beste Gewähr für reine Intonation. Der Beweis und der Lohn richtigens Singens ist die Schönheit des Klangs dank der Kombinationstönen und die gesteigerten Brillanz dank der Obertöne.

Literatur: Zoltan Kodály, Chor-Schule. Ein Lerngang musikalischer Erziehung vom ersten Anfang bis zur Konzertreife

Zoltan Kodály

Auf der Pentatonik baute Zoltan Kodäly - nicht nur bekannt als Komponist, sondern auch als Schulmusikreformer und Schöpfer einer weltweit geschätzten Sing"methode" - seine zweistimmigen Intonationsübungen auf. Die Übungen sind Bestandteil seiner umfangreichen „Chor-Schule. Ein Lehrgang musikalischer Erziehung vom ersten Anfang bis zur Konzertreife". Die Intonationsübungen vereinigen in sich jene Punkte, die auf den vorangegangenen Seiten als positiv für die Intonationsschulung hervorgehoben wurden: Tonalität, Mehrstimmigkeit, reine Stimmung als Grundlage, Beginnen mit den konsonantesten Verhältnissen, Anpassung an eine Stimme vor gegenseitiger Anpassung.

Um das Tonalitätsgefühl zu wecken, werden die Übungen solmisiert. Die Silbe deutet auch die tonale Funktion an: indem wir uns die Intervalle einprägen, entwickeln wir auch den Sinn für die tonale Funktion. Reiner Intonation nähere man sich in der Zweistimmigkeit: Es klingt wie ein Widerspruch, aber nur im zweistimmigen Singen lernt man, auch einstimmig richtig zu singen: die Stimmen stellen sich aufeinander ein und finden von selbst ihr Gleichgewicht. ... Die Gleichzeitigkeit ist die beste Gewähr für die korrekte Intonation. Dagegen sei die „C-Dur-Tonleitermethode" ... der Feind richtigen Singens. ... Die Skala wird nur dann richtig klingen, wenn ihre „Säulen" im Voraus feststehen, und diese „Säulen" sind die Töne der pentatonischen Fünfton-Skala : C - D - E - G – A.

Von einer Begleitung am Klavier, der die meisten Lehrer und Chorleiter anhingen, sei abzusehen, da sie das temperierte System lehre, aber der Gesang hängt von den akustisch richtigen, „natürlichen" Intervallen ab. Das Ergebnis einer guten Schulung sei ein obertonreicher Chorklang: Nur solche Chöre, die richtig singen, haben Farbe und Glanz und Kinderchöre werden imstande sein, tiefe Töne zu singen, die ihnen sonst nicht erreichbar sind. Der Beweis und der Lohn richtigen Singens ist die Schönheit des Klanges dank den Kombinations- und, in höheren Lagen, der gesteigerten Brillanz der Obertöne. Die Reihenfolge der Übungen orientiert sich am Konsonanzgrad der Intervalle. Zunächst werden Oktave, Quinte, dann Großterz und Kleinterz geübt. Die beine Stimme hält den Bezugston, während sich die andere Stimme darüber und darunter bewegt. Mit fortschreitendem Schwierigkeitsgrad wird auch die Bezugstonstimme, die nicht nur Grundton, sondern auch Terz oder Quinte sein kann, bewegter. Dem Dur- schließt sich der Molldreiklang an. Es folgen pentatonische Folgen über einem Grundton. Allmählich erscheinen auch Quarten, dann Sekunden und Nonen in der Horizontalen und Vertikalen. Im übrigen sei noch erwähnt, daß Kodäly sich sehr für die Solmisation der englischen Solfaisten interessierte: Sie wird in England auf der Grundstufe für unentbehrlich gehalten. Warum sollten wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf ein solches Land richten, wo das Nach-Notensingen eine Selbstverständlichkeit darstellt, wie bei uns das Lesen und Schreiben, wo fast jeder Erwachsene in einem Chor mitsingt und die Arbeiter-Chorvereine die Werke der großen Klassiker aufführen. Fast hundert Jahre alt ist dort das das Sofége-Sytem, welches mehr für die führen. Fast hundert Jahre alt ist dort das Solfege-System, welches mehr für die Ausbreitung der Musikkultur getan hat als irgendeine Musikfachschule. Während eines Besuchs in England machte er sich ein eigenes Bild von der Wirksamkeit der Methode und sandte in den 30er Jahren seinen Mitarbeiter Adam zu intensiveren Studien dorthin. Vor allem die relative Solmisation wurde als nützlich für die ungarische Musikerziehung angesehen. Dagegen wurde die starke do- und damit Durbezogenheit der Solfaisten nicht übernommen, da sie nicht auf das ungarische Volkslied anwendbar ist. Jede Solmisationssilbe kann bei Kodaly ohne eine latent wirksam bleibende Vorherrschaft von do Bezugston werden.

S. 243 Reinanalysen

B. Gratzki arbeitet hier mit den Begriffen Oberklang und Unterklang und analysiert Werke von Orlando die Lasso, John Dowland, J. S. Bach, F. Mendelsohn, A. Bruckner, J. Brahms, I. Strawinsky und F. Poulenc