Hella Mohr

220 Briefe von Marie Kurz an Marie Caspart



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Die Briefe/Dokumente sind entnommen aus
A: I Kurz, Familie
K u r z, Marie
5 Mappen mit Briefen an
C a s p a r t, Marie DLA 53.1584

Band I
Band II

Auszüge aus Briefen von Marie Kurz an Marie Caspart.

(Marie, die Frau des Dichters Hermann und Mutter von Isolde Kurz)
®Aus Tübingen
5. 3. 1864 ...Ottilie Wildermuth zu besuchen habe ich mich bis jetzt immer noch gesträubt. Sie ist meine Antipathie, politisch wie religiös und so weiß ich, daß wir Händel bekommen werden.... ...Frau Uhland wird immer freundlicher zu mir...
8. 7. 1864 ...Nur Schulden und tiefere Schulden, das ist das Loos des Rests unseres Lebens...
24. 12. 1864 ...Hermanns Nerven sind viel ruhiger, von seiner frü- heren Aufregung keine Spur mehr und das verdanke ich dann doch dieser Bibliotheksstelle...
20. 2. 1865 ...Isolde ist den ganzen Tag auf der Schlittschuhbahn..
20. 10. 1865 ...Edgar war fast 14 Tage in Münsingen, auch in Zwie- falten bei Heinrich Mohr, (späterer Pfr. von Asch, damals Vikar) von dem er ganz entzückt ist....
23. 4. 1866 ... Heinrich Mohr war mehrere Tage in der vergang. Woche bei uns, er ist ein gescheiter, ja sogar genia- ler Kerl, nur derb. Er war so toll ausgelassen, daß er bei uns das Unterste nach oben kehrte. Ich könnte viel erzählen, wills aber aufs Mündliche aufbewahren... (Ob es sich hier nicht um den 6jährigen Sohn handelt?)
12. 11. 1867 ...Vor ein paar Tagen war... Mohr da, wir zankten uns aber so, daß er ging. Es ist schade, einer der geschei- testen Kerle, doch wunderts mich eigentlich bei ihm nicht, daß er ein wüthender Preuße geworden ist. Mace- triaoellismus, der Zweck heiligt die Mittel, und ein etwas weites Gewissen für jede Rechtsfrage war stets in seinem Wesen....
14. 2. 1869 ...Hermann hat sich von jeder Politik zurückgezogen...
21. 10. 1873 ...Hermann starb nicht am Schlag, sondern sein Herz war verfettet und zerplatzte...Isolde ist in einem Zustand des Wahnsinns...Solch einen Vater gibts nicht wieder... Ich lief nach dem Arzt. ...Auf Josephines Schulter hatte er den letzten Athemzug gethan...
o. D. 1873 ...Ich fühle mich jetzt so unwerth ihn besessen zu haben.. Daß er mir immerdar in seinen Werken lebt, wirst Du Dir selbst sagen, ich verschlinge alles von ihm...Der Schmerz durchwühlt mich...Heinrich Mohr war auch wieder bei uns...
3. 4. 1874 ...Heinrich Mohr war vorgestern auch wieder einmal bei uns. Wir sprechen viel über transzendentale Dinge...(Kant)
26. 7. 1874 ...Ich hatte einen sehr wertvollen Nachmittag mit Mörike zugebracht, der gerade in Bebenhausen ist...
20. 11. 1874 ...Als ich Deinen Brief erhielt schrieb ich gerade Hermanns Briefe an Mörike ab...Kennst Du das

Gedicht von Hermann

"Ja Lieb ist stärker als die Welt,
Das eine steigt, das andre fällt,
Doch Liebe wird nicht wanken.
Die Lieb ist alt und endet nicht,
Ihr Feuer stammt vom Himmelslicht,
Und kennet keine Schranken.
Ja Liebe kann auf Bergeshöhn,
Kann unter Meereswellen gehn
Und wird von nichts bezwungen.
Und reißt sich Herz vom Herzen los,
®So steigt sie in des Grabes Schoß
Und hält ihr Gut umschlungen.
Die Liebe weht nicht hier allein,
Und was uns scheint geraubt zu sein,
Ihr kann es nicht entschwinden!
Sie fliegt durch ®alle Himmel hin
Und ist ein seliger Gewinn,
Ein ewigs Wiederfinden! "

Hermann Kurz (aus seiner Oper)

Einleitung zur Transcription der Briefe

Leider habe ich nur die Briefe von Marie Kurz geb.(von) Brunnow an Marie Caspart und konnte nur die Gegenbriefe von Marie Caspart aus den letzten Lebensjahren finden. Band I enthält die ersten zwei von fünf Mappen mit den Briefen von Marie Kurz, also die Jahre 1852 - 1875 aus Stgt., Esslingen Kirchheim und Tübingen bis zwei Jahre nach dem Tod von Herm.Kurz. Band II enthält die Mappen drei bis fünf, 1876 - 1911, von der Auswanderung nach Italien und die Zeit dort mit den Zwischenaufenthalten in München bis zu Maries Tod.

Dazu kommen noch einige Briefe von Marie Caspart und Briefe von Isolde an Marie Caspart nach dem Tod der Mutter 1911. Im allgemeinen sind die Briefe hier in der Reihenfolge wie ich sie in den Mappen sortiert fand, aufgelistet, jedoch erlaubte ich mir einige Verschiebungen von undatierten Briefen, die anders einsortiert sind, dahin einzufügen, wo sie dem Inhalt nach hingehören. Etliche Briefe aus Mappe 5 ohne Datum konnten auch so, dem Inhalt nach leicht eingereiht werden. -

Um die Briefe lebendiger zu gestalten fügte ich entsprechende Fotokopien dazwischen, wie Bilder aus dem Kurz-Katalog, dem Band "Alt Tübingen" der Gebrüder Metz, aus einem Bildband über "Alt- Florenz," von Giuseppe Zocchi, alte Fotographien aus Forte dei Marmi von Carlo Barberi, und Fotos aus dem DLA, dem Stadtmuseum Reutlingen und einige wenige von andern Archiven und von Privat. Leider vergaß ich bei einigen Kopien zu vermerken, woher sie stammen. Ich bitte dies zu entschuldigen, ebenso wie Lese- und Abschreibefehler, die sich trotz hilfreicher geübter Mitarbeiter des Deutschen Literaturarchivs, wie vor allem Frau Bruchardt und Herrn Kemme, sich wegen Maries "gesudelter Handschrift", wie sie es selbst nennt und schlechtem Papier doch nicht ganz vermeiden ließen. Allen Mitarbeitern des Dt. Literaturarchivs, vor allem in der Handschriftenabteilung, in der Bücherausgabe, hier besonders Frau Geißler - How und Frau von Wilucki, Frau Schwandner von der Bild-Abteilung und Frau Grüninger danke ich ganz herzlich für ihre stets freundliche hilfsbereite Unterstützung.

Ebenso danke ich der Reutlinger Kurz Forscherin Frau Heidi Stelzer geb. Kur(t)z, den Kurz - Kennern Jürgen Schweier, Kirchheim und Helmut Hornbogen, Tübingen den Mitarbeitern des Reutlinger Heimat- museums und einiger anderer Archive, die mir beratend und helfend zur Seite standen.
Hella Mohr, Tübingen

Band I


Stuttgart, 22. März 1852.

Liebes Waldfegerlein!

In der Hoffnung, daß Du mir meine Bitte nicht abschlagen werdest, ersuche ich Dich freundlichst mir das Vergnügen zu machen heute Abend zum Thee zu uns zu kommen. Ich nehme durchaus keinen Korb von Dir an, und rechne auf Deine Gegenwart. Komm nur nicht so spät. Hermann grüßt Dich und hofft Dich diesen Abend zu sehen.
Deine Marie Kurz

Stuttgart, 24.Juli 1853

7 Liebes Waldfegerlein Halte mich weder für theilnahmslos bei der glücklichen Umgestaltung Deiner Stimmung, noch für undankbar für die süßen ersten Walderdbeerlein und die schönen Blumen, weil Du so lange kein schriftliches Zeichen dafür von mir erhalten, aber ein erneuter Brechdurchfall meines Kindes ließ mich, wie Du Dir wohl denken kannst wieder zu keiner ruhigen Minute kommen; auch wollte ich, bevor ich Dir geschrieben, Deine Mutter aufsuchen, und dies mißlang zwei mal, da wir uns gegenseitig stets verfehlten. Gestern aber traf ich sie und erzählte von Deinem heiteren und glücklichen Brief. Deine guten Tanten leben ganz auf, daß sie Dich endlich glücklich wissen. Wie freut es auch mich, die düstere Wolke an Deinem Horizonte schwinden und endlich die volle helle Maiensonne hervorbrechen zu sehen. So sind also jetzt die "Grünspansammlungen" aufgegeben? Schade, ich hätte Dir einen großen Beitrag an meinem Messingmörser liefern können!- Jetzt werden auch die Rosen auf Deinen Wangen wieder zu blühen anfangen und Dein Kopfweh wird Dich nicht lang mehr quälen. Erhalte ja das gute Einverständnis mit seinen Angehörigen, aber halte Dich auf entferntem Fuß mit ihnen, denn auch ihre jetzige Freundlichkeit ändert ihren Charakter nicht und Du wirst nie und nimmer zu solchen Menschen passen.

Bei meinem Herzblättchen geht es seit gestern wieder gut, überhaupt war der Anfall, da er mit dem Zahnen verbunden, nicht gefährlich, aber ängstlich wie ich bin, habe ich mich doch wieder gehörig abgequält.

Frau von Sonnecker war den Tag vor ihrer Abreise noch bei uns und war ganz entzückt über Deine Erscheinung, auch sagte sie hätte sich gewünscht Du wärest mit mir gekommen, das hätte mehr Ungeniertheit in die Zusammenkunft gegeben. Sie brachte mir ihre neuesten Erzäh- lungen, die soeben die Presse verlassen hatten. Unsinnige Spuk- und Geistergeschichten. Es ist zu schade, daß sie ihre leicht er- regbare Fanthasie so total Herr über die Vernunft werden läßt, denn liebenswürdig wie in ihrem Umgang wäre sie wohl auch mitunter in ihren Werken, wenn ihre Gefühlsschwelgerei von ein wenig mehr Licht und Klarheit durchdrungen wäre. Ich habe das Buch Deiner Mutter und Deiner Schwester hingebracht. Du kannst es auch haben, wenn Du es willst.

Heinrich (Anm.) war vor etlichen Tagen bei uns. Emiliens Treu- losigkeit geht ihm sehr nahe, er sagt sogar, er werde nie wieder ernsthaft lieben können. In 8 bis 14 Tagen erwarten wir Hedwig. Von der gefährlichen Krankheit der armen kleinen Helene Tafel wirst Du wohl wissen. Tafels haben zwar jetzt wieder Hoffnung, es geht auch etwas besser, ich glaube aber nicht, daß sie sich noch erholen kann. Das arme Geschöpfchen ist zu weit draußen. Der Anblick des armen Kindes drückte mir fast das Herz ab. Ich kann es vor Mitleid kaum besuchen.- Von meinem Leben, das weißt Du wohl, kann ich Dir nichts berichten. Mein ganzes Sein geht in Mutterfreud- und leid auf. Wie Du keinen andern Gedanken, wie jeder Pulsschlag bei Dir "Julius" heißt, so dreht sich bei mir alles um mein geliebtes Kind, ich lebe nur in ihm, die ganze Welt hat sich in demselben erneuert. Du wirst das später auch empfinden. Es muß mir Ersatz sein für die vielen langen Stunden, die das öffentliche, oder besser gesagt das gesellige, denn ein öffentliches gibt es seit dem Sieg der Tyrannei nicht mehr, meinen Mann in Anspruch nimmt. Ich könnte das viele Alleinsein nicht ertragen, ich wäre unglücklich, wenn ich das Kind nicht hätte das mich jede Langeweile, jede Widerwärtigkeit verges- sen macht. Will ich schwermüthig werden, und solche Grillen packen auch mich zuweilen, so schaue ich in die tiefen Glanzaugen meines Lieblings und das Herz schlägt mir voll Freude und Stolz. Aber nichts mehr, ich muß langweilig werden mit meiner Kindernarrheit, daher genug. - Grüße Deinen liebenswürdigen Onkel von uns Beyden auf`s Herzlichste und gib von Zeit zu Zeit Kunde von Dir
Deine treue Marie K.
Die Erdbeeren habe ich mit wahrem Heißhunger verschlungen und an den Blumen hatte Edgar die größte Freude, er hat sie nach und nach verzupft und so viele Tage Spass daran gehabt.

(Anm.: Bei Heinrich handelt es sich wohl um den 24jähr.Bruder von Marie, den späteren Notar Paul Heinrich Caspart geb. 1829)

10. Juni 1854

9 Meine geliebte Marie!

Du wirst das Röhrchen durch Deinen Onkel erhalten haben, und hoffentlich ist es zu Deiner Zufriedenheit ausgefallen. Da ich durch das Unwohlsein meines Buben abgehalten war, hat es Hermann besorgt, der ohnehin der Meinung war, er verstehe es besser als ich. Verzeih, daß ich es ohne Brief abgehen ließ, aber Du weißt ja mein liebes Herz, wie sehr ich in Anspruch genommen bin, und daß es mir mit dem besten Willen oft eben durchaus nicht möglich ist Zeit zum Schreiben erhaschen zu können, sonst würde ich schon oft meine Ge- danken, die so viel mit Dir beschäftigt sind, Dir zugesandt haben. Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie sehr es mich freut, daß es Deinem Julius, Deinem Kind, ordentlich geht, es würde gewiß noch besser gehen, wenn es endlich einmal ordentliches Wetter werden wollte. Was treibt Ihr so den ganzen Tag, liest Du ihm vor? Und seid Ihr hinreichend mit Büchern versehen? Wenn Julius etwa den sehr schönen Roman von Th.Mügge, "Afraja" (Anm.) oder "Charlotte Ackermann" von Otto Müller zu lesen wünscht, so darfst Du mir`s nur schreiben, ich schicke es Dir dann umgehend. Bald, denke ich, wirst Du ihm den "Sonnenwirt" vorlesen können, er ist zwar noch nicht beendigt, aber doch seinem Ende nahe.- Was nun den "Beobachter" betrifft, so kann Hermann hierin gar nichts machen. Die Redaktion hat gar nichts mit der Expedition zu thun, und überdies nimmt die Post vom Expeditor keine Bestellungen an, das muß von dem Orte, wo er gelesen werden will ausgehen. Du darfs mir`s glauben, daß wenn er es besorgen könnte, er es Dir gerne zu Liebe thun würde.-

Von hier weiß ich Dir gar nichts zu schreiben, ich gehe gar nicht aus und sehe niemand, ein Tag schwindet dahin wie der andere, einzig der Pflege der Kinder geweiht; das Mädchen gedeiht prächtig, der Knabe aber bleibt körperlich zurück, während er sich geistig unend- lich schnell entwickelt.

Denke nur, Frau Schäuffelen nimmt Unterricht in der Mimik. Beide hegen die abentheurlichste Absicht, daß sie auf`s Theater soll. Schäuffelen schwelgt schon in dem Gedanken einst eine berühmte Frau zu besitzen.

Könnte ich doch auch etwas dazu beitragen, Deinem armen Julius die Zeit zu erheitern, und Dir in Deinem Amt als Krankenpflegerin bei- zustehen. Daß wir auch immer so weit auseinander sein müssen! Wenn Du irgend etwas brauchst, eine Komission zu besorgen hast etc., so wende Dich auch stets an mich, wenn ich auch nicht immer zum Schreiben kommen kann, so vernachlässige ich doch gewiß keinen Deiner Aufträge. - Und nun, armes liebes Kind, lebe wohl! Grüße Deinen Julius recht herzlich von mir, ebenso auch Deine Mutter und Deinen Onkel. In Gedanken ist immer bei Dir
Deine Dich liebende Marie
Stuttgart, 10. Juni

Anm.: Theodor Mügges Roman "Afraja" mit der Sage der Entstehung Norwegens erschien, ebenso wie Otto Müllers "Charlotte Ackermann" Hermann Kurz Erzählg. und anderen bekannten Literaten 1854 bei Mei- dinger Frf. als "Dt. Roman Bibliothek" und wurden sehr preisgüns- tig verkauft, (jede Lieferung nur 9 Kreuzer) "um dem dt. Volk, ebenso wie den Engländern und Franzosen wertvolle Literatur als Erwerb dt. Belletristik zuerschaffen....." Der erste Roman war "Afraja".



Stuttgart Sonntag früh

(o.D. (Umschlag 18. 6.1854)
an M. C. bei Pfr. Dr. Kausler in Stötten bei Geislingen

Meine theure Marie!

Ich beantworte Dir Deinen Brief umgehend, um Dir zu sagen, daß sowohl meine Arme, als unser Haus, Dir zu jeder Zeit offen stehen, und daß es gewiß an uns nicht liegt, wenn Euer Vorhaben in der Art, wie Ihr es möglich glaubtet nicht ausführbar werden sollte. In dem Hause selbst nämlich, wo wir wohnen,ist kein Zimmer vakant, wäre ein Zimmer zu haben, so ließe es sich prächtig machen, denn die Bedie- nung könnte Julius von einer ledigen Weibsperson, die im Hause wohnt, ziemlich billig haben, und was die kräftigen Brühlein und Süpplein beträfe, wie auch sein Bruststück, das würden wir ihm in meiner Küche bereithen, und ich wollte Dir beistehen so viel es in meinen Kräften läge. Da aber nun eben mal kein Zimmer zu haben ist, muß man auf andere Mittel sinnen, ich werde Dir desshalb eine Menge vorschlagen. Wie es in Dr.Königs anderm Hause, im Nebengebäude, aussieht, das weiß ich nicht, ich werde mich aber erkundigen, ob dort vielleicht ein Zimmer zu haben ist. Nur ist zu bedenken, liebes Kind, daß Du auch die Nächte bei Deinem armen kranken Schatz sein solltest, dieses aber schwer zu machen sein wird, wenn er in einem andern Hause wohnt als Du. Hermann und ich haben die Sache reiflich besprochen. Hätte ich keine Kinder, so würde ich sogleich unbedingt sagen, Ihr müßt beide zu uns, und ich will ihn ja auch verpflegen helfen. Bei dem Kinderlärm und der schrecklichen Unruhe ist es aber für Julius nicht angenehm, wenn Euch der beschränkte Raum kein weiteres Hindernis bereithen würde. Hermann kam daher auf den Einfall, daß es am Ende das Gescheiteste wäre, Ihr ließet Euch trauen, um dann ungeniert überall miteinander hin zu können. Wenn man das dreimalige Perklamieren ja auch bezahlt, so gibt sich der Staat zufrieden, und Dein Onkel könnte Euch dann in Stötten selbst trauen. Um das Urtheil der Welt hast Du Dich nicht zu kümmern wenn sie selbst dumm genug wäre etwas daran zu finden bei einem kranken Bräutigam zu sein. Ein anderes freilich aber ist es, wenn Du Schikanen von der Polizei ausgesetzt wärest, und was ist nicht alles in einem Polizeistaat möglich! Dafür nun wäre die Trauung gut. Sprich nur einmal mit Julius und gib mir wieder Nachricht. Ein anderer Vorschlag, falls Euch der Plan mit Trauung nicht zusagen sollte wäre dieser: Wenn Du mit Julius in das gesunde so sonnige Obereßlingen zögest und zwar in mein altes Haus. Dort allein könntet Ihr unangefochten von den Menschen und der Polizei leben; denn die alten Fräulein können ihre Zimmer vermiethen an wen sie wollen, und wenn Du ein Zimmer für Dich und eins für Julius nimmst, so schert sich kein Kuckuck darum, ob Du die Nacht in Deinem oder in seinem Zimmer zubringst. Gefiele Euch dieser Plan, so würde ich alles besorgen, Eure Einrichtung, und daß dir meine Freunde dort auch an die Hand gingen, daß Du Schutz und Trost dort finden könntest.
Am liebsten möchte ich Dich freilich bei mir, und auch dieser Plan ist ausführbar, wenn Du Dich entschließen kannst Julius in einem andern Hause zu haben. Bespreche Dich mit ihm und schreib mir dann wieder.- Alles, alles was Ihr nur wollt, will ich thun; sieh Marie, Du liegst mir am Herzen, wie wenn Du meine eigene Schwester wärest und so geht es auch Hermann.

Ich habe viel Jammer gehabt, mein Edgar war und ist noch recht krank. Es ist zwar nur ein Kartharrfieber, aber das Kind wird so fürchterlich mager, und hat eine Hitze und isst gar nichts, daß ich mich recht abquäle. So ist eben das Leben. Man hat Angst und Sorge, um die die man liebt, es gehört schon viel Muth und eine Portion Leichtsinn dazu, um immer wieder heiter werden zu können.

Was das Röhrchen gekostet kann ich Dir nicht sagen, da es Hermann besorgt, und es selbst im Augenblick nicht mehr weiß. Du sollst nur warten bis Du hierher kommst, es werde ihm dann schon wieder ein- fallen.- Schreibe bald wieder, ich will inzwischen nicht müßig sein und mich nach Wohnungen umsehen, auch noch die Sache recht mit Hermann besprechen. Grüße Julius 1000 mal. Das Wetter ist gottlob endlich einmal gut, das wird zu seiner Besserung beitragen, er erholt sich gewiß wieder und wenn es auch nur ganz langsam geht.-

Du aber, herrliches Wesen, lasse den Muth nicht sinken, Du Liebe. Hat Dir das Leben statt Rosen auch eine Dornenkrone geboten, aber auch im Martyrium liegt ein köstlicher Reiz, und ich weiß, Du würdest mit Deinen Ängsten und Sorgen nicht mit andern tauschen. Mit den heißesten Wünschen küßt Dich
Deine Marie.

24.Juni 1854

Geliebte Marie!

Nur in Eile einige Worte. Es ist alles zu haben was ihr nur wünschen könnt. Nicht nur im gleichen Haus, sondern auf demselben Boden mit uns kann Julius ein Zimmerchen haben bei Frau Federer, und zwar möbliert, nur müßtet Ihr ein Bett mitbringen, weil sie sich wieder verheirathet hat und deßhalb kein Bett mehr abgeben kann. Du schläfst bei uns, bist aber bei diesen Leuten, die selbst als Brautleute monatelang beisammen wohnten nicht im geringsten geniert, sodaß Du ganze Nächte bei Julius zubringen kannst. Die Bedienung kannst Du, wie schon gesagt, im Haus haben bei ungefähr 2 fl monatlich. Bei dem Zimmerchen dürft Ihr Euch auf einen ziemlichen Preis gefaßt machen, sie hat es mir noch nicht bestimmt gesagt, so viel ich aber weiß, hatte sie es schon zu 7 oder 8 fl vermiethet. Nun der Preis ist ja einerlei, wenn man seinen Zweck errreicht. Was nun Dich betrifft, mein armes Herz, so mußt Du eben vorlieb nehmen mit dem, was ich Dir bieten kann,- einen harten Sopha und ein warmes Herz voll Theilnahme.

Daß Du Hermann ebenso willkommen bist versteht sich, und ich bin ganz glücklich Dir wenigstens bei der Erfüllung Deines Wunsches behilflich sein zu können. Es ist sehr gut, daß es sich nun doch noch bei meiner Nachbarin gemacht hat, denn in einem anderen Hause wäre es doch zu entfernt gewesen. Schreibe mir nun bis wann Ihr kommen wollt und was ich sonst besorgen soll. Ich sagte der Frau entweder im Juli oder im August.

Meine Kleine hat die Brechruhr gehabt, ich habe furchtbare Ängste ausgestanden, es geht aber jetzt besser.

Grüße Julius und sage ihm, was in meinen Kräften steht sein Kranken- lager zu erleichtern werde ich gewiß mit 1000 Freuden thun. Daß Eurer Trauung so viele Hindernisse entgegenstehen ist mir sehr leid, es wäre das Beste gewesen, jetzt muß man sich eben mit dem was man haben kann begnügen.

Es umarmt Dich in treuer Liebe

Deine Marie

Samstag

Stuttgart, 19. Nov. 1854

Meine theure Marie!

Obgleich ich viel und oft an Dich gedacht, komme ich doch nicht zum Schreiben, wie die Unterbrechung in der zweiten Zeile bezeugt, denn es hat sich eine Maus im Schlafzimmer vernehmen lassen, und nach dieser wird soeben die heftigste Löwenjagdt angestellt; wenn sie siegreich beendigt ist und die Kinder hoffentlich schlafen, so wird nachher der Brief fortgesetzt. - Die Maus ist zwar noch nicht gefan- gen und die kleine Schreierin erwacht, aber ich fahre doch fort bis ich wieder unterbrochen werde.- Du hast uns gleich überall gefehlt, als Du abgereist warst und besonders am Abend als endlich die Kin- der zu Bette und Ruhe eingekehrt war, hat sich Hermann gar sehr nach seinem armen lieben Waldfegerlein gesehnt und sagt fast jeden Abend: "Wenn sie nur wieder da wäre."- Daß Du bis Göppingen glück- lich angelangt bist, habe ich durch Deine Tanten erfahren, und nun bist Du wohl in aller Ruhe in Deinem Zimmerchen einquartiert und hast Dich mit all Deinen theuren Reliquien umgeben; ein trauriger Trost, der Dich immer und immer an die vergangene schwere Zeit und die öde Gegenwart mahnt. Ich hoffe nur, daß das Verhältniß zu Deiner Mutter wieder ein innigeres werden möchte, derselbe Schmerz, den Ihr beyde durchzumachen hattet, muß sie Dir ja wieder näher bringen, wenn auch die Anschauungsweise eine verschiedene sein sollte. Doppelt schwer wird Dir der heutige Tag erscheinen, den Dein Julius in richtiger Vorsehung im voraus gefeiert. Ich wollte überhaupt, der trübe Winter läge hinter Dir, und das neuverjüngte Schaffen in der Natur brächte auch Dir wieder Lebensmuth. Und sieh, um eins bitte ich Dich, liebes Kind, weise nicht gewalthsam den Bal- sam, den die Zeit gewährt von Dir, sei nicht grausamer gegen Dich, als es die Natur selbst ist. Lese recht viel, das wird das wirksamste Mittel sein, die Oede einigermaßen auszufüllen und Dich selbst ein wenig zu vergessen. Wie so gerne würde ich Dich einmal besuchen, aber es läßt sich eben nicht machen, ohne meine Kinder kann ich nicht fort und sie mitzunehmen, dazu ist es zu kalt und winterlich. Hier folgt ein Brief von Heinrich, den ich gestern erhielt. Da ich vermuthe, daß Du noch nicht gerne selbst schreibst, will ich ihm schreiben wo Du bist und wie es Dir geht, und da es Dich doch freu- en wird von ihm, dem intimen Freunde von Julius selbst Briefe zu bekommen. Gerade weil er der Vertraute Eurer Liebe und Dein Helfer in dunkler Nacht war, wird er Dir jetzt näher stehen, als es sonst der Fall wäre.

Bei Deinen Tanten war ich einigemale. Sie haben mir Deinen Hut prachtvoll hergerichet, daß ich mich wahrhaft scheue damit auszu- gehen. Ebenso erschrak ich, als die Näherin das Wolleatlaskleid brachte. War dieser Luxus wirklich Julius Wille, so kann ich freilich nichts sagen, aber es ist mir eine große Verlegenheit seinen Eltern gegenüber. Ich weiß gar nicht, soll ich nach Lenningen deßhalb schreiben oder nicht?

Hermann ist gegenwärtig noch Hals über Kopf in Redaktionsübergabe- widerwärtigkeiten verwickelt. Die Sache ist ihm so entleidet, daß er sogar seine Unterschrift zurückziehen will. Schnitzer wird wahrscheinlich jetzt ...iger Redakteur. Ich bin recht froh, wenn die Geschichte beendet ist, denn Hermann muß sich so viel erzürnen, daß er den ganzen Tag als brüllender Löwe herumwandelt.

Du kannst nicht glauben wie glücklich ich über diesen Berufswechsel bin, denn nun kehrt er in sein eigentliches Element zurück, und das ist Gewinn für ihn und für mich. Als Redakteur lebte er blos für seine Freunde und für die Kreuzer, als Poet lebt er zuerst für mich, denn ich bin es, die zuerst sein Schaffen zu sehen bekommt. Er soll nun für Meidinger eine Novelle schreiben; Du könntest ihm wohl einen Stoff angeben. Vielleicht bringt er Dich selbst in einen solchen, denn wir sprachen neulich davon, daß Du unter unseren Bekannten allen die einzige romantische, poetische Erscheinung bist. Für heute ists genug geschmiert. Du weißt wie ich in Anspruch genommen bin; Edgar grüßt sein "Manium," die er nun selbst in ein Mariele verwandelt hat, und ich küsse Dich in Gedanken. Von ganzem Herzen und mit theilnehmender Liebe Deine Marie Grüße Deine Mutter und Onkel.

Liebes Kind, wenn es so wäre und ich nur Dir schreiben könnte, so wäre ich glücklicher als ich bin, aber allemal wenn man fertig zu sein meint, fliegen wieder Prügel dazwischen. Sei herzlich von mir gegrüßt. Ich unterschreibe alles was Marie Dir von meiner Gesinnung sagt. Grüße Mutter und Onkel Rudolph herzlich.

Dein geplagter Onkel H(ermann)

Stuttgart, 10. Dec. 1854

Mitten im Trubel der Geschäfte nur ein paar Worte, theures Herz! Barmherzige Schwester willst Du werden. Das traurige schmerzliche Amt, das Du am Kranken- und Todtenbette des Geliebten begonnen, willst Du ins Unendliche ausdehnen bei andern Menschenkindern? Ich kann diesen Entschluß in Deiner jetzigen Stimmung wohl begreifen und er macht Deinem edlen Herzen Ehre; ich will ihn daher nicht bekämpfen, aber ich ergreife Deinen aufopferungssüchtigen Antrag mit doppelter Freude, weil ich Dich am Ende doch lieber bei mir Deine Barmherzigkeit ausüben sehe, als in Spitälern bei krätzigen- oder aussätzigen Menschen. Aber auch der Egoismus läßt mich ergrei- fen, und ich kann Dir die Versicherung geben, daß die Aussicht eine theure Freundin um mich zu haben, wenn erneute Sorgen und vielleicht Krankheit oder Tod meiner warten, mich viel ruhiger und heiterer in die Zukunft sehen lassen. Auch Hermann ist Dir sehr dankbar dafür. Ja, ja, Du wirst meine zwei theuren Kinderlein lieben und überwachen, und wenn ich sterbe wirst du sie auch nicht verlassen, bis für sie gesorgt ist. Aber nie, nie dürfen sie nach Öhringen, das darfst Du nie leiden. An mein drittes Kind kann ich noch gar nicht denken, ich kanns kaum glauben, daß es zur Welt kommen kann.- Ich habe gegenwärthig wieder eine schlimme Zeit. Edgar ist wieder unwohl, wird wieder blässer und magerer und ißt nicht, und die Kleine ist bei Tag und Nacht so bös, daß ich oft keine viertel Stunde schlafen darf. Dazu habe ich oft solche rasenden Zahnschmerzen, daß ich schreie wie besessen. Übelkeit und Kreuzweh ist natürlich auch schon da, und ich bin mit einem Worte eine wandelnde Lazarusin. Seit ich weiß, daß Du zu mir kommst, bin ich aber heiterer und verscheuche oft die schwermuthsvollen ahnungsreichen Stimmungen. Das beste gegen solche schwarzen Mücken ist allerdings, daß ich rasend viel zu thun habe. So habe ich zu allem übrigen eine schw. Weste zu stricken angefangen, die bis Weihnachten fertig sein soll und mir ungeheurer zu schaffen macht bei diesen dunklen kurzen Tagen. Ich wünsche oft, Du könntest mir helfen, es will nicht recht schön werden. Sie ist nicht für Hermann, sondern für ein anderes Mannsbild.- Mit Freuden habe ich gelesen, daß Du wieder etwas mehr essen kannst. Du darfst eben durchaus einmal nicht im Schmerz un- tergehen, denn Du mußt andern Menschen noch so viel sein. Das Grab hat keine Rechte an Dich, diese gehören nur dem in Deiner Erinner- ung und in Deinem Herzen stets noch lebenden Julius, und dieser gehört also, wie Du selbst, dem Leben an. Auch der Schmerz ist Leben, und so Du diesen lieb hast, muß Dir auch das Leben wieder werth werden. Du glaubst jetzt Du seist eine Mumie, Du seist todt, verrückt. Ich kenn Dich besser als Du selbst: dazu ist Dein Herz zu reich. Ein weiches glühendes Herz wie Du kann wohl den freiwilligen Tod wählen, wie Julia, aber glaube mir, hätte eine Freundeshand "Julia" zurückgehalten, so hätte auch sie müssen zum Leben zurück- kehren, zum warmen Leben, das auch versteinerte Herzen aufthauen läßt und Keime treibt und Reifes wird. Ich mache einmal den Anfang bei Dir. Ich umklammere Dich mit dem Leben durch die Last, die ich auf Dich werfe, wenn die Welt und die Zukunft noch weitere Anforde- rungen dann an Dich thun, wirst Du inne werden, daß Du nicht nutz- los lebst. - Hermann läßt Dir sagen, das besagte Papier sei noch von Karlsruhe, er hat aber im Großhandel ähnliches bestellt, von dem er Dir dann schicken wolle.

Wegen dem Shakespeare darfst Du Dir durchaus keine Skrupel machen, das ist Heinrich ganz gleichgülthig, ob er einen neuen oder den alten bekommt, auch auf die Ausgabe und das Format brauchst Du nicht zu sehen, denn solche Dinge haben nur für Frauen und für Liebende Werth.- Die Männer fragen nichts danach.

Bis August komme ich also nieder und Deinen Vorschlag nehme ich an unter der Bedingung, daß es Deine Gesundheit erlaubt, daß Dir bis dahin nichts anderes in den Sinn kommt und daß Deine Mutter gesund Deiner nicht bedarf und nichts dagegen hat.- Verzeih, mein liebes Herz, daß ich Dir solchen Wisch schreibe, aber ich habe keine weitere Sekunde aufzufinden.

Mit 1000 herzlichen Grüßen und Küssen
Deine Marie.
Hast Du in der Zeitung gelesen, daß eine reiche Miss. Nightingale mit vielen andern Engländerinnen als Schlachtjungfrauen in den Orient gezogen, die Verwundeten zu verpflegen?
15. December Mein Brief blieb ein paar Tage liegen, weil zuerst Edgar und darauf ich krank wurde. Beim Bubele ist`s jetzt wieder vorbei, aber mir ist so schlecht und übel zumuthe, daß ich die ganze Welt... möchte. Adieu. Beifolgendes heb` auf.

Stuttgart,16. 3. 1855

Meine liebe Marie!
(blauer Brief)
In unseren großen Streitfragen habe ich Dich soweit gebracht, daß Du Dich, wenn auch vielleicht unbewußt, mit Gründen über Ausreden gibst, und nur Dein Gefühl die Fahne des Kampfes aufrecht halten läßt. Da gegen läßt sich nun nichts sagen, und ich gebe meine Polemik auf, bis in jene Zeit, wo Dir eine objective Anschauung der Dinge möglich ist. Diese wird kommen, Du magst Dich dagegen wehren soviel Du willst. Jeder Schmerz vernarbt, jede Leidenschaft zehrt sich endlich in sich selber auf und wenn Deine Wunden vernarbt sind, wollen wir weiter reden und dann soll sich zeigen wer recht behält. Ebenso ist es eine natürliche Sache, daß einem ein entrissenes Gut nach dem Verlust noch viel werthvoller vorkommt, als zur Zeit des Besitzes. Ja sogar in umgekehrtem Falle wird Dir ja Dein größter Feind, wenn ihn der Tod erreicht, zum Gegenstand des Bedauerns werden. An die Stelle des Hasses tritt menschliches Mitgefühl. Daher die Vergötterung, die Du jetzt für Deinen Geliebten hegst und die natürlich kein Produkt objectiver Beurtheilung, sondern blos Deine Empfindung ist. Du kannst mir das nicht übel nehmen, ich gehöre ja gewiß nicht zu jenen, die Deinen Julius mit ungünstigen Augen betrachtet haben. Ich habe alles edle, alles wahre, alles strebsame und liebenswürdige in ihm erkannt, so gut wie Du, oder besser als Du, weil ich ihn mit der Waage der heller sehenden Freundschaft und nicht der übertreibenden Liebe gewogen, aber eben deßwegen sage ich Dir auch: "Du schwärmst von einem nicht dagewesenem Ideal, wenn Du von Vollkommenheit sprichst. Von Vollkommenheit kannst Du nur bei einem gereiften Denker, der alle Schätze des Wissens durchdrungen, der sich zur völligen Klarheit empor geschwu- ngen, sprechen. Und hättest Du selbst einen Göthe geliebt, so würde ich doch sagen, es hat schon viele solche gegeben, und wird noch viele solche geben und wenn nicht gleiche, doch andere, die ebenso bedeutend in anderer Richtung sind. Gab es mit Göthe nicht auch einen Schiller, einen Jean Paul. Die Natur erschöpft sich nicht in einem Menschen und wenn sie auch einen solchen, ein wahres Phäno- men hervorgebracht haben sollte.-

Daß Du mich nicht für eifersüchtig hältst, hast Du sehr recht, aber ich rechne mir das nicht als so großen Verdienst an, es liegt eben einmal nicht in meiner Natur. Ebenso ist es vielleicht eher ein Stempel derselben, daß ich keine Leidenschaft der Liebe mehr kenne, sie auch nie so gekannt habe wie Du. Ich bin eigentlich gar nicht einmal verliebt. Mein Liebe zu Hermann ist recht objectiver Natur ehe sie subjectiv ist. Und obgleich ich in meinem Jungen keinen geringen Ehrgeiz für ihn hege, so ist mir doch jede schwärmerische Vergötterung, jeder Autoritätsglaube an ihn fremd. Es ist gut, daß ich so leidenschaftslos und ruhig geworden, denn sonst wäre ich wahrscheinlich unglücklich. Hermann ist eine viel zu ruhige beschau- liche Natur, als daß er ein leidenschaftliches Ungestüm, wie ich es allerdings auch eine Zeitlang empfunden, ertragen könnte.

Daß Fetzer (Anm.) seine Schwägerin Hermine heirathet, wirst Du wissen. Er ist überglücklich und strahlt vor Wonne! Und doch hat er seine Frau recht innig geliebt, und doch hat auch er sich gewiß am Sarge seines Weibes gesagt: "Das Leben ist ohne Werth für mich." Daß es so und nicht anders ist, daß die Zeit eine so heilsame Ärztin ist, ja noch das einzige Glück, dessen sich die Menschen erfreuen, sonst wäre ja lauter Jammer und Elend auf Erden. Auch Berthilde ist glückliche Braut mit einem H.Stockmaier.

Vom Kommen schreibst Du ja kein Wort. Du willst scheints nicht zu uns, jedenfalls pressierts Dir nicht sehr.

Bei meinen Kindern steht es gut, nur macht mich die Kleine ganz todtmatt, weil sie Tag und Nacht nicht von meinem Arme weicht. Edgar wird täglich liebenswürdiger, hat aber etwas entsetzlich vornehmes, aristokratisches an sich, man meint, er sei ein Prinz. Deinen Brief habe ich Deiner Mutter geschickt und konnte ihn, meines Schnupfens wegen, nicht selber hintragen, auch war`s mir bis heute unmöglich hinzugehen. Deine Mutter sagte mir, sie war nämlich bei mir, Du schaffest viel. Lasse doch diese Handarbeiten gehen, das kann Dich nicht zerstreuen. Lese,- suche Deinen Geist immer mehr zu bilden, das ist gewiß immer auch ein schöner und hoher Zweck des Lebens, und wenn er auch bloß Selbstzweck ist. Du hast viele reiche Naturanlagen die alle durch Deine ländliche Erziehung brach liegen und Dir vielleicht erst Durch Julius bewußt geworden sind, bilde sie jetzt aus. Das ist ein weites großes Feld, wo Du, wenn auch nicht befriedigendes Glück, doch Ersatz finden kannst.

Und nun einen herzlichen Kuß. Mit Liebe,
Deine Marie
Stuttgart, 16. März

(Anm.: Fetzer, Carl August, 1809 - 1885, Mitglied in der Nationalversammlung)

23. 3. 1855

Die Gute, durch eine falsche Brille, theures Herz, hast Du unsere Briefe gelesen. Wie Du nur im Entferntesten annehmen konntest, wir seien Dir böse, daß unsere Trostgründe so wenig Eingang gefunden. Es ist natürlich, daß Dein Schmerz zu groß ist, als daß er der kal- ten Vernunft weichen könnte, und das haben wir auch nicht einmal gewollt. Das einzige was wir bekämpft, sind Deine falschen Ansich- ten und Begriffe, und da hast Du Dich ja, wie ich Dir schon im vorigen Briefe schrieb, schon gefangen gegeben, indem Du Dich ja blos durch Dein Gefühl rechtfertigen wolltest. Und wenn ich gesagt habe, der Kampf ruhe, bis Dir eine objective Anschauung der Dinge möglich ist, so ist dies wahrlich nicht böse gemeint. Willst Du aber lieber fortstreiten, so können wir dies ja bald weiter thun.-

Ein weites Kampffeld. Du schreibst mir wieder die Behauptung Du habest keine Talente und Geistesgaben. Deinen, Dir vielleicht unbewußten geistigen Reichthum will ich Dir mündlich auseinander setzen. Wärest Du hier, wir wollten Dich schon auf geistige Be- schäftigung hinleiten. Ich kann für Dich diesmal blos einige Worte finden, indem ich noch immer leidend bin. Ich habe die letzten zwei Tage so wahnsinniges Zahnweh gehabt, daß ich jetzt so nervenschwach bin, daß alles an mir zusammen zittert. Ich sehne mich unendlich Dich wiederzusehen, und Du weißt gar nicht, wie wohl es mir thut, wie ich mich ordentlich daran sonne wenn Du sagst, Du liebtest mich, denn, wenn ich auch viel ruhiger geworden bin, so ist mein Herz, doch sehr liebebedürftig. Habe deßhalb für Dein liebes Wort 1000 Dank! Komm, komm recht bald! Hermann schickt Dir einen warmen Kuß, wird ihn Dir aber in eigener Person auf die Lippen drücken, denn er ist kein Freund von papierenen Küssen! Deine Tanten wollten mir Dich schon entführen so viel es nur möglich ist. Lebe einst- weilen wohl, Du armes Kind, und komm bald in unsre Arme, an unsere Herzen, die Dir mit Liebe entgegenschlagen!
Deine Marie.
23. März (A.: betrifft die vorhergehenden 2 Trostbriefe zum Tod von Marie Casparts Verlobtem Julius)

Auszüge aus dem Stammbaum Caspart - Kausler

C a s p a r t
Christian Friedrich Gottlob 14. 11. 1794 - 14. 10. 1834
geb. in Eßlingen gest.in Winnenden (?)
Präzeptor in Schorndorf und Professor in Heilbronn
Sohn des Max Wolfgang Heinrich, Baukassier in Eßlingen und der
Marie Auguste geb. Winkler verh. 12.7.1825 in Schorndorf mit
Adelheid geb. Kausler geb. 8. 5. 1806 in Eßlingen, Tochter
des: Dr.jur.Christian Kausler, Ob. Reg. in Stgt. 23.8.1761 - 17.8.1822
(Sohn des Johann Kausler, Pfr. in Oberrot)
verh. mit Friederike Magdalene Reinfelder 13.3.1771 - 27.9.1837
aus dieser Ehe gingen 4 lebende Kinder hervor:
Julius Caspart geb. 25. 4. 1826
Pfr. Eduard geb. 7. 5. 1827
Notar Paul, Heinrich geb. 7. 8. 1829, u.a. Notar in Schwenningen
Maria Adelheid, ledig geb. 19.11. 1830, gen.Marie, das Waldfegerlein
Haushälterin beim Onkel Pfr. Dr. Rudolf Kausler
gestorben 1923 in Stuttgart im Frauenheim, Bismarck - Str. 6 Frauenheim
Anmerkung:
Frau Prof. Caspart in Winnenden (s.auch Katalog S.120) erhielt aus
5 500 fl ein ständiges Grazial a.d.Staatskasse von 70 fl für ihre
Person und 20 fl für jedes ihrer Kinder, also zus. 140 fl. (150!)
Sie zog als Witwe 1844 nach Perouse zu Rudolf Kausler ins Pfarrhaus.

K a u s l e r
Kinder von Christian Kausler, 1761 - 1822
Reg. Rat in Winnenden bis 1803, Oberamtmann in Eßlingen, Neuenbürg
und Göppingen
3 Kinder früh gestorben
4.Eduard Heinrich geb. 20. 8. 1801 in Winnenden gest. 27. 8. 1873 Stgt.
Direktor des Staatsarchivs. (Rudolf war gerne mit ihm zusammen)
5.Eberhardine Wilhelmine geb. 20. 1. 1803 in Eßlingen
6.Ernestine Luise 12. 9. 1804 in Eßlingen
7.Adelheid (Frau Prof.) 8. 5. 1806 in Eßlingen verh. Caspart
8.Carl Adolf (Kind) 7. 7. 1809 in Neuenbürg - Juli 1811
9.Rudolf, Pfr. Dr. Schriftsteller, 26. 8. 1811 in Göpp.- 27. 11. 1874
(Angaben der Familie Caspart - Kausler durch Stadtarchivar i.R.
S c h a u e r, Winnenden, vermittelt durch Frau Reustle Stadtarchiv
Winnenden.)

21. 6. 1856

Liebes Waldfegerlein!

Es ist recht schön von Dir, Daß Du so ein Feuereifer bist und sogar schon geschrieben hast, wenn freilich Deine Worte poetischer wären, die Du uns zu spenden gehabt hättest, wäre es nicht so schnell ge- gangen, Du kleine abstoßende Hexe. Bei Asla also stünde die Sache so übel nicht; ich wollte jetzt nur, es wäre schon alles in Richtigkeit. Schreiben läßt sich darüber nicht, in wieweit mein Schwager sich den Vorschlag zu Herzen genommen hat. Sobald er aber wieder hierher kommt, will ich mit meinem Dir bekannten "Kuppelfanatismus" hinter ihn steigen. Ich möchte diese Asla eben gar zu gern zu meiner Schwägerin, trotz ihrer Frömmigkeit; denn ein Wesen wie Du und ich könnte mein tugendsamer, an allem Hergebrachten hängender Schwager eben doch nicht recht brauchen. Jedenfalls würde ich mich aber bestreben die sanfte Asla vorher etwas durchzuteufeln. - Von Deinem Freunde Guido weiß ich nichts. - Edgar ist seit einigen Tagen etwas unwohl und hat ein garstiges Fieber, deßhalb komme ich auch erst heute dazu Dir ein paar Worte zu schreiben.

Meidinger, Hermanns Verleger, war gestern hier. Dieser erzählte mir von einer Dame, die ihm ein Manuskript angetragen habe, ent- haltend eine Reihe der geistreichsten, prächtigsten, materialis- tischten Briefe an Moleschott,(Anm.) den sie wahrhaft anbete und gegen die meine Schwärmerei noch gar nichts sei. Sie heißt Mathilde Schulter, ich bin eifersüchtig auf sie, das erste mal, daß ich einen solchen Neid gegen eine Schriftstellerin empfinde. Meidinger, der ebenfalls ein andächtiger Verehrer Moleschotts ist, sprach nur mit Entzücken von seiner Antrittsrede in Zürich, er wird sie mir schicken und Du sollst sie auch erhalten, damit Du Guido darüber schreiben kannst.- Sobald ich den Hohenstaufen zurück habe, werde ich ihn Deinem Onkel schicken und ihm schreiben, wenn Du es gütigst erlaubst.

Für diesmal kann ich nicht weiter schreiben, ich bin todtmüde, der kleine Butzel ist auch so bös und etwas unwohl, und da hab ich der Anstrengungen gar viele. Lebe wohl. Hermann küßt Deinen widerstre- benden Mund, und ich packe Dich in Gedanken an Deinen dicken Waden.
Deine Marie
(Anm.: Moleschott, Jacob, 1822 - 1893, Arzt und Prof. der Physiologie, wiss. Materialist. Er behauptet der Mensch sei die Summe seiner Sinne, die Blutbeschaffenheit hänge von der Ernährung ab, alle Lebensvorgänge vom Blute; die Hirntätigkeit sei an das Vorhandensein von phosphor- haltigem Fett gebunden: "Ohne Phosphor kein Gedanke." Wegen dieser Ansichten mußte er Heidelberg 1854 verlassen und ging als Prof. nach Zürich (1856 - 1861) später Turin und Rom. Er gründete die Zeitschrift "Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Tiere." 14 Bd. 1857 - 92 und versch. nicht nur medizinische Bücher. Brockhaus)



(Zettel o. D., ohne Anrede)

Ich stecke gegenwärthig über Hals und Kopf in Kinderkleidermacherei. Hast Du oder Deine Mutter keine Kleider nöthig? Es gibt derzeit so ungeheuer billigen Stoff zu haben. Vom beiliegenden Muster, von dem ich mir und den Kindern Kleider gekauft, kostet die Elle 15 fl, lila chaconet ebenso zu 15. Wenn Ihr was braucht und Du nicht selbst bald hierher kommst, so schreibe es mir nur. Wenn Du Beifolgendes nicht ästhimierst, so werde ich Deine geflickten Strümpfe nicht tragen. Es küßt Dich in treuer Liebe
Deine Marie
Bekanntlich gibt es nicht ein Weibsbild, der nicht eine Berichtigung erforderlich und so hebt auch dieses die seinige nach. Ich habe mich nicht sehr schmeichelhaft ausgedrückt, wie Marie sagt, ich habe viel- leicht geäußert, und ich habe ja außer vom Zusammenbleiben, wenn ich nicht lesen und schreiben möge, denn sie gehe nach 8 Uhr ins Bett und lasse mich allein; wenn Mariele da wäre, die würde aufbleiben und dann wäre was anders. Ich büße durch diese Berichtigung ein wenig bei Dir ein, aber "zwischen uns sei Wahrheit". Hermann, der sich erinnerte, daß Du Zimmetsterne liebst, legt Dir ein paar bei.

7. 12. 1859

Liebe Marie

Deine Briefe machen mir gegenwärtig beständig einen schmerzlichen Eindruck, sie zeigen eine so trübselige winterliche Stimmung, der jeder Sonnenschein abgeht und doch meine ich, Du müßest selbst schuld daran sein, denn Du bist von der Natur mit allem ausge- rüstet um zu gefallen und geliebt zu werden, und wenn Dir die Jugend bälder flieht als sie sollte, so ists weil Du sie selbst verscheuchst mit Gewalt und Absicht. Wie Du äußerlich letzten Herbst begonnen hast Deine natürlichen Reize zu verstümmeln und zu verkümmern und zu verdecken, so machst Du es sicherlich auch in andern Dingen. Ich kann Dir dies nicht deutlich schreiben, sagen will ich Dir es aber einmal.- Wenn nur das Leben bei uns nicht so einförmig und einsam wäre, würde ich Dich bitten auf einige Tage hierher zu kommen, es würde Dich aber nicht aus Deiner Lethargie emporraffen, denn was Dir am meisten fehlt das ist geistiges Leben und Streben. Es läßt sich hier recht gemüthlich leben, die Leute sind uns alle so freundlich gesinnt, aber die Auffrischung des Geistes können wir eben auch nur in uns selbst suchen. Für Hermann ist mir diese große Einsamkeit oft sehr leid, er sollte in einer sehr großen Stadt wohnen, wo das volle Menschen- und Volkesleben an ihn herandrängt, ohne ihn zu zwingen von seinen einsamen Höhen in das Gewühl herabzusteigen, ihm aber doch Gelegenheit geben würde hie und da mit verwandten Geistern zu verkehren und sich zu ergänzen. Das kann aber eben einmal nicht sein, unsere Verhältnisse lassen keine andere Existenz mehr zu, und so muß man aus der Nothwendigkeit eine Tugend machen. Wenn ich freilich oft bedenke wie viel Blüthen unentwickelt in Hermanns geistigem Schaffen bleiben durch die beengenden Sorgen und Verhältnisse, so kann ich wohl zeitenweise auch recht muthlos werden und es verwünschen einer Nation anzugehören, die erst nach dem Tode ihre Dichter anerkennt und dann einen göttlichen Kultus veranstaltet, während Engländer und Franzosen ihre Dichter und Denker so zu stellen wissen, daß sie ihre Geisteskräfte entwickeln können, ohne der steten Gefahr ausgesetzt zu sein Hungers zu sterben.

Von meinem Leben kann ich Dir nicht viel schreiben. Die Schulmeisterei mit den Kindern läßt mir nicht viel Zeit übrig, auch bin ich mutlos geworden einer Beschäftigung, wie ich sie letzten Herbst und Sommer trieb permanent nachzuhängen, weil ich weiter keinen Nutzen daraus ziehen konnte. Ich hatte gewiß eine große Freude und Befriedigung dabei gefunden, aber zwecklos kann ich keiner solchen Liebhaberei mich hingeben. Ich hatte nämlich Grimmschen- und anderen Märchenstoff poetich bearbeitet, und da Hermann damit durchaus nicht unzufrieden war, so hoffte ich einen Verleger zu finden, aber was sagten die Buchhändler alle: "Man wolle jetzt keine Verse mehr und wenn man Jugendschriften schreiben wolle die gehen, so könne dies nur im frömmelndem Sinn sein."- Ich habe auch den ganzen Winter über nichts gelesen, jetzt aber habe ich den zweiten Theil von Röths abendländischer Philosophie zu lesen, ein Studium, das meinen höchsten und einziger Genuß ausmacht. (Anm.)

Als Neuigkeit theile ich Dir die Brautschaft von Carl Rommel mit einem sehr hübschen 21jährigen Mädchen namens Thekla Fischer mit. Lina Weinland hat sich bei dieser Gelegenheit so gemein und widrig egoistisch benommen als man es von der gemeinsten Person erwarten kann.- Bis Mai werde ich niederkommen und gern wollt ich alle Sorgen und Beschwerden gehabt haben, wenn eine kleine Asla ans Licht der Welt kommen würde, nur keinen Buben mehr. Hedwig wird mich im Laufe dieses Sommers auch besuchen, wie mir ihre Mutter schrieb, es steht schlecht in Spanien. Nun aber leb wohl, laß bald wieder von Dir hören, und glaube, daß ich mich immer von ganzer Seele nach Nachricht von Dir sehne, auch wenn ich nicht immer so schnell zum Schreiben kommen kann. Mit Gruß und Kuß,
Deine Marie
Deinem Onkel und Deiner Mutter herzliche Grüße.
(Anm.: Eduard Maximilian Röths: "Geschichte unserer abendländischen Philosophie", Mannheim 1846-58, "Entwicklungsgeschichte unserer spekulativen, sowohl philosophischen als religiösen Ideen von ihren ersten Anfängen bis auf die Gegenwart." Eine zweite Auflage erschien 1862. Vermutlich kannte M. K. auch die Geschichte der griech. Phil. von Röth)

21. 5. 1860

Liebe Marie.

Freitag, morgens 9 1/2 Uhr, 18. Mai 1860 hab ich ohne Hebamme einen dicken großen Buben geboren, und ertheile Dir hievon urkundliche Nachricht. Den Abend zuvor um 9 Uhr bekam ich heftige Krämpfe, die mich gar nicht mehr einschlafen ließen, um 1 Uhr nachts holte Hermann die Hebamme in Eßlingen, diese blieb bis 4 Uhr bei mir, während welcher Zeit die Krämpfe immer fort dauerten, die Hebamme sagte, es könne so aber noch lange Zeit währen, da die ersten Wehen sich noch nicht eingestellt und ging um 4 Uhr morgens fort, um 11 Uhr wollte sie wieder nachsehen. Um 6 Uhr kamen die eigentlichen Wehen und um 9 1/2 war das Kind da. Die Schmerzen konnten mir natürlich nicht erspart bleiben, sie waren, gerade da es schnell ging furchtbar, der Verlauf des Wochenbetts aber ist so leicht und günstig wie nie, ich bin vollkommen wohl - freilich mein Wunsch ein Mädchen an die Brust drücken zu können, ging nicht in Erfüllung - aber die Mutterliebe ist glücklicherweise so stark, daß beim Anblick des Kindes jeder besondere Wunsch schwindet. Der Kleine ist übrigens ein böser schlimmer Gesell, schreit unaufhörlich und läßt mich des nachts nicht schlafen, und säuft wie ein nordischer Gott, etwa wie Asla Thór als er ein Loch ins Weltmeer gesoffen.

Armer Onkel Rudolf, was steht Dir wieder bevor! Wir besinnen uns noch stark auf ein Duzend Namen. Einen hat der Kleine: Garibald und vielleicht auch Tristan. Frau Weißers Mädchen wird Isolde heißen. Heute war Frau Becher bei mir.

Leb wohl und sei aufs herzlichste gegrüßt und geküßt von
Deiner Marie
Mittwoch

o.D. (1860?) Sonntag

ohne Anrede,

Parceque, daß das Gehirn der Frauen leichter sei als das der Männer, daß den Frauen auch alle Fantasie und alle Poesie abginge, er wenigstens habe noch nie ein phantasievolles Weib gekannt. Ich lachte ihn natürlich aus und verwies ihn auf sein eigenes Schwesterlein und die, behauptete er, ja gerade Du seist so prosaisch, fas- sest alles von der nicht poetischen Seite auf, daß das nur eine Bestätigung seiner Ansicht sei.-

Wie kommt das? Gibst Du Dich den Deinigen nicht wie Du bist und haben nur wenig Auserlesene in den reichen Schatz Deines Herzens und Geistes blicken dürfen.

Von uns, liebe Marie, kann ich Dir wenig schreiben, die Tage verlaufen trübselig, und verstünd ich nicht die Kunst meine Fantasie zu berauschen, so würde die kalte rauhe Wirklichkeit mich manchmal hart darnieder werfen. Ich muß sehen, wie sich Hermann abzappelt und plagt, und trotz der geisttödtenden Hetze kann er nicht so viel erringen, um nur die Noth uns vom Leibe zu halten. Jeden Tag hofft man auf irgend ein Ereignis, jeder verstreicht ohne auch nur die geringsten Hoffnungen vernommen zu haben. Alle buchhändlerischen Verbindungen, die er anzuknüpfen sucht, kommen nicht zu Stande, und die Abende sind sehr traurig. Da sitzt er trübe vor sich hinbrütend, zerfallen, mit dem Leben unzufrieden, ohne Freude, ohne Anregung, ohne Ansporn. Und an diesem verfehlten und geknickten Dichterleben bin ich schuld. Wäre ich nicht in seinen Lebensweg getreten, wie ganz anders, wie sorgenfrei stünde er da, wie hätte er die Schwingen entfalten können und welchen kühnen Flug hätten sie vielleicht genommen. Meine Liebe, mein Enthusiasmus mußte ihm zum Fluch wer- den. Und dies drückt mich oft so fürchterlich darnieder. Ohne Familie oder mit einer reichen Frau, hätte er sich selber sein Leben gestalten können. Laß mich schweigen, kein Gott nimmt mir diese quälende Selbstanklage. Was hilft mir alle Selbstverleugnung in der Liebe, - er ist gebrochen - lebenssatt. Ich sage Dir nur noch ein herzliches Lebewohl, was soll ich weiter klagen, wo nicht zu halten ist. Es geht so lang es geht. Hätt ich doch die schriftstellerische Begabung die in Dir ruht, so würde ich wagen mir bei einem Journal Bahn zu brechen, aber ich kann blos Verse machen, eine Novelle brächte ich nicht zu Stande. Frag einmal Deinen Onkel, ob es denn gar nichts in dieser Richtung für mich gäbe, und laß uns zusammen etwas versuchen und hilf mir. Hedwigs Abreise that mir sehr weh. Es thut so gut sich von jemand in solchem Umfang geliebt zu wissen, und ist die Liebe auch ohnmäch- tig Verhältnisse zu ändern, so ist sie doch mächtig genug sie tra- gen zu helfen. -

Lebe wohl, ich küsse Dich mit liebendem Herzen. Von Hermann die besten Grüße, er sei matt, sonst würde er selbst noch ein paar Worte beigesetzt haben.
Deine Marie
Sonntag
Ergänzung
Bei Deinem Bruder will ich den Brief und die Bücher abgeben.

o. D. Dienstag früh

(blauer Zettel)
Liebe Marie!

Ich komme mit einer großen Bitte, sie ist zwar unbescheiden, doch denke ich, wirst Du das nicht so genau nehmen. Ich habe heute die Näherin, die mir eine schwarze Mantille (Anm.) machen soll, ähnlich der, die du besitzt. Nun sagtest du mir aber gestern von einigen Veränderungen die man daran machen lassen soll. Dies kann ich ihr nicht beschreiben und so bitte ich Dich denn geschwind ein bißchen herüber zu kommmen und sie anzugeben.

Eiligst
Deine Marie Kurz
(Anm.: Mantille = leichter Frauenmantel des 19. Jahrhunderts)

o.D. (30. 9. 1860)

Liebe Marie, Heute starb nach namenlosem Leiden und nachdem sie vorgestern noch zuvor eine "fausse couche" gemacht, die arme Frau Rommel.(Anm.) Nun zeigen sich aber bis jetzt durchaus keine Todtenzeichen, und sie wird deßhalb erst am Mittwoch begraben. Hermann läßt daher Deinem Onkel sagen, daß wenn er in diesen Tagen d.h. entweder morgen oder Dienstag oder Mittwoch die Taufe vorzunehmen gedachte, die Sache noch aufgeschoben bleiben sollte bis zu seinem nächsten Kommen. Von Donnerstag an natürlich wäre es etwas anderes. Rommel ringt mit der Verzweiflung und Hermann findet es daher unpassend, da wir auf freundlichem Fuß mit ihm stehen, in den ersten Tagen eine Taufe vornehmen zu lassen, zudem wäre am Tag eines Leichen- begangs auch der Küster in Anspruch genommen. Dein Onkel möchte aber jedenfalls hieher kommen, da er sich sehnt ihn wiederzusehen, Dich bitte ich, es Frau Weißer sagen zu lassen, denn ich bin so erschöpft und alteriert, daß ich nicht noch einmal schreiben kann. Vor Donnerstag also nicht. Gib mir bald Antwort. Sonntag.
Deine Marie
(Anm.: Thekla Rommel geb. Fischer, 10.10. 1837 - 30. 9. 1860 s. Foto vom Familiengrab in Obereßlingen)

2. 12. 1860

(von Esslingen nach Stötten bei Geislingen 3 Kreuzer Porto)
Meine liebe Marie,

Dein Brief hat mir wohlgethan vom Wirbel bis zur Zehe und ich würde Dir längst geschrieben haben, wenn ich eines Theils nicht so sehr durch Unwohlsein der kleinen Kinder in Anspruch genommen wäre, andrerseits nicht hätte warten wollen bis Hermann Deinem Onkel schreibt. Nun hat er in Gedanken dies längst gethan, in Wirklichkeit aber wird er durch seine Arbeit die er begonnen, und die ihm unendlich hart geht, davon abgehalten, Dein Onkel soll einstweilen mit dem guten Willen vorlieb nehmen bis er besser im Zug ist. Für fremde Ohren mag das sonderbar klingen, wer aber Hermanns peinliches Arbeiten kennt, weiß daß das geringste Intermezzo ihn dermaßen stört, daß er wochenja monatelang seine Gedanken nicht mehr zusammen bringt.

Daß Dir Hermanns Erzählungen einen so harmonischen Eindruck gemacht, hat mich unendlich gefreut, so etwas zu hören ist mir immer voller Ersatz für so manche Sorge und so manchen drückenden Gedanken. Mir haben die Jugenderinnerungen und das Heroslose (?) beides ganz neu - am besten gefallen. Ach und wie manche schöne Blüthe könnte seine Muse noch tragen, wenn nicht die Verhältniße seines Geistes Schwingen gelähmt hätten! Ich selbst habe so viel glücklichen Leichtsinn, daß ich alle Sorge vergessen könnte, daß ich glücklich im Besitz dieses Mannes und meiner talentvollen Kinder dahinleben könnte - wenn ich ihn heiter und glücklich sähte, aber seine Jugend ist dahin und oft meine ich er werde nie wieder heiter. Ich fühle mich so jung, habe noch ganz die alte Kraft des Enthusiasmus und möchte so gerne glücklich sein. Es würde mir oft recht wohl thun, wenn ich öfter um Dich sein könnte, doch bin ich nicht so egoistisch, Dich in unsern Käfig einzuladen; und nicht einmal im Briefwechsel kann ich Ersatz dafür suchen, denn es können Monate vergehen, daß ich keine halbe Stunde erschnappen kann: Kinder waschen, Hosen flicken und neu machen, Schulmeistern mit drei Kindern morgens und nachmittags und wo bleibt da noch Zeit, - und dazu ein so gewalthätiges Garibaldikind, das sich nicht einmal schlafend in die Wiege legen läßt. -

Kommst Du nicht über Weihnachten nach Stuttgart. Wenn dies ist, dann könntest Du wohl auf ein oder zwei Tage zu mir kommen. Die Kinder sind viel unwohl. Isolde leidet am Magen und Garibaldi zahnt so schwer, daß ich recht schlimme Nächte mit ihm habe. Bis Dein Onkel kommt kann er das Waschbecken selbst halten. Er sagt schon "Mama". Mit Frau Weißer komm ich fast nie zusammen, ihre kleine Isolde fesselt sie eben auch beständig ans Haus. Wir leben wie die Einsiedler, kommen wochenlang nicht aus dem Zimmer und H. Hopf ist die einzige Berührung mit der Außenwelt.

Hedwig ist wieder nach Spanien, von sonstigen Bekannten sehe ich nichts. Wenn Du in Deiner Muße mir öfters schreiben wills, so würdest Du mir damit eine große Freude machen, abrechnen darfst Du aber nicht, kann ich, so schreibe ich, schreibe ich nicht, so darfst Du überzeugt sein, daß es unmöglich ist und dann muß es Dich nicht verdrießen wieder nett mit mir zu plaudern und mir diese angenehme Zersteuung in meinem Trubel zu gönnen. Jetzt muß ich schließen, Baldele schreit wie toll, grüße Deinen Onkel und sei aufs herzlichste gegrüßt und geküßt von

1. Dec.
Deiner Marie

o. D. Donnerstag (Umschlag vom 26. 12., Jahr nicht lesbar, liegt bei 1860)

Geliebte Marie.

Du hast einen so grenzenlosen Jubel bei meinen Kindern durch Deine nur zu reichen Gaben erzeugt, daß ich Dir die Beschreibung davon gar nicht zu machen im Stande bin. Edgars höchster Wunsch ist schon längst eine Kanone und ein Schiff das das Wasser vertragen kann, ich kaufte ihm an der Messe deßhalb eine kleine Kanone zum Erbsen schießen; als nun Deine schöne wehrhaftige Kanone zum Vorschein kam wurden die Erbsen in Alfreds Besitz degradiert. Überselig war Erwin mit seiner vollkommenen Rüstung, denn zu Trommel, Flinte, Patronentasche erhielt er von Herrn Hopf auch noch einen Kavalleriesäbel und stolziert heute ganz stolz als Krieger umher. In Isoldes schön ausgerüsteter Küche prangt Dein Einsatz als Hauptstück. Du hast den Kindern übermäßig viel und auserlesen schöne Sachen geschickt, und obgleich ich beim Anblick derselben selbst hell aufgejubelt, kann ich doch heute über das peinigende Gefühl nicht Herr werden, daß Du so viel Geld für meine Kinder ausgibst. Hättest Du dessen in Hülle und Fülle, wollte ich gewiß darüber mit Dir nicht rechten, aber Du mußt Dir dadurch Entbehrungen auferlegen und das drückt mich. Hermann läßt Dir recht herzlich für sein Geschenk danken, will aber wissen weßhalb Du einen Hasen als Symbol gewählt? Der gestrige Tag lief recht fröhlich und ungetrübt ab. Die Kinder hatten noch nie einen so reichen schönen Christtag, auch der Baum prangte noch nie in solcher Pracht, Hülle und Fülle. Ich habe am wenigsten dißmal gekauft, aber die Hopfs, Frl. von Bär und Frau von Rieger haben die Bescherung lawinenartig anwachsen gemacht. Für Isolde allein habe ich viel und nett gedockelt, ihr Puppennest ist neu eingerichtet und alle Püppchen aufs eleganteste gekleidet. Die Großen habe ich in prachtvolle Ballkleider gesteckt und hatte in Massen gemacht. Auch Backen ließ ich dißmal, zwar keine Lebkuchen und Springerle aber so andere Kleinigkeiten, so köstlich freilich nicht wie Du. Dein Backwerk übertrifft immer Alles! Ich hatte mir vorgenommen noch einmal recht heiter und recht glücklich im be- glückten Kreis meiner Kinder zu sein, alle Sorgen und alles Schwere was mir bevorsteht hinter mich zu werfen und es gelang mir auch vollkommen für einen Tag.

Ich habe eine qualvolle Zeit hinter mir. Vier Monate war es mir so graulich schlecht, das Erbrechen wollte kein Ende nehmen, lange Zeit blieb keine Speise mehr bei mir, ich mußte mich blos mit Champagner ernähren und lag oft tagelang von Magenschmerzen und Übelkeit gequält zu Bett. Das war eine Zeit an die ich denken werde. Und leicht wären noch die physischen Leiden zu tragen gewesen, wenn nicht der moralische Druck dagewesen wäre. Wie fürchterlich mirs aber ist, ein fünftes Kind zu bekommen. Die Noth die oft schon jetzt so drückend ist noch zu vermehren, kannst Du Dir gar nicht denken. Ich weiß wohl, daß ich inmitten aller Sorgen, Grund genug habe mich glücklich zu schätzen, ich erkenne auch Alles an, aber der Gendanke meine armen Kinder blos für Noth und Elend groß zu ziehen das ist dann doch oft zu niederdrückend. Das war auch der Grund natürlich verbunden mit meinem Unwohlsein, daß ich Dir nicht schrieb. Ich war zu trostlos und köperlich zu elend um mich auf- raffen zu können. Als es mir besser ging, und das ist erst seit 14 Tagen da gestehe ich Dir ehrlich hielt mich der bevorstehende Christtag vom Schreiben ab - ich hoffte nämlich Du werdest dieses Jahr Isoldes Geburtstag vergessen.- Daß ich inzwischen Aslas Bekanntschaft gemacht habe, wirst Du wissen, sie hat mir trootz ihres Ernstes und einiger moralischer Philisterhaftigkeit sehr gut gefallen. Auch Eleonore war vor einigen Tagen hier und hat Hermann ziemlich in Flamme gesetzt, er war wenigstens sehr zärtlich gegen sie. Wie gern möcht ich sie zur Schwägerin, mein Schwager war ein rechter Esel. Mit Bedauern vernahm ich aus Deinem Brief, daß Deine Mutter leidend ist, und daß Dir ein arctischer Winter in Deinem Stuttgart droht.

Laß wieder von Dir hören und nochmals herzlichen Dank und sei geküßt von
Deiner Marie

30. 1. 1861 , Mittwoch

Liebe Marie.

Es ist recht aufopfernd von Dir und Deinem Onkel, daß Ihr uns die bittre Pille so süß wie möglich eingeben wollt, wir hätten im andern Falle Garibaldi ungetauft. Vom ersten Oktober an ist uns natürlich jeder Tag recht, doch bitte ich Dich, wenn es Dir möglich ist uns den Tag an dem Dein Onkel herkommt mir vorher anzuzeigen, weil Hermann nicht aufs Geradewohl die Sache mit dem hiesigen Pfarrer abmachen will. Es ist darum besser, Du gibst Deinen Brief Hopf mit, der vor dem Tübinger Thor bei Gärtner Kugler wohnt, da die Bötin blos dreimal in der Woche nach Eßlingen kommt. Ich freue mich recht Dich auch einmal wieder zu sehen, und wenn ich mir die Eifersucht jemals erlaubt hätte, so wäre ich jetzt auf Otto M. recht eifersüchtig, weil Du immer dort steckst. Nun kommt aber noch eine Bitte an Deinen Onkel. Das kleine Weißerle ist auch noch vom Teufel und seiner Großmutter von der bleichen Hekate und der blauen Hol und vom ganzen Hexensabbath besessen. Kann, darf und will wohl Dein Onkel die kleine Isolde zugleich taufen. In diesem Falle käme Frau Weißer mit der Kleinen hieher.- Garibaldi ist ein prächtiger Bube an dem Du Deine Freude haben wirst, ich bin jetzt ganz damit ausgesöhnt, daß es kein Mädchen ist, ich hätte ja sonst nicht die Freude gehabt ihn Garibaldi zu nennen.

Grüße Otto M. freundlichst von mir und sei von mir und von Hermann auf`s herzlichste geküßt
D.M.
Ich erwarte also noch einen Brief von Dir.

Freitag 19. 7. 1861

Liebe Marie.

Da Du so eilig Antwort über das Kinderbuch begehrst, so schreibe ich Dir, was ich sonst nicht gethan haben würde, da ich in einer desperaten Stimmung bin und sie nicht bemeistern kann. Das fragliche Buch in dem Dein Waldfegerlein vorkommt ist eine "Lieder- fiebel", das ganze Kinder und Familienleben nach seinen verschiedenen Stufen dargestellt in einem vollstimmigen Chore deutscher Dichter, Eßlingen bei Conrad Weichard. Vom Waldfegerlein kommt aber blos der erste Abschnitt: Waldfegerlein. - Meine Kinder haben dieses Buch. -

Daß Du mir so lange nicht geschrieben hast, hat mir weh gethan, obgleich ich mir selbst sagte, daß Du in Deinem Wald- und Traumleben die Stimmung nicht haben werdest.- Wenn es Dich glücklich macht, so fahre nur fort Dich einzuspinnen in den Liebestraum - wer der Gegen- stand ist, ist eigentlich ganz einerlei - es ist eine Apotherose der Liebe - nur thue es Dir selbst zu lieb und zeige Dich eine Zeit lang kalt. - Was Du aber auch an Schmerzen leiden magst, sage Dir, daß es nichts ist gegen die Qual, ein geliebtes Wesen unter den erbärmlichsten Sorgen erliegen zu sehen, einen Geist, dessen gewaltiger Flügelschlag gelähmt, ja vielleicht gebrochen wird von der Wucht der erdrückenden Verhältnisse.

Seit April arbeitet Hermann wie ein Lastthier und was er sich nun bei einer vortrefflichen Arbeit, die von einem jeden (auch vom Verleger) der sie zu Gesicht bekommt anerkannt wird, in dieser Zeit erworben hat sind ungefähr 140 fl. Der Verleger nähmlich läßt die Arbeit in einem Druck drucken, der dreimal so viel ... verschlingt, wie sonst H... sehr kleine Handschrift. Und doch ist er an diese Arbeit gebunden, denn er sagt er könne gegenwärthig keine Novellen schreiben, auch gefallen seine Novellen dem gewöhnlichen Publikum nicht und er laufe somit sogar Gefahr wenn er sich einen Monat lang darauf besonnen habe, sie zurückgewiesen zu sehen. Ich fürchte es wird noch übel mit uns enden, wenn nicht ein unverhofftes Glück vom Himmel fällt. Es ist doch schrecklich, daß es für einen Mann mit Hermanns Talenten und seinem Wissen ihm nicht möglich werden solle seine Kinder zu erhalten. Mehr kann ich heute nicht schreiben. Deinem Onkel darfst Dus sagen, daüber schreiben darfst Du aber nicht. Wenn nur irgend ein Journal für Hermann als Redaktion zu finden wäre. Lebe wohl, mit treuer Liebe
Deine Marie

o.D. (1861 oder 1862?) Samstag

Geliebte Marie

Wenn ich es diesmal länger anstehen ließ Dir zu schreiben, so geschah es mit dem guten Vorsatz Dir ausführlich zu schreiben, Dich mit Kreuzen und Querfragen so zu packen, daß die böse Shpinx sich mir gefangen geben müsste, statt mir jedesmal nur Räthsel vorzutragen, über deren Lösung ich mir den Kopf zerbreche. Denn wenn ich einmal die feste Überzeugung gewonnen habe den Gegenstand Deiner Unruhe zu errathen, so überzeugt mich ein hinzugeworfenes Wort, daß es nicht so ist. Wollte ich nun aber diesen ruhigen Augenblick abwarten, wenn es mir möglich wäre meinen Geist so zu sammeln, sodaß er sich in eine logische Disputation und Inquisition mit Dir einlassen könnte, so müßte ich lange warten. So mußt Du eben lieber auf große ausführliche Briefe verzichten, weil ich am Ende Dir schriftlich Dein Geheimnis nicht entlocken kann.

Tausend Dank für Dein allerliebstes Kleidchen und für die Zuckersachen, die den größten Jubel hervorbrachten. Das Kleidchen ist vollkommen recht, und wenn ich wirklich die Versicherung habe, daß es kein Raub an Geld und Zeit ist, so will ich Dir gern auch im Laufe des Lenzes ein Kleidchen von Isolde schicken. Was bist Du doch für ein komisches Ding? Meinst Du denn ich könne jenes Gefühl sich nützlich zu machen, seinem Nebenmenschen Opfer zu bringen nicht auch begreifen und würdigen. Es bedarf da wahrlich keiner belächelnden fremden Ansichten und Irrthümer. Der Mensch hat einen zweifachen Druck in sich, der erste thut sich in Wilhelm Meisters Lehrjahre im erster Theil des Fausts kund, der zweite Theil im Faust. So war es auch bei Dir. Für den Augenblick meine ich, Du seist eher wieder in die Sturm- und Drangperiode des ersten Theils zurückgekehrt. Um mich aber einer Kritik über Dich zu unterziehen, um Dir sagen zu können, was wohl die Leute an Dir aussetzen könnten, müßte ich erst wissen, ob das nicht eine Art Hypochondrie von Dir ist, ob Du Dich nicht vielleicht täuscht.- Ich für meinen Theil hätte noch etwas äußerlich an Dir auszusetzen und zwar Deine häss- lichen Altweiberhüte und deine glatte Frisur. An mir kannst Du da- gegen meine zerrissenen Schuhe und mangelhaften Strumpfbänder, (oft nehme ich einen Strick, oft eine halbe Windel oder ein Kinderhäubchen) aussetzen. Es kann übrigens keine größere Ähnlichkeit mehr existieren als zwischen Hermann und Dir. Dieselbe Stimmung gibt sich auch bei ihm in allem kund, er zieht sich in die innersten Winkel seines Selbst zurück, und schickt er einmal prüfend seine Fühlhörner aus seinem sicheren Gehäuse heraus, so ist es auch gewiß nur, um sie empfindlich anzustoßen. Er läßt Dir auch sagen, es geht ihm eben wie einem Storchen der einem lahmen Flügel hatte, und den deßhalb seine Brüder, die andern Störche, vollends wegpickten.- An einen Glücklichen wagt sich niemand, wo aber ein Wunde geahnt wird, wird eingepickt! Alles was Du von Dir schreibst, klingt in derselben Tonart von Hermanns unseligem Unkenliedchen an, und ich gebe es zu, ihr habt beide denselben Grund dazu. Er wie Du, ihr fühlt Euch nicht an dem Platze, wozu die güthige Natur, die Euch so reichlich ausstattete, hingewiesen hätte. Es sind freilich verschiedene Schmerzen und verschiedene Entbehrungen, aber sie laufen am Ende auf dasselbe Resultat hinaus. Wolltest Du Deinen Weltschmerz nicht zu dem seinigen tragen und ihn aufzuheitern suchen?- Doch nun auch zu Deinem Plan Dich literarisch zu beschäftigen. Freilich bin ich mit einverstanden und habe die allerbeste Zuversicht, daß es Dir vollkommen gelingen wird. Daß Du anziehend zu schildern verstehst, weiß ich aus Deinen Briefen. Du hast Zeit, hast viel gelesen und in Dich aufgenommen, hast über Dich selbst nachgedacht, über das was Du empfunden, warum solltest Du es nicht wiedergeben können unter andern Formen. G.Sand (A) wäre nicht so groß geworden, wenn sie nicht so viel gefühlt, weit nachgefühlt und gedacht hätte über sich selbst und die andern Menschenkinder.- Früher bist Du mir oft als Flämmchen und als Mignon erschienen. In Deinen späteren Jahren bist Du zu philosophisch geworden um diese holden Kinder der Fantasie mehr vorstellen zu können, aber Deine Gedanken müssen wenigstens derartige milde Geburten hervorbringen können. Laß eine produktive Stimmung nicht unbenützt vorrüber gehen, denn ich glaube, daß Du Dich dann, wenn Dir etwas gelingen sollte- recht glücklich fühlen würdest, wenigstens auf einige Zeit- es wäre eine zweite Jugend, die in Glanz und Farbenpracht auftauchte. Nimm Deine duftigen Träume zu Hilfe und mache aus ihnen und aus Deinen Gedanken und Empfindungen zusammen ein Ganzes. Wenn Du etwas zu Stande gebracht hast, so schicke es mir auch bald, denn ich bin zu begierig darauf. Du fragst nach den Kiern und ihrem Lernen? Edgar und Isolde haben seit Weihnachten das Lateinische angefangen. Freilich nur bei mir, doch konnte ich vorderhand genug für den ersten Unterricht, ein Jahr und darüber kann ich es gut versehen, was dann geschieht ruht im Dunkel der Zukunft. Blos zum Rechnen, worin ich selbst keine Heldin bin, lasse ich den Professor kommen, die beiden Ältesten haben also jeden Tag Deutsch, Französisch und Lateinisch und ein paar mal Rechnen in der Woche. Auch mit dem Butzel (Erwin) habe ich seit Herbst angefangen. Er liest ziemlich fehlerfrei, lernt sehr leicht, ist aber ein fauler Strick. Du siehst, daß meine Zeit ausgefüllt ist, und daß ich auch außerdem selbst noch mich mit der lateinischen Sprache abquälen muß. Es macht mir aber große Freude, und es ist mir ein süßes Gefühl, daß ich meinen Kindern mehr als blos Wärterin und Amme sein kann. Freilich komme ich vor lauter lateinischen Regeln nicht viel zum Lesen. Doch hatte ich im Winter den schlafenden Garibaldi im Arm, (es ist nämlich seine Eigenschaft blos auf dem Arm zu schlafen) so las ich den Hopfischen Mädchen den Faust, Romeo und Julia, und einiges von George Sand vor.

Mit Marie und Deinem geistreichen Vetter ist es glücklich zu Ende gegangen. Kausler hat im ersten oder zweiten Brief am Ende geschrieben: "Gott, unser aller Vater, sei mit uns allen. Amen." Du kannst Dir denken, welche Nuß zu knacken das für die atheistisch erzogene Marie war und wie Hopf die Augen aufriß. Kurz und gut, die Geschichte ging aus und das war das Beste daran. Seither ist der arme Tropf wieder lustiger.

Hermann hat seit ein paar Tagen den Text zu Weißers Atlas (Anm.) übernommen. Gestern waren Nitschke, Weißer und Herdtke in dieser Angelegenheit bei uns. Es ist doch freilich keine Arbeit, die ihm eine große innere Befriedigung geben wird, aber für den Augenblick deßhalb geeignet, weil er nach einer langen, viele monatelangen Verstimmung doch nicht zu einer wirklich productiven Arbeit aufge- legt sein würde. Dieses Unternehmen entreißt uns wenigstens für den Augenblick der drückensten Noth. Jetzt, da ich wieder Fahrwasser sehe, darf ich wohl von der vergangenen Windstille reden! Du darfst aber nirgends darüber schnaufen. Wir sind recht froh, daß durch den neuen Gesetzentwurf, der allen Gläubigen und Nichtgläubigen gleiche politische Rechte gewährt, wir nun im Stande sind Deinen Onkel für Garibaldi und alle seine Nachfolger seines Freundschaftsdienstes zu entbinden. Das gilt jedenfalls für Alfred auch, der offiziell noch nicht mit seinen Rechten versehen war. Dein Onkel darf nun kommen, und wir können uns umso mehr auf ihn freuen, da keine egoistischen Hintergedanken dabei ins Spiel kommen.

Lebe wohl, liebes Waldfegerleln, das zur Stubenhockerin geworden ist und schreibe mir bald. Ein Besuch bei Dir ist für mich nicht ausführbar. Ohne Garibaldi bringt mich kein Gott fort, und mit dem Kinde könnte ich keine Stunde Berg steigen, und er würde Euch Eure Matratzen ver... da er blos bei mir schläft. Komm also Du. Bei uns pickt Dir niemand den Flügel ab.

Tausend Küsse und Grüße von Deiner
Dich liebenden Marie.
Ich hätte gern Marie Flattich besucht, sehe aber so schlecht und elend aus, daß ich mich nicht so vor ihr zeigen möchte, sonst müßte sie zu sehr Mitleid mit H. haben.

(Anm.: George Sand, Deckname der franz. Schriftstellerin Baronne de Dudevant, 1804 - 1876. Marie Kurz schreibt im Tagebuch daß einmal persönlich mit G. Sand bekannt wurde. Siehe auch Stich von Calamatta von 1840)

(Anm.: Weißers Altlas erschienen 1864)
(DLA 53. 1584)

Dienstag 8. 1.(1862)

(Teilkopie) Meine liebe Marie.

Nur mit wenigen Worten kann ich Dir diesmal unseren lebhaftesten freundlichen Dank sagen, mich länger mit Dir zu unterhalten fehlt mir heute die Zeit, und doch mag ich Deinen Bruder morgen nicht gehen lassen ohne Dir wenigstens zu sagen, welchen großen Jubel Deine Geschenke hervorbrachten. Als Mädchen aus der Fremde gießest Du Dein Füllhorn über uns aus, ich muß es geschehen lassen, und versuche Herr über das peinliche Gefühl zu werden, daß ich nur nehmen, niemals geben kann. Es ist aber eben einmal so. Und da Du von allen Menschen doch am meisten uns agehörst, Deinem ganzen Wesen nach und in der Liebe die wir zu Dir hegen, so soll michs länger auch nicht quälen. Ich hatte gethan was in meinen Kräften stand und mehr darüber um Isoldes Geburtstag zum Freudenfest zu machen, habe gedockelt mit Eselsgeduld, und einem jeden Kinde wenigstens ein Stückchen hergeschafft, das ihm Freude machte. Edgar erhielt eine kleine Buchdruckerpresse, Isolde einen Küchenherd usw., aber ohne Deine reichen Gaben wäre es doch eine sehr ärmliche Be- scherung gewesen.Isolde ist strahlend über den herzigen Hut und für die Buben hättest Du nichts Passenderes finden können.- Mit Gari- baldi war ich im Laden und wollte für Edgar einen warmen Schaal kaufen, aber immer war es mir zu theuer. Er wird ihm treffliche Dienste für die Schule leisten. Was mir aber wirklich leid tut und peinlich ist, daß es sich Dein Bruder nicht nehmen ließ die Kinder nur zu reichlich zu beschenken. Er brachte den Abend mit uns zu. Alle Sorgen hatte ich hinter mich geworfen und war wirklich vergnägt als ich die Kinder unter dem funkelnden Baum so selig sah. So hab ich denn meine Saturnalia (Fest des Saturn, altita- lischer Agrargott der mit dem griech.Gott Kronos gleichgesetzt wurde und dessen Fest, die Saturnalia vom 17.12. an durch mehrere Tage) gefeiert, das schöne Fest, des andern goldenen Zeitalter erinnernd, das den Sklaven seine Fesseln nahm und die Armen reich machte. Es ist doch wunderbar welch gemeinschaftlicher Zug durch die giechische wie christliche Mythologie geht. Hier wird der Welt ein Heiland geboren, ein demokratischen Gott der die Leiden des Volkes auf sich nimmt, ein Tröster der Armen und Geringen. Dort ist es der menschenfreundlichste der Götter, aus dem alten Göttergeschlecht, der nicht wie der stolze Sohn vom Olympos der Welt nur seine Blitze sandte, sondern der unter seinen Lieb- lingen den Menschen wandelte, sie belehrte und ihre Sitten milderte. Und dann wieder das Osterfest und das was ihm vorangeht. Hier sind es die jüdischen Frauen, die sich zurufen und den Todten beklagen und dort stimmen die Griechinnen den Todtengesang an, und der reizenden Adonis dem Heros der Liebe, den süßen Buhlen Lytherlus, der plötzlich zum jauchzenden Auferstehungshymnus wird: "Adonis lebt und ist aufgefahren" so klangen die Osterlieder der antiken Welt. Wie innig verwoben sind alle diese Sagen, kein Mythos steht für sich allein und jede Religion wurzelt in einer andern. - Weißt Du was ich schreiben möchte, etwas aus dem blühenden duftenden Sagenkreis meiner geliebten Griechen, eine Ariathne auf Noxos in Versen, aber es ist eine unausführbare Idee. Erstmals ist es vermessen und zweitens angenommen selbst es gelänge mir welches Journal würde es nehmen. Und ich gestehe es, daß es doch haupt- sächlich der Wunsch auch nur einen kleinen Zuschuß zu verdienen ist, der mich mit dem Gedanken umgehen macht die unermessliche Zahl der Blaustrümpfe zu vermehren.

Wir stehen also wieder auf dem alten Standpunkt- Du weißt nichts und ich weiß nichts. Novellen kann ich nicht erfinden. Märchen eher, aber den Ton zu treffen verstünde ich nicht, der unsere Frauenzeitungen etc. angenehm ist. Gings denn nicht eher mit freien Besprechungen irgend eines Werkes. In dieser Weise habe ich früher einmal in die Stuttgarter Frauenzeitung etwas geliefert. Aber freilich, jetzt bin ich abseits von allem Neuerscheinungen auf dem belletristischen Feld. Dein Onkel soll und muß uns helfen. Ich möchte meine Fantasie mit aller Macht auf etwas lenken, auch aus dem Grund, um das Weh über Hedwigs Abreise zu überwinden. Noch ist sie nicht fort, am 25. reist sie ab. Sie hat Hermann ihre vortrefflich gelungene Photographie geschickt. Und wenn Du den Brief gelesen hättest den sie schrieb, voll leidenschaftlichem Schmerz, voll alles überdauernder Liebe, unter lauter fremden Menschen, die ihrer ganzen Natur zuwider sind und das Verwandte muß sie lassen. Dich weiß ich glücklich in Deiner Umgebung, befriedigt durch den Traum, wäre sie es auch, so wollte ich sie ruhiger ziehen sehen.

Liebe mich meine theure Marie, ich habe der Liebe so nöthig, es ist mir süßer Balsam in meiner dermaligen elenden Stimmung. Und sage mir, ich kanns nicht genug hören, Dein Briefe geben mir Anregung, die mein Lebenselement ist, und halten meine Fantasie wach. Ich freue mich auf den Briefwechsel mit der Sünderode. Für mich sind Liebe und Freund- schaft so ähnliche Zwillingsschwestern, daß ich schwer eine Grenz- linie zu ziehen weiß. Damit meine ich freilich nicht das, was man gewöhnlich unter Freundschaft versteht, sondern das was nur wenige kennen. Ich liebe eine Weib nicht weniger als einen Mann. Ich empfinde in der Freundschaft dieselben Aufregungen, eine selige Begeisterung, wie in der Liebe zum Mann. Wenn Du nur Hermanns prächtige Verse lesen könntest. Das ist helles echtes Silbergeld und mit Staunen seh ich, daß sein Geist in diesen drückenden Ver- hältnissen so kühn sich mit den Schwingen erheben kann. Die Verse wären´s wohl werth, Daß Du kämest, daß er sie Dir vorlese!. Nicht über die zeitweiligen Bedingungen klage ich, aber darüber, daß er trotzdem der Sorge um die morgigen Kreuzer nicht los wird, daß er bei seinem angestrengten Fleiß, der ihn krank macht und gegen- wärtig wieder krank gemacht hat, es nicht dahin bringen kann, daß wir uns schuldenfrei erhalten können.

Du hoffst auf München, gerade so gut ließe sich auf einen Gewinn in der Lotterie ohne Loos hoffen. Braun hat nur für sich das Münchner Leben gelobt, es ist ihm auch gar nicht mehr eingefallen wieder zu schreiben, obgleich Hermann andeutete, daß wenn es die Verhält- nisse erlauben würden, er gern dorthin zöge. Nun, diese Idee muß man sich aus dem Kopf schlagen, oder sie vielmehr als ein Luftschloß betrachten. Hermann kann in die "Gartenlaube" nichts geben, er hat nicht Fertiges und bringt keine Novelle mehr zu Stande, sie sind ihm zuwider geworden. Er machte schon mir den Vorschlag ich solle seine begonnene zu beschließen suchen. Das kann ich aber nicht. Meine Muse ist ein luftiges Dunstbild das keinen festen Boden unter sich hat, wie könnt ich in kargen abgerundeten Formen einfache Kunstwerke zu Ende führen, die gerade in ihrer Einfachheit unnach- ahmlich sind. Gelesen habe ich seither bloß im Herodot, (griech. Geschichtsschreiber, 490 vor Christus) den ich den großen Kindern vorlese. Dein Bruder hat mir seine griechische Grammatik ver- sprochen, so soll sein Kurt als griechischer Lehrer bei mir antreten sobald er wieder da ist. Für den Anfang muß es noch gehen? Er besucht mich oft, trotz dem Kinderlärms und trotz der wenigen Zersteuung die ich ihm zu bieten weiß.-

Ist Dir denn der Gedanke uns im Winter zu besuchen so ganz zuwider. Glaube nicht, daß ich Nebenabsichten damit verbände, fürchte auch nicht wider Deinen Willen zu etwas verlockt zu werden, das nicht reif ist, vielleicht nie wird. Hermann ist kein gährender Jüngling mehr, der sich nicht zu beherrschen wüßte.- Komme wie Du bist und wie Du sein willst; doch nur wenn Du selbst Sehnsucht nach uns hast, sonst lieber nicht, gegenseitg muß alles sein, sonst ist der Freude ihre Krone genommen.

Die Schachtel will ich mit den Büchern oder dem Buche vielleicht zurückschicken. Hermanns Oper ist bei Albert in Stuttgart, ich zweifle aber fats ob er sie comoniert: Hermann wußte wie der Madelou (?) zu treffen, er ist kein Liebling des tages; doch ist er ein Pechvogel, und was er unternimmt schlägt fehl, alle Fäden die er ausspinnt zerreisen.

Meine theure Marie!

Wenn ich schreiben könnte wie ich wollte, wenn der Tag mehr Stunden, ich mehr Hände hätte, so würde so mancher Gedanke, manche Empfindung, alles was mich anregt und mich entzückt und begeistert zu Dir übersetzen. So aber bleibt das Können weit über dem Wollen zurück. Aber ich finde es von Dir wahrhaft geizig mir so manchen Brief vorzuenthalten, blos weil ich nicht so schnell antworten kann. Gib Auszüge aus Deinen Erzeugnissen, ich verlange dann keinen Brief, aber lass mich einmal den Zaubergarten Deiner Phantasie betreten, die mir nun so lange jetzt schon terra in cognito geblieben ist. Hermann ist nicht weniger begierig darauf, er hält die sogenannte Genügsamkeit Deines Onkels für eine große Empfehlung und läßt Dir sagen Du sollest jetzt einmal auspacken, er hege von Dir die feste Überzeugung daß, was Du geschrieben, kein gewöhnliches blaustrümpfiges Erzeugnis, wie der heutige Markt liefere sein werde! - Wenn Du mir von dem Zustand schreibst, wie es Dir im Kopf auf- und niederwogt und das Herz Dir zu zersprengen scheine, so kann ich mich der Zeit noch recht gut entsinnen, wo es auch mir so zu Muthe war. Aber freilich war es mehr das in mir Aufgenommene, was verschiedene Gestaltungen in mir anzunehmen pflegte, als daß ich den Genius der Pruduktivität verspürt hätte, da meine Natur, eine mehr negative zu sein scheint, wo ich vor Bewunderung anderer nie zur Selbstschöpfung gelangt bin. Wenn es Deinem Onkel so leicht ist Erfindungen aus dem Ärmel zu schütteln, so soll er ein gutes Werk thun und Hermann einige der- selben zu einer poetischen Erzählung mittheilen, doch sollte sie in die classische Chlarys gehüllt und unter dem jonischen Himmel daherwandeln. - Hier folgen die Verse Deines Onkels zurück, die Hermann und mir großen Genuß und Freude bereiteten. Wie dachten zuerst bei Erblickung des ... , daß Du hinter dem Namen Deines Onkels Deine eigene Produktion hättest vorführen wollen, doch zeigte sich der Meister allzubald darin, als daß wir, bei aller Erwartung die wir von Dir hegen - Dich noch ferner dahinter gesucht hätten. Ich weiß, Du nimmst das nicht übel.

Guidos brieflichen Anlauf kann ich mir recht gut zurechtlegen. Er wird das Bedürfnis hie und da fühlen mit einem gebildeten weibli- chen Wesen im Verkehr zu stehen, dann fällt ihm plötzlich wieder ein, daß diese Correspondenz doch zu nichts führe, und dann läßt er es wieder sein bis ihn einmal die Sehnsucht wieder dazu treibt. Die meisten Menschen ermessen alles nach dem Zweck, und daß das praktisch um dies einzusehen.

Sind Dir die Blätter auch zu Gesichte gekommen in denen so viele Kämpen für Hermann aufgetreten, um der Amely Bölte den Text zu lesen? Du weißt doch, daß sie unter ziemlich verächtlicher Aufzählung der schwäbischen Dichterschule geschrieben;" H. K. wohnt auf einem Dorfe, wo er sich dem Trunk ergeben hat." Du kannst Dir denken, daß Hermann sehr darüber gelacht und noch mehr über den Eifer, mit dem sich Leute, die ihm sonst nicht übermäßig zugethan waren, seiner annahmen. Er sagte, in dieser Äußerung habe sich eben jeder Schwabe dem norddeutschen Meistertrinker gegenüber an seiner schwachen Seite angegriffen gefühlt. Er machte einen guten Vers darauf, doch weiß ich leider nur noch den Anfang und mag ihn nicht fragen: "Dem Trunke war ich stets ergeben, doch goß ich wacker Tinte zu!" -

Ich beschäftige mich wie Du viel mit den Alten. Schon um Edgars Willen muß ich meine Kenntnisse in der alten Literatur und Geschichte zu erweitern suchen, die zwei ältesten Kinder beschämen mich oft jetzt schon. Du solltest sehen wie Edgar in den alten Classikern herumschnüffelt und das Gelesene vergleicht, zudem können sie den Homer und Virgil fast auswendig. Jene Liebesge- schichte des Partherius von Nicene und die Verwandlungen L.A. Liberalis habe ich manches gelesen, was Du wohl bearbeiten könn- test. So werden Dir des Lonyus Hirtengeschichten nicht unbekannt sein. Hast Du "Daphnis und Chloe" schon gelesen?

Da Du gegenwärtig in einem seligen Tintenrausche schwelgst, so wird Dir die trübselige Witterung ziemlich einerlei sein. Der Winter hat zwar auch seine Annehmlichkeiten für sich, er entwickelt die geistigen Fähigkeiten der Kinder besser, aber er kann einem doch zu lang werden, wenn man so wilde Buben wie Alfred und Erwin hat, die den ganzen Tag im Zimmer herumtoben.- Ich sollte zwar freilich nicht klagen, denn dieser Winter hat ein Talent bei den Kindern zu Tage gefördert, über das wir sehr erfreut sind. Sie haben nämlich alle sehr große Zeichenanlagen. Isolde zeichnet schon und trifft ganz gut die schwersten Köpfe, am liebsten zeichnet sie nackte Göttergestalten, und Edgar hat ein besonderes Talent für die Thiere. Selbst der plumpe Butzel macht recht ordentliche Figuren, doch ebenso Erwin. So geht ein Tag nach dem andern rasch herum, und wenn die Kleinen im Bette sind, sitzen Edgar und ich zusammen und übersetzen am Cornelius Nepos.

Isolde war längere Zeit magenleidend. Das Kind wächst über Gebühr. Sie ist nächstens so groß wie Du und dies ist wohl die Ursache hievon. Baldele macht mir viel mit seinem Zahnen zu schaffen, ist nachts bis über alle Maßen unruhig, sodaß ich meinen Schlaf nicht nach Stunden, sondern nach Viertelstunden messen muß.

Nach Stuttgart komme ich fast nie, und führe überhaupt ein förmliches Einsiedlerleben. Hedwig wird nächsten Sommer auf einige Zeit zu uns kommen, worauf ich mich sehr freue. Wann bekommen wir Dich denn wieder einmal zu sehen? Schicke einstweilen die Kinder Deiner Muse wenn Du nicht selbst kommen magst, hörst Du?- Hermann will unter allen Umständen bald etwas von Dir zu Gesichte bekommen. Die schönen Kleider sind noch undurchlöchert, sie sind freilich auch noch nicht viel am Körper gewesen, da die Kinder fast nie aus dem Zimmer kommen. Und nun einen herzliches Kuß liebes Waldfeger- lein, erfreue bald mit einem Brief und mach weiter.
Deine Marie

22. Februar (1862?)

(auch Kopie) Mein süßes Waldfegerlein!

Hüte Dich mir solche Briefe zu schreiben, die mich trunken machen, und mich das ernste Amt des Pädagogen zu vernachlässigen zwingen, denn ich muß schreiben, solange es noch in mir gährt und der Gedankenwunsch, den Deine Worte erzeugt, anhält. Du hast mir zwar den gehofften Versuch nicht geschickt, aber Deine Briefe beweisen mir genügsam, daß Deine Muse ein reizendes lockenumflatterndes Mädchen ist, so hold wie das Siegel meines Briefes und daß wenn sie selbst in weißgestrickten Strümpfen und Rock und Unterrock nahen sollte, man ihr nur die Hülle abzusteifen braucht, um die schöne Nacktheit griechischer Formen zu erblicken. Schicke sie also nur, ich will mich nicht an ihren Kleidern stoßen, jedenfalls wird sie Deinem Persönchen besser gleichen als Götter und Helden dem Wieland, und auch ich bin kein Göthe, der diese Paralellen zöge. Aber das Märchen, das Märchen! Heraus mit dem Märchen, umgehend, Hermann dürstet darnach - und Du weißt sein Durst ist immer groß trotz der Bölte; vielleicht daß ihm dieses Märchen den Schlüssel liefert den eigenen Zaubergarten aufzuschließen.- Sobald das punctum gemacht, so werde es fortgesendet nicht nur seine Wunder zu erzählen, sondern sie auch auszuüben.

Die norddeutschen alten und irriganten Blaustrümpfe widern mich auch gehörig an als leibhaftige Seitenstücke zu den rothhaarigen, langnasigen dürren Engländerinnen. Wie ganz anders haben es doch die griechischen Hätären verstanden den Reiz des Körpers und des Geistes zu vereinigen, und dem Manne Freundin und Geliebte zugleich zu sein. Wenn die Angineten nur mich wie Dich in Gedanken, so mich in Wahrheit nach München versetzen könnten, aber ihr Chlamys ist leider kein faustischer Zaubermantel, der uns durch die Lüfte tragen könnte. - Dein Bachuspfaffe läßt Dir sein freundliches Xalpe sagen. Ich möchte wohl archäologische Untersuchungen an der schönen Natur anstellen, ob die Ähnlichkeit sich auch noch weiter als auf den Kopf erstreckt?

26. Februar

Mein Brief wurde durch ein unangenehmes Ereignis unterbrochen und blieb bis heute liegen. Es kam nämlich ein Herr der das Haus besah und der Verkauf ist fast so viel als gewiß. Tafel drängt auf Hopfs Anwesenheit in Stuttgart, und da der Käufer auf den gebotenen Preis gleich einging und sich nur noch vierzehn Tage Bedenkzeit ausbat, so wird wohl kein Zweifel mehr sein. Hermann sträubt sich gewaltig vor Stuttgart und auch mir ist eine Rückkehr dorthin sehr unangenehm, jedenfalls hoffen wir noch die schönen Sommermonate hier zubringen zu können und zwar durch Verteilung, so daß Hermann in einem Hause, wir in einem anderen unterzukommen suchen würden. Du kannst Dir aber denken, daß uns diese Aussicht nicht sehr erfreut.

Guido Schnitzer wird wenig Interesse für die kleine Braut verspüren, und Isolde wird ihm hoffentlich als ein zu tolles, wildes, extra- vagantes Ding vorkommen, als daß der ernste arg vernünftige Guido Gefallen an ihr finden würde. Bis jetzt hegt sie nur für ihren Bru- der Edgar eine feurige Leidenschaft, diesselbe ist aber nur so groß, daß sie aus einem Teller mit ihm isst, in einem Bett mit ihm schläft, wo sie oft bis spät in die Nacht Verse zusammen machen, an denen freilich außer der Leichtigkeit des Reims nicht viel Gutes ist. I.G. Fischer hat uns seinen "Saul" geschickt. Ich kann nicht be- greifen wie man einen durch die Geschichte so abgedroschenen Stoff wählen mag, und noch weniger wie man einen Pfaffenkönig, denn David ist der eigentliche Held des Stückes, verherrlichen mag. Hermann steht in eifrigem Briefwechsel mit Heyse, der in seinen Briefen eine hinreißende Liebenswürdigkeit entwickelt. Es ist gewiß, daß eine so interessante Correspondenz oft größeren Genuß gewährt, als selbst der Umgang, denn wie oft kommt es vor, daß zwei in Geist und Genialität ausgezeichneten Männer beim Glas beieinander sitzen und von den gewöhnlichsten Dingen sprechen, während erst durch Tinte und Papier der Gedankenfluß in Bewegung kommt. Tafel war mit seinem Robert in der letzten Zeit auch einmal bei uns. Natalie liegt wieder im Wochenbett. Schreib mir bald wieder, ich kanns jetzt wohl brauchen, daß ich über die Widerwärtigkeiten hinweggehoben werde. Mit innigster Liebe
Deine Marie
Salute dicit tibi et avunculo tuo
Isolda
Isolda


[S.61 fehlt auf Festplatte]

o.D. 1862

ohne Datum und Umschlag blaues Briefle an Frl. Marie Caspart

Liebe Marie

Die Zeit langt nur zu einem flüchtigen Gruß. Ich freue mich herzlich für Dich, daß ein belebender Hauch in Deine Windstille eingetreten ist und besonders für Deine Mautter freu ich mich, denn für sie ist das Freigesit ? (Dein Bruder ausgenommen) entschieden am erfreulichsten. Aber die Bitte mußt Du mir gestatten- laß Deine neue Schwägerin nicht Dein ganzes Herz in Anspruch nehmen und daß Du mir bald wieder einen Brief, einen langen ausführlichenm schreiben mögest.

Was die Verwirklichung unseres gemeinsamen Wunsches betrifft, so heißts: Nur ein Wunder kann uns tragen in das schöne Wunderland:"

Wir haben nun hier eingemiethet, denn auf die versprochenen Mietzins- notizen konnten wir nicht warten, da wir leicht zwischen zwei Stühlen hätten niedersitzen können. Sende die Notizen aber immerhin. Isolde wird immer leidender, immer bleicher und matter und macht mir schwere Sorge.

Den Bock zu lesen wäre mir gerade jetzt von unendlichem Werth. Auch ich bin immer unwohl, ein unsterblicher Husten und ewiger Schnupfen hat mich gepackt.

Leb wohl, laß bald von Dir hören.
Deine Marie

22. Oktober 1862

Meine liebe Marie. Es wäre unverzeihlich von mir, Dir jetzt erst für Deinen classischen Brief, über den ich mich nicht nur des Inhalts wegen, sondern ebenso an der Form erfreute zu bantworten, wenn Du nicht selbst wüßtest, wie sehr ich in Anspruch genommen bin. Dazu kommen noch Wochen von Krankheit und anstrengender Pflege. Deine Mutter hat es Dir vielleicht schon geschrieben oder gesagt, daß meine Kinder alle die Wasserblattern und zwar einige Wochen hatten. Kaum war dies beseitigt, so bekam Baldele die Brechruhr, eine böse Krank- heit, die mir nicht geringe Angst verursachte. Auch die Anwesenheit eines alten Freundes und Lehrers, Herrn Barth hat einiges dazu bei- getragen, daß ich so treulos vor Dir erscheinen muß. Dein Bruder Julius hat uns zum Entzücken der Kinder, die ihn sogleich ins Haus brachten, öfters besucht und mich stets im schönsten négligé getroffen. Er steckt mit Hals und Kopf in seinen Kunst- und archäologischen Arbeiten. Er läßt Deinen Onkel grüßen und ihm sagen, er möchte ihm gern ein Exemplar Bilderatlas schicken, wisse aber noch nicht ob Nitzschke, der Verleger so generös sein werde solche zu vertheilen; jedenfalls lasse er sich aber dann einen Abdruck seines Textes geben und der stehe zu Diensten, falls Dein Onkel den Text ohne die Bilder zu besitzen wünscht.-

Wies mit dem Sonnenwirt steht, wissen wir nicht, es ist noch ein Exemplar vorhanden, von Buchhändler Janke in Berlin ungekauft, der hat aber noch kein Wort über Hermanns Werke, die er von Meidinger hat, hören lassen.- Hermann geht ganz in der antiken Welt auf. Es ist mir schon recht, wenn nur über dem Gelehrten schließlich nicht der Dichter untergeht. Doch hoffe ich, daß dies nicht der Fall sein werde und daß, wenn einstmals bessere Umstände eintreten, wenn er ausschnaufen kann, sich auch seine Muse wieder einfinden werde. Er dankt Dir für Deine guten Männer, das wisse er wohl, daß ein Kern der Gesellschaft vorhanden sei, die sein "Schaffen" zu würdigen wisse, und wenn er den nicht auch hätte, würde er schon längst aufgeschrien haben wie die andern, aber damit sei eben nicht alles gethan, weil er von der Anerkennung der Wenigen nicht leben könne. Über Herrn Mögling haben wir ungefähr dasselbe Urtheil von Bac- meister gehört, dessen Schwager er ist. Er sei ein geistreicher Mann, der blos eine Narrheit und Ungereimtheit, die man mit seinem sonstigen Wissen und seinem Geiste nicht vereinbaren könnte, an sich hat, seinen festen christlichen Glauben.

Von mir kann ich Dir wenig schreiben. Das Studium der lateinischen Sprache nimmt die größte Zeit in Anspruch, die Zeit, die mir noch bleibt, verwende ich jetzt in Kunststudien, denn Hermann will über diese Dinge mit mir sprechen können. Dabei laufen, ich muß es ge- stehen, meine Buben in zerrissenen Hosen herum. Aber ich denke, in zehn Jahren sieht man ihnen dies nicht mehr an.

Auguste Schnitzer war einen Tag hier. Sie ist sehr gelehrt worden. Du könntest von ihr Abhandlungen über den Piedor erhalten. Es ist ein liebes naives junges Ding. Ich wollte sie wäre unsere Hausgenossin.- Daß Du den Aeschylos liest, freut mich sehr. Ich habe ihn in meinem letzten Wochenbett auch mit großer Bewunderung gelesen. Am meisten hat mich die wehklagende Kassandra, eh sie von Klytämnestras Messerhänden fällt, ergriffen. Auf die Kinder hat die Beschäftigung der Eltern natürlich immer Einfluß. Beide Großen schwärmen für die alten Griechen, deren Göttersagen den Mittelpunkt ihres Wissens bilden. Sie haben sich selbst Götternamen gegeben und ihre Spiele bewegen sich nur innerhalb dieser Kreise. Im Garten sind verschiedene Altäre errichtet, wo sie Opfer, natür- lich nur unblutige, bringen. Erwins Grashügel heißt Ida, der andern Olymp. Edgar hat noch Festungen gemacht, davon der eine Pergamos, die andern Akrokorinth etc. Es wäre alles recht, so lange der süße Sonnenschein von einem blauen Himmel, den man sich als einen attischen träumen kann, auf einen herabblickt, aber der Winter steht vor der Thür, mit ihm ein kaltes unfreundliches Studierzimmer für Hermann, wo man Helios Angesicht nicht zu schauen bekommt, und dabei die Kinder in einem kleinen Raum zusammengedrängt- und doch, was ists am Ende? Wenn nur alle gesund und am Leben bleiben. Daß der Mensch sich doch gleich in Wünsche versteigt. Völlige Zufriedenheit ist, glaube ich keinem Natürlichen gegeben, sie wäre doch langweilig, so langweilig wie der christliche Himmel mit seinen Posaunenengeln und seiner unsinnlichen Liebe.

Doch Dir heute genug. Dein Bruder will morgen den Brief abholen. Schreib bald wieder, Du hast besser Zeit wie ich.

Von Herzen küßt Dich
Deine Marie.
(Mit sehr schwacher blauer Tinte übereinander geschrieben, schlecht lesbar)

25. 11. 1862

Anfang fehlt

Schon hab ich die ersten Briefe gelesen wie sie bei ihm auf dem Sopha sitzt und nicht sitzen bleiben kann, sondern ihm ans Herz fliegt und mit klopfendem Herzen lese ich weiter und unter dem Lesen muß ich Dir sagen welchem Zauber ich bereits verfallen bin, wie ich ihr nachfühle und meine, gerade so muß ich auch empfunden haben, so wäre ich in die Kniee und hätte die Hände nach dem ... (Papier zerrissen) ausgestreckt wenn er ... mit ihm zusammen ge- kommen geführt, oder wenn ich eine von Apoll begnadete Dichterin wäre, die all dieses träumen könnte. Zu guter Stunde bist Du diesmal in unser Haus gekommen, denn ein Leben voll Wünsche und Begierden war die Folge. - Jetzt muß ich weiter lesen. Versenke Du Dich in Plato nur nicht in platonische Liebe, die lasse Hedwig und träume, nicht von Charlotte Ackermann, wohl aber von Laura, die mehr Ähnlichkeit mit Dir hat.
Deine Marie

Samstag, 29. November

Meine liebe Marie!

Während ich mich täglich in die Bettina versenke und mich von ihr heben und tragen lasse, weiß ich oft wirklich nicht wer ihr mehr gleicht, Du oder ich? Gelt, das klingt vermessen, sich mit der ersten Frau Deutschlands vergleichen zu wollen, aber ich meine blos ihr Gefühlsleben und ihre Empfindungsweise. Auch wie sie alle Seiten meines Herzens berührt, weiß ich am besten daraus zu ent- nehmen, daß ich mich im Lesen selbst mit ihr identifiziere, daß mein Herz geschwellt ist durch Anbetung und Liebe für die Olympier, und daß ich meine in ihr ihm selbst zu Füßen zu sinken. Auch den Traum muß ich Dir erzählen, der mich neulich ganz trunken und liebesselig aufwachen ließ. Mir träumte, ich war in einem prächti- gen Palaste. Marmorbilder hoben sich aus dunkeln Laubgewinden. Es war Göthes Lustschloß. Mit Bettina wandelte ich durch die herrlichen Hallen den Göttlichen suchend, da ward mir plötzlich inne, daß er in einem Labyrinth von Zimmern verborgen auf einem Lager der Ruhe pflegte. Ich eilte durch eine Reihe von Zimmern, glücklich Bettina zuvorzukommen. So hatte ich noch nie geglüht vor sinnlicher Aufregung und Begierde. Endlich öffne ich die Thüre des Schlafgemachs und in hehrer Majestät, von ambrosischen Locken vom Bart- haar umwallt lag der Dichterheros da. Ich stürzte auf sein Lager, und wie ich mit der Hand über die Stirn streifte, da war es Her- manns Stirn und Hermanns Augen, die mir entgegenschauten. Da ging die Thüre auf und mit einer Zore gebend und stand die kleine Bettina da, wollte wieder umkehren, aber er streckte seinen Arm liebesbegehrend nach ihr aus, und als ich sie recht ansah, waren es Deine Züge, Dein Lockenköpfchen von einst und Dein reizendes Mignonkörperchen. Und da bin ich aufgewacht, vor Aufregung ganz außer mir, aber in dem seligsten Genuß durch mein Erwachen betrogen Freitag 5. Dezember Fast 8 Tage blieb mein Brief angefangen liegen. Die erste Unterbrechung, die er durch einen Brief Hedwigs erlitt, in dem sie mir ihre bevorstehende Abreise in der schmerz- lichsten Bewegung ankündigte war onimös für die trunkene Stimmung in der er begonnen war. Und sonderbar hatte sich in dieser Woche alles vereinigt, um den singenden klingenden Hymnus aus den Höhen herabzuholen in dem meine Seele schwelgte, eine klagende Enegie zu machen die harmonisch in die Töne des Schwanengesangs und in Bettinas letzte Briefe einfiel.

Bevor ich versuchen werde mich auf einen objectiven Standpunkt zu stellen, was schwer ist, wenn alle Fasern des Herzens in den buntesten Bildern der Fantasie angeregt sind, laß mich Dir sagen, daß ich in diesem Buch die Schlüssel zum Verständnis Deines Ichs gefunden habe. Dieses Martyrium der Liebe, diese starke Liebesglut, die ohne nährendes Öl fortlodert und sich mit dem eigenen Herzblut nährt, diese klagende Philmole, die die lange Nacht der Einsamkeit mit den flötenden Schergen ausfüllt, das alles ist so wunderschön, daß es Deine Seele so mächtig erfaßt hat, es hat Dich in ein Traum- leben verzaubert, in dem Du täglich dem Idol Deines Herzens, - d.h. Deinem selbstgeschaffenen Bild Deiner Phantasie Dich selbst zum Opfer bringst.- "Opfer fallen hier- weder Stier- aber Menschenopfer, unerhört"- Der wahre Mensch wie er leibt und lebt mit seinen Charakterfehlern, mit seinen Schwächen, der steht nicht vor Dir, einzelne Eigenschaften hast Du aus ihm herausverlangt, sie mit einem Körper umgeben, sie ausgeschmückt und nun umarmst Du wie Phygmalion Dein eigen Kunstwerk und willst es lebendig machen durch die sprühenden Funken Deiner Fantasien. Daß dieses Spiel der Fan- tasie anhält in der Einsamkeit, daß es ausreicht Dich zu befriedi- gen- kann ich sehr wohl begreifen wie ich selbst die Verzückung der Nonna begreifen kann, die ihre liebeswarmen Arme nach dem himmli- schen Bräutigam ausstreckt. Von dem Hauch der Wirklichkeit, von dem Gott des Augenblicks, dieses mächtigen Herrschers, müssen diese spiritualistischen Empfindungen schwinden. Marie, Deine Sinne haben gesprochen, Deine gesunde Natur, Dein Fleisch und Blut, sie haben auch andere Bedürfnisse als die Träume in die Du Deinen Geist hüllst,- bist Du wirklich so spezifisch christlich, daß Du das Fleisch abtödten willst aus Religion, denn Religion ist dieser Liebeskult, und darin gleichst Du wieder unserer Bettina nicht. Welche gesunde frische Sinnlichkeit, wenn sie Göthe von dem liebenswürdigen Engländer erzählt, der ihre Kniee presst, oder dem schönen Offizier- in dieser naiven Periode hat sie mir am besten gefallen. Ich sage Dir nur, Du bist ein Märchen. Als Ariadne sich von dem schönen Jüngling verlassen sah, trocknete sie ihre Thränen an des Gottes epheuumwundenen ambrosischen Locken. Wohl mag sie auf ihrem Triumphzug oft des lieben Verrräthers gedacht haben, denn daß eine neue Liebe die Erinnerung an die alten nie ganz verlöschen kann, davon bin ich überzeugt, aber die gesunde Genußfähigkeit die dem Leben alles Schöne abzwingen vermochte, um dem Hades nicht den bloßen Schatten zu lassen, das haben doch hauptsächlich blos die Griechen verstanden. (Schluß fehlt)

(o.D)

Bettina hat mir in ihren letzten Briefen nicht mehr so gut gefallen als in der ersten, wo der Hauch der Frische so rosig darüber hinweht. Wie reizend ist, wie sie der Schachtel in den Main nach- springt, weil die ertrunkenen Veilchen darin ruhn - wie sie seine weiblichen Gestalten im Meister (?) herunterlaufen läßt und sagt, bin ich nicht liebenswürdiger als sie alle - wie sie die ordinäre Denkungsweise in den "Wahlverwandschaften" blos stellt! Da ist sie göttlich - wie ich nie noch ein Weib sah, _ hinreißend ist sie im Verkehr mit Göthes Mutter. Aber eben diese Mutter macht ihr fast den Rang streitig. Ich weiß kein Weib, das ich ihr an die Seite setzen möchte. Dieser Mutterstolz klingt in den süßesten Liebesmelodien wie ein stolzes Siegeslied hinein, denn sie ist die Gebenedeite - kein Weib hat solches Recht an ihn - ihr muß die Welt sich neigen, denn ihr glücklicher Schoos hat den Gott getragen der die ganze Welt mit seinem Genius ausgefüllt. Bis zu Thänen hat mich denn der süße Jugendklang berührt - das Posthorn, das noch wenige Tage vor ihrem Tode sie an den Kaiser erinnert.- Wie naiv reizend ist die Schilderung wie sie ihren Schädel untersuchen läßt und die Zusammenkunft mit der Staehl: "Je suis la mere de Göthe."

Was Betiina über die Musik sagte ging spurlos an mir vorüber, es geht mir hier wie Lessing - mein Sinn ist zugeschlossen. Für mich ist der dichterische Rythmus Musik empfindende Gedanken, die Fantasie und Ohr gleich sehr verzaubern.- Doch genug Bettina, ich werde lang daran zehren. Mein ich doch, seit ich sie gelesen, müßt auch ich Tinte trinken und mich in dem schwarzen Meere berau- schen.- Schicke mir etwas von Arnim - den "Kronenrichter" oder Märchen, ich möchte auch ihn kennen lernen. Sage mir, wie standen denn die zusammen?

Auch den Plato sollst Du mir schicken, wenn Du ihn ausgelesen hast. Ich lege Dir eine Philosophie der Liebe von Pfarrer Faber, einem Freunde J. G. Fischers bei, die Dich vielleicht interessiert. Was Deine Litationen von G. Sand und Johann V. betreffen, so hab ich zu erwiedern, daß wenn Du wie die hehre Pallas Athene als Er- finderin und Vorsteherin der Webekunst (der einzigen dazumaligen weiblichen Arbeit) citierst ich eben doch keinen Geschmack daran bekomme, es geht mir darin eben wie der "Jungfer Prinzeß". Auch ist nicht immmer alles Alles in der Praxis so wie eine philosophierende Feder es in der Theorie sich vorstellen mag. Ich weiß nicht, ob Du den Jean Jaque Rousseau kennst. Der hat ein dickes Buch über Er- ziehung mit den schönsten Maximen geschrieben, seine Kinder aber hat er alle ins Findelhaus gethan. Was das Graben betrifft, so find ich das freilich nicht angenehmer, ich glaub eben auch, daß Onkel Rudolf und Hermann schlechte Geschäfte dabei machen würden. Ich verstehe einfach die Handarbeiten nicht, ich nehme oft gar so einen gewalthigen Anlauf dazu - aber Geschmack kann ich ihnen keinen abgewinnen. Sie stören mich in meinen Gedanken mehr als der Kinderlärm.

Dein Bruder ist ein sonderbarer Kauz. Er besucht mich hie und da und da sprechen wir über die Frauen. Er behauptet, gestützt auf die Moleschottsche Hypothese oder vielmehr nach der des Engländers.... Fortsetzung fehlt.

(ohne Datum) Ende 1862

Meine theure Marie

Du hast dieses mal lange auf einen Brief von mir warten müssen. Ich wollte immer auf eine bessere heiterere Stimmung passen, weil es mir peinlich ist unseren Briefwechsel, - der mir immer schon die angenehmste Aufregung bereitet, alle Saiten des Herzens berührt, und die Fantasie in Gährung brachte, ins Ordinäre versunken zu sehen. Wie aber kann der Enthusiasmus festgehalten und sich von der Erdenschwere fernab halten, wenn die Umstände einen zwingen an die Nachtseite das Lebens zu denken. Wenn ich aber sorgenfreie Tage abwarten wollte, in denen sich unser Horizont etwas gelichtet, so könnte ich lang warten und Du inzwischen zu dem Glauben gelangen, ich habe Dich, wenn auch nicht vergessen, doch in den Hintergrund meines Herzens und Andenkens treten lassen.-

Edgar hatte sich, unbedeutende Rückfalle abgerechnet, schnell erholt und dieser Hauptsorge wären wir also erledigt. Aber es gibt kleinere und doch auch zwingendere Sorgen, die einen nicht zum Verschnaufen kommen lassen: Weihnachten, Apotheke und zwei Ärzte stürzten uns in Ausgaben, die eben nicht mehr aufzutreiben waren. Hermanns Verleger ließ uns im Stich, und die Oper auf die wir so Hoffnungen setzten, wurde von Albert unter unendlichen Lobeserhebungen über die Poesie selbst zurückgeschickt. Es blieb mir schließlich nichts übrig als einen Theil meines Silbers zu nehmen, nach Eßlingen zu wandern, um es dort in Geld umzusetzen.

Bei meiner Heimkunft traf ich Edgar wieder unwohl, ein Fieberrück- fall der sich zwar schnell gab, aber jetzt einem Kartharr Platz gemacht hat. Bedeutender ist mein armes Erwinele krank, der überhaupt das hiesige Klima gar nicht ertragen kann und beständig seinen Luftröhrenhusten hat und uns manchen Schrecken einjagt. Auch Hermann ist verschnupft, abgemagert und trübselig. Das Haus ist verkauft und wir müssen zu Georgii ausziehen. Wohin, das wissen wir natürlich so wenig wie diesen Sommer. Von Schnitzer kam heute ein Brief der uns Vorwürfe machte, daß er in Wien von unserer Wohnungsnoth hören mußte und uns die Nachricht gab, daß das Ellwanger Schloß noch immer zu haben sei. Natürlich kann von einer Übersied- lung dorthin, der Kosten halber, nicht mehr die Rede sein.- Die Nachricht, daß Du leidend bist, ist mir doppelt arg gewesen, wegen Dir selber und weil die Aussicht Dich hier zu haben immer weiter hinausrückt. Das Wetter freilich ist auch gar nicht einladend, aber wenn endlich der Boden hart und die Luft hell und rein werden wird, dann mußt Du kommen.

Hedwig ist glücklich in Madrid angekommen, von Granada aus fehlen noch die Nachrichten. Es muß gar nicht so unangenehm sein jetzt unter blühenden Granaten und Orangen, statt im Schneewasser zu wandeln, und doch würde sie das schmutzigste Gässchen des elen- desten Landstädtchens der großen Natur des Südens als Aufenthalt vorziehen. Wenn ich sagte, Du solltest sie uns ersetzen, so hab ich mich nicht recht ausgedrückt. Auch die reichbegabteste Natur kann eine andere reichbegabte nicht ersetzen. Aber wie die Griechen jede Form des Schönen einer Gottheit würdig hielten, so kann auch Deine reichbegabte Persönlichkeit die Lücke wieder fühlbar machen, Liebe und Interesse auf sich lenken, den Schmerz der Trennung lindern, ohne deßhalb die Sehnsucht nach dem Entfernten zu verlieren. Nicht theilen wollen wir uns in Euch. Jedes hat uns ganz.-

Mit der Bettina bin ich längst fertig, und wenn auch das Tagebuch, da es zum großen Theil Wiederholungen enthält, mich nicht mehr so ganz gefangen nahm und keinen reichhaltigen Sturm erregte, wie die beiden andern Theile, so bin ich dem Gruber doch wieder erlegen. Hinderlich am vollen Eindruck find ich den Umstand, daß sie sich anfangs zu sehr verfängt. Ein Kind, ein zwölfjähriges Kind, das solche erhabenen Worte der Liebe und Leidenschaft spricht ist eine Unnatur.- Die Natur hat überall Harmonie, läßt in der Knospe wohl die Glut der Rose ahnen, aber nicht zur Entfaltung kommen.- Aber denke nur, Armins Movellen ließen mich absolut kalt, ja, ich konnte sie gar nicht fertig lesen. Wie schön, wie natürlich fügt sich sein Rafael an, sieht man so nicht immer den hohen Künstlerjüngling vor sich, wie er die Töpfe bemalt, welch naiver Reiz - und schließlich welches unheimliche Vernebeln.

Die Kinder wechseln immer im Kranksein ab, auch Hermann leidet am Magen. Er läßt Dir die wärmsten Grüße sagen und der 7 Nixenchor sei noch lang nicht vollständig. Etwas Längeres über Uhland könne er nicht schreiben, da er ..... müsse, der Arme!

Soviel ist aber gewiß, Du mußt diesen Winter wieder kommen. Wie sollten wir den langweiligen öden Gesellen durchmachen, wenn nicht Du kommst als Mädchen aus der Fremde, die holde Fantasien aus ihrem Füllhorn auf uns alle gießt. Ich liebe Dich, Waldvögelein, mehr als ich Dich sonst geliebt. Schreib mir oft und viel, auch wenn ich nicht immer so schnell antworten sollte. Ich habe viel, viel zu thun, muß spanisch studieren, um Hedwig bei ihren Übersetzungen von Zorillas Gedichten an die Hand zu gehen, muß latei- 77 nische Argumente machen helfen, muß Bettkittel machen und Strümpfe flicken und Marie warum muß auch immer wieder die Poesie des Lebens so nah an uns heran. - (fehlt ein Blatt)

langt nicht aus und ein andermal will ich weiter träumen. Da jetzt der sachbezogene Rausch verflogen ist, so laß mich zur rauhen Wirklichkeit zurückkehren. Hab herzlichen Dank für die Bettina. Sobald Du sie zurückerhältst sollt Du mir den Plato schicken, wir wollen zusammen lesen, was das eine entzückt, soll dem andern nicht fremd bleiben. Den "Gradaus" wirst Du durch Fr. Weißer, der ich darum geschrieben, erhalten.

Von Dr. Braun kam dieser Tage ein verlockender Brief aus München. Er schildert das dortige Leben mit den hellsten Farben, und es ist sonder- bar wie auf einmal von allen Seiten diese Lockspeise uns vorgehalten wird. Goldene Früchte, die dem hungernden und dürstenden Tantalus an den Lippen hängen! Ich kanns nicht glauben, kanns nicht fassen, daß ein Dichterleben auf so ödem dürrem Sand verlaufen soll. Sieh und an all dem bin ich schuld. Wär er frei geblieben, hätte er sich nicht eine Familie aufgebürdet, wie ganz anders stünd er da! Von Hedwig kommen alle paar Tage Briefe, noch weiß sie nicht, ob sie bald nach Spanien zurückkehrt und ob sie noch einmal kommen kann. (Schluß fehlt)

Sonntag, o. D. 1863

Liebes Waldfegerlein!

Ich freue mich herzlich, daß Deine Stadtfegerschaft so gut ausgefallen ist, und daß Du mit frischen Eindrücken und Erinnerungen auf Deinen Berg zurückgekehrt bist. Hermann ist den Tag darauf im entsetzlichsten Dreck nach Eßlingen gepatscht und erst nach drei Tagen zurückgekehrt. Er war zwei Tage in Eßlingen und einen in Stuttgart, wo er kurz mit Seeger und Fischer zusammen war.-

Deine frohe Hoffnung wegen der Schillerstiftung theilen wir nicht. Das war von Fischer ein beschwichtigendes Trostwort für Dich, das er auch mir schon im Herbst gesagt, das aber blos so viel heißen will, als ich wünsche, daß die Schillerstiftung etc., etc. Die Be- dingung, unter der die Schillerstiftung zugänglich sein würde ist uns wohl bekannt, aber die wird Hermann nie erfüllen. Eine unterthänigst flehentliche Bittschrift - lieber verhungern im engsten Sinn des Worts als diese hochmüthigen eingebildeten Menschen bittweise anzugehen über einen Geldfond, den doch nicht sie, sondern die Nation gestiftet. Mach also vorderhand keine Sprünge. Du könntest in einen leeren Graben purzeln.

Fast gleichzeitig mit Deinem Brief kam einer von Granada, in dem Hedwig über dasselbe Thema fanthasierte. Sie gebe sich den heis- sesten Träumen hin, wie von Osten her unsere Glückssonne aufsteige und in "Deutsch-Athen" uns bescheine. Wie kommts aber nur, daß wir wie Pilger in der brennenden Wüste die holde Fata Morgana erblicken und an ihr uns weidend, die Hände nach dem Trugbild ausstreckend, sterbend auf den heißen Boden niedersinken. Ich war gerade in den letzten Tagen sehr traurig und niedergeschlagen. Hermann ging in der Absicht fort, sich von den Verlegern Geld geben zu lassen, kam aber ohne dasselbe zurück, weil sein Mund das bittere Wort nicht sagen konnte. Keiner gibt nur einen Band Dichtungen von ihm heraus und das fehlt noch ein W...

Ich meine mich zu erinnern, daß Du mir einmal gesagt, die beiden Gedichte der Maria Tafel zu besitzen, sollte dies der Fall sein oder Du sonst etwas von Hermann unter den Händen haben, so bitte ich doch es mir umgehend zu schicken. Daß Dir "Hugdietrichs Brautfahrt" gefallen mußte, habe ich wohl gewußt. Ich möchte, daß Du auch seine Gedichte kenntest, worunter eines "das Gewitter" wunderbar schön und sinnlich ist, daß man vor Aufregung zittert. Diese schöne Sinnlichkeit, die so frei ausgesprochene Berechtigung der Leidenschaft hat noch kein anderer so triumphierend verkündet.

Hertz (A.) ist ein ganz junger Mann und lebt in München. Du weißt es vielleicht nicht, daß es zu meinen Münchner Träumereien gehört, daß W. Hertz einst der Geliebte meiner Isolde werden soll. Ich denke der "Rafael" werde Dir auch gefallen haben, auch hier trifft Leidenschaft und das Recht der Sinne siegend hervor und die Ten- denz, daß dem Genius alles zufallen müsse, daß er hoch über den andern Sterblichen stehen und ihm erlaubt sei, was andere nicht so leicht werden - diese Tendenz, um dessen willen der Rafael so angefochten wird, ist es gerade die uns beiden so gefällt. Hier folgt der Bock meinem armen Isoldenkinde. Ihr hat er so wenig genützt als Hauffs homöopathische und allopathische Pülverchen. Es ist immer noch nicht besser und das arme Kind sieht blaß und mager aus. Heute liegt auch Edgar wieder mit einem ziemlich starken Ruhranfall. - Wenn Du Deine Drohung, mich nicht mehr zu besuchen bis ich bei Dir war ausführst, so glaube ich und muß ich glauben, daß Du mich nicht magst. Du weißt was mich abhält, daß ich nicht Herr der Verhältnisse bin und Du solltest mir, wenn ich in Resig- nation jeder persönlichen Freude entsage, nicht das Herz schwer machen. Du könntest kommen, könntest bleiben, aber es duldet Dich keine paar Tage bei uns.

Für heute kann ich nicht mehr schreiben, der Brief soll fort. Lebe wohl und sei herzlich geküßt und gegrüßt von
Deiner Marie
Sonntag

Den Heyse bitte ich Dich bald zu lesen, da Hermann sich öfter an der Almidylle zu erbauen pflegt.- Aber gelt, so schön gibts keinen Menschen mehr wie Heyse. Sein Bild kommt mir nicht aus dem Sinn.

(A.: Wilhelm Hertz 1835 - 1902, Dichter, Übersetzer und Sagenfor- scher, Prof. der dt. Sprache und Literatur in München, schrieb Gedichte, Epen, meisterhafte Nachdichtungen des Mittelalters u. a. nach Hermann Kurz "Gottfried von Straßburg" mit seitenlangen Erklä- rungen über den Namen Isolde und "Hugdietrichs Brautfahrt" 1863. Der sehr junge Hertz, wie Marie meint, war also 18 Jahre älter als Isolde!)

Donnerstag 1863

ohne Datum (blauer Brief)
Meine theure Marie!

Eine große Lücke ist durch meine Schuld in unseren Briefwechsel gekommen, aber Du weißt wohl selbst, daß es eben nicht immer möglich ist, bei so viel Kindern, davon immer eins auf der Nase liegt, eine freie Stunde zu finden. Balde war mehrere Tage wieder krank und recht bös, dann hatte ich Besuch von Frau Weißer, die ein paar Tage hier war, und was man einmal verschoben hat, dazu kommt man so leicht nicht mehr. Ich würde vielleicht heut noch nicht dazu gekommen sein, wenn ich nicht heute, nach Wochen zum ersten mal wieder, Deinen Bruder gesprochen hätte, von dem ich die erschüt- ternde Nachricht hörte, daß Ihr ®Euren Otto auf dem Feld der Ehre ®verloren habt. Ich war sehr alteriert davon, denn wenn er auch sein verfehltes Leben ruhmvoll durch einen Heldentod in einer heiligen und gerechten Sache,- schmerzlos schnell beendet hat, so bleibt doch immer derselbe Stachel des Schmerzes für das Mutterherz, und auch Dir wird dieser unerwartete Trauerfall Schmerz und Kummer verursacht haben. Grüße Deine Mutter und sage ihr wie sehr ich Antheil an ihrem Schmerz nehme. Es ist nur gut, daß Ihr dagegen eine Freude an ihrer Schwiegertochter erwachsen ist. - Für die übersandten Gedichte meinen Dank. Hermann kann sie nicht gebrauchen, ich werde sie Dir gelegentlich zurückschicken. -

Über ®Heyse werden wir uns nie einigen können, besonders wenn Du sagst, die ideal schönen Züge desselben ließen Dich kalt, wie sein "Rafael." Das Schöne läßt mich nie kalt, und ich finde den "Rafael" geistig viel bedeutungsoller als die reizenden Liebesgeschichten des ®Hugdietrich, auch Hermann geht es so, und ich meine, daß gerade Du selbst, aus lauter exum. Apotherosen zusammengesetzt bist, von jenem glühenden Begeisterungsrausch des schönen Weibes wie es ausrief: "Nun komme was da kommen mag ich bin gefeit für diesen Tag.", entzückt sein müßtest.- Ich erkenne der Liebe die verschiedensten Phasen und Berechtigungen zu. Jene Liebe, wie sie in Tristan und Isolde, wie sie im Hugdietrich mit ihrer ganzen Ausschließlichkeit vorkommt, ich erkenne gewiß in ihr die ganze Schöne und Großartigkeit an, aber auch der flüchtige Liebesgruß der seine ganze Welt in den Augenblick gelegt hat, wenn er nur wirklich äußerlich schön ist, diesselbe Berechtigung. Eins aber halte ich für ein Unding, und das ist der Glaube, die sinnliche Liebe lasse sich ins Unendliche fortspinnen, sie könne nach allem Befriedigung sein, und ohne daß sie mit Hindernissen zu kämpfen hat, nur dem Widerstand spotten, immer in unwandelbarer Treue an einem Gegenstand festhalten. Ich will zwar gerne glauben, daß das sinnliche wollustentflammte Herz einer fünfzehnjährigen Liebe treu blieb, das heißt, den Gegenstand seiner früheren Flamme lieb und werth behielt, aber gewiß hat er auch bei andern Weibern Liebe und Genuß gesucht, davon seine flammenden Lieder den besten Beweis liefern. Bei uns ist eine solche Ausschließlichkeit viel eher möglich, wenn nämlich unsere Liebe auf einen hohen genialen Gegenstand fiel, aus dessen Geistersonne wir ewig zu schöpfen im Stande sind, da wird mit der erlöschenden Sinnlichkeit, die sinnlich kennt es überhaupt schwierig. Du bist eine vollkommene Romantikerin in der Liebe, der Weinradienst (?) der Troubadur schwebt Dir vor, ich bin da eher Grie- chin. Es ist mit dem Herzen sehr begreiflich, daß es so ist. Würdest Du verheirathet gewesen sein und hättest es so mitangesehen wie bei der wahrhaftigsten Liebe des innigsten Ineinandergelebtsein aus der sinnlichen Begierde endlich nur Gewohnheit wird, wie man gleichgültig zuletzt den sinnlichsten Genuß empfindet, dann würdest Du einsehen, daß in solchem beständigen geschlechtlichen Zusammen- leben die größte Irrealität liegt, weil er in Verzückung und Raserei den Akt verrichtet. ®Moralisch ist mir nur eine Ehe wie die unsrige. Es ist allerdings eine Ausnahme, wenn da noch einmal wirklich ältere Paare verliebt ineinander sind, das sind meistens kindliche Naturen, ohne besondere Bedeutung und auch ohne besonde- ren Geist. Denke Dir einmal einen Göthe ohne diese Vielseitigkeit.
"Schickt der Sonnengott die Blumen,
Wenn sie stirbt von seinen Küssen,
Hat er flammend seine Hoheit
Nicht der Welt beweisen müssen?"
Und wie sonderbar gerade Du, mit Deiner vergötternden Treue hast nur immer die lasterhaftigsten und untreusten Männer geliebt und hast das Dämonische in solchen Naturen finden müssen. - Ironie des Schicksals!

®Hermann geht diesen Monat noch auf einige Wochen nach ®München. Heyse ruht nicht, ein Zimmer an das Seinige stoßend wartet auf ihn, er will mit ihm schreiben. Er wartet auf ihn und lockt auf die verführerischte reizendste Weise. Ich bin überglücklich, daß er endlich wieder einen Genuß haben soll, endlich wieder wissen was Leben ist, und ihm alle Kunstschätze geistiger Berauschung möglich sein sollen. Gerne will ich in Gedanken das Luftschloß der völligen Übersiedlung aufgeben, wenn ihm nur jetzt ausreichend schon selige Zeit wird. - Heyse will uns nicht hier lassen. Er meint, wir sollen in Obereßlingen einige Zimmer miethen, um nicht so ganz allein und freudlos zu sein. Läßt es sich ohne besondere Kosten ausführen, so thue ich es, aber natürlich werde ich jede unnötigen Ausgaben scheuen und lieber in der hiesigen Verbannung verbleiben, die ich mir sodann mit den reizensten Fantasien schöner ausfüllen kann. Über den Plato und seinen philosphischen Eros hab ich nun auch Vieles gelesen, ebenso über Aristoteles und ....doklus. Du wirst lachen, wenn ich Dir sage, daß ich eine lange Erzählung in Versen nach Boccacio angefangen habe, ohne zu wissen ob ich es werde zu Ende führen können. Die Beschreibung des Athens mit seiner Akropolis, die gegenüber dem H... sich erhebt, der Athene Poly..... Promachos, das alles geht ganz gut, aber ich komme nicht in den erzählenden Ton und kann meine Perserin nicht redend einführen. Mit der Einleitung ist Hermann nicht zufrieden.- Gelt, wie zwecklos, aber so bin ich eben. - Mit Isolde gehts wieder ordentlich. Laß bald von Dir hören. Die herzlichsten Grüße von Hermann. In treuer Liebe
Deine Marie
(auch vertikal überschrieben, ohne Umschlag mit Datum)

o.D. April 1863

Meine theure Marie!

Kann ich nicht viel, so will ich wenigstens einige Worte schreiben, um Dir für Deinen Brief zu danken, nachdem ich mich so sehr darnach gesehnt, doch der mich recht schmerzlich ergriffen hat. Ich habe es mir wohl theilweise vorgestellt, daß Dir der Tod des Bruders sehr weh thun würde, doch dacht ich, da Du das Schmerzlichste derart, den Tod nämlich des Geliebten schon zu überwinden hofftest, werde er Dir im Vergleich zu diesem wenigstens leichter werden. Freilich brechen aber bei solchen Gelegenheiten alle alten Wunden auf und das Herz braucht lange bis es mit den Gefühlen sich wieder zurechtgefunden hat. Die alte Lebenslust und der alte Lebensmuth wird aber wiederkehren - denn jeder Mensch sagt sich: Dir wird es vielleicht besser gehen, Du gehörst vielleicht zu den Wenigen, die die Gunst des Geschicks erfahren dürfen, und was das Schicksal bis jetzt versäumt, das kann es immer noch mit reichen Händen geben. Ich möchte Dich so gerne glücklich wissen. Aber sieh, Du bist noch jung, jünger im Aussehen als im Alter, aber ersteres gilt doch bloß - Du bist - nun was soll ich Dich loben, Du mußt Dir W. Hertz erobern. Weißt Du, daß Hermann auf`s innigste mit ihm befreundet ist? Hermann ist nämlich seit 10 Tagen in München, schreibt die glück- lichsten Briefe; sein Dasein bei Heyse sei wahrhaft paradiesich. Anregung von allen Seiten, Anträge in Hülle und Fülle. Er sollte gleich einen Roman "Göthe" schreiben, was er aber ablehnte. Zwei Componisten haben ihn um Operntexte gebeten, seine Oper ist also untergebracht. Am Intimsten ist er mit Heyse und Hertz, aber auch mit mit Braun (?) hat er sich sehr befreundet, viele Bekanntschaften gemacht, alte Freunde, wie den Maler Fries aus Heidelberg ge- troffen. Die Freunde wollten ihm schon eine Wohnung aussuchen, alles bestürmt ihn, sobald als möglich dorthin zu ziehen, er selbst ist Feuer und Flamme dafür, doch muß ich dieses mal dieses Feuer dämpfen. Auch der auf die nächsten drei Jahre versprochene Gehalt der Schillerstiftung reicht bei den wohlfeilen Preisen in München nicht aus. Vorderhand heißt das also hier bleiben, zuerst die drückensten Schulden zahlen, aber in Jahresfrist vielleicht können wir flott werden und absegeln.

I.G. Fischer schrieb vorgestern und zeigte uns die Resultate der jüngsten Verhandlung des Verwaltungsrathes an. Hermann wußte aber bereits alles duch Förster. Daß dies sehr dazu beiträgt seinen dorti- gen Aufenthalt zu verschönern kannst Du Dir denken.

Gestern kam nun ein Anerbieten von Freiburg im Breisgau die Redaktion der Freiburger Zeitung zu übernehmen, Gehalt 800 fl. Natürlich wird dies nichts, denn Herman kann sich nicht zersplittern.

Ich bin noch mitten im Einzug, verzeih daher meine Eile. Du weißt nun das Wesentlichste. Ich schicke Dir hier das kleine Bändchen: "Die Philosophie der Liebe", die Dir gefallen wird. Ich würde es einbinden lassen, wenn ich nicht ärger als gebeutelt durch den Umzug wäre.

Schreibe bald und behalte lieb
Deine Marie
Brief o.D. (ohne Umschlag, notiert April 63)

notiert: April 1863

Ohne Datum (nach H. Münchenreise)

Liebe Marie

Mein Stauen kannte keine Grenzen als endlich Dein langerwarteter Brief kam und Du mich des Verstummens darin beschuldigst, während ich Dich nicht begreifen konnte, da Du auf meinen Brief, den ich so umgehend nach Erhalt des Deinigen vor etwa 5 Wochen beantwortete, mir nicht mit einer Silbe etwas zu sagen haben solltest. Wie kannst Du glauben, daß ich die Rohheit begangen haben könnte, nach einem so schmerzlichen Ereigniß Deines Herzens zu schweigen.- Ich gab den Brief, samt der griechischen Grammatik Deinem Bruder, schickte nach Empfang Deines letzten Briefes auch sogleich zu ihm und ließ nachfragen. Er versicherte, er habe Dir den Brief in der Grammatik geschickt, schaue also dort nach und Du wirst ihn finden und sehen, daß ich gerechtfertigt dastehe. Die Philosophie schickte ich Dir zum Behalten mit der Bemerkung, daß mein Geldbeutel keinen neuen Einband derzeit ermögliche, da wie gewöhnlich Ebbe darin sei.(Die Schillerstifung hatte dazumals noch nichts gesendet). Es that mir wahrhaft weh, daß Du Dich so gar nicht nach Hermann erkundigtest, und daß Dir alles so gleichgültig schien. Laß mich jetzt in Kürze den Inhalt dieser fünf Wochen zusammenfassen. Seit Sonntag ist Hermann zurück. Er reiste mit sehr angegriffenen Nerven nach München. Seine ersten Briefe waren ein Entzücken über den dortigen Aufenthalt. Es kamen ihm alle mit großer Zuvorkommenheit entgegen, und seine drei Hauptfreunde, Heyse, Hertz und Maler Fries wirkten vereint mit aller Macht dahin, ihn zu einer Übersiedlung zu stimmen. Diese Übersiedlung ist eine ausgemachte Sache unter den hiesigen Freunden, schrieb er zu wiederholten malen und Heyse schrieb mir, er müße sich aufs Unsterblichste gegen eine Vertagung der Übersiedlung aussprechen. Bis September längstens müßten wir dort sein, er werde bis dahin alles in Bereitschaft halten. So standen die Sachen als Hermann sehr angegriffen und halb krank zurückkehrte. Er hatte in München einen Ruhranfall gehabt und die ungewohnte Lebensweise, das viele Rennen in Wind und Hitze hatte nicht so nachhaltig auf seinen nervösen Zustand gewirkt als ich anfangs gehofft. Noch sagt er, er habe Wohlgefallen an München, seine Sehnsucht sich dort niederzulassen sei die gleiche, er hege aber eben starken Zweifel, ob der dortige Sommer, die brennnde Hitze mit eiskalten Winden in stetem Wechsel sich mit seiner Con- stitution vertragen werde. Jedenfalls ist ein Aufschub in die Frage getreten. Ich für meinen Theil glaube zwar, daß er hier gerade so übel daran gewesen sein würde, daß, die Ruhe abgerechnet, alles sich in der milden Luft auch so gezeigt hätte, denn solche Zustände haben ihre verschiedenartigsten Phasen. Wie gesagt, ich glaube dies, aber gewiß weiß ich`s eben nicht, und wenn er es anders fürchtet, so kann ich natürlich den liebsten Wunsch nicht länger antreiben. Die Hoffnung geb ich zwar nicht auf, denn alles weist uns dahin. Hermann gibt einen Kalender (A.) mit Heyse und Riehl heraus, wozu Neureuther, der Illustrator Göthes die Illustrationen liefert. Heyse schrieb es sei nicht mehr Sache der Wahl sondern der Pflicht, und zudem ist er so gewaltthätig und tyrranisch daß, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, nicht nachgibt. - Und Hermanns Umzug ist ihm wie auch Hermann zum Bedürfnis geworden. So steht die Sache. Aufgegeben ist der Gedanke nicht, nur etwas in die Ferne gerückt. Solange Hermann nicht vollkommen wohl ist, läßt sich da auch nichts darüber bestimmen. Seit Hermann zurück ist gehen wir täglich in die Berge. Ich hoffe, daß durch die Bewegung in der frischen und milden Luft sich seine Nerven wieder stärken. So waren wir gestern auf dem Hof an der Diepolsburg oder Rauben, wo uns das reizende junge Mädchen, deren Stiefmutter wie sie sagte eine Freundin von Dir sei, sagte, daß Du im Juli nach Unterlenningen gehen werdest.- Schlechte Person. Dahin kannst Du, zu uns aber zieht es dich nie!- So viel ist gewiß, und da sei der Teufel nicht eifersüchtig. - Von Hertz hab ich eine Photographie, wenn Du sie sehen willst so komme. Viel hätte ich zu erzählen, aber ich habe keine Zeit. Den Wechsel auf die Küsse hast Du zu zahlen.- Du bist ja sonst freizügig und tolerant im Schuldenmachen und Wechsel ausstellen, weßhalb sollte ich da nicht auch Deine Lippen benützen dürfen, wenn sie sich besser eignen als die meinen.

Hermann läßt Onkel Kausler und Deine Mutter auf Herzlichste grüßen. Ich küsse Dich mit treuer Liebe. Ein Gruß von Hermann.
Deine Marie
Er hat sein Ebenbild nicht in der Glyptothek finden können - den Bachuszechmeister nämlich. So wäre den diese lang beprochene Reise auch vorrüber.

8. Juli 1863

(von der ärgsten Not in Kirchheim) Liebe Marie!

Es war mir die Zeit her nicht möglich in der gedrückten Stimmung in der ich mich befand Dir zu schreiben. Welch bittere Enttäuschung nach so hochgeschwellten Hoffnungen! Der Kalender, auf den dann doch hauptsächlich oder besser gesagt allein die Möglichkeit eines Fortkommens in München gegründet war, ist im Keim erstickt! Die literarischen Beiträge lagen alle fix und fertig da, eine reizende Novelle von Heyse, eine höchst orginelle von Riehl, eine in Versen von Hertz und schließlich eine zwar noch nicht beendigte, die aber jedenfalls fertig geworden wäre, von Hermann, da schrieb der Verleger Kröner von München aus, daß die Münchner Künstler ihn im Stich gelassen hätten. Neureuther sei auf`s Land, und als er ihn endlich habhaft geworden wäre, habe er ganz ruhig gesagt, er müsse erst noch Studien zu Heyses Novelle machen, die Zeit ist jetzt zu kurz. Auerbachs Kalender ist schon erschienen und Kröner will also die Herausgabe auf`s Jahr 65 verschieben. Damit ist für uns aber alle Aussicht einer halbwegs menschenwürdigen Existenz wieder verschwunden, was Du umso mehr begreifen wirst, wenn ich Dir sage, daß Hermann für die Redaktion des Kalenders 100 fl und weitere 100 fl für die Novelle im Vorrraus angenommen hatte, was natürlich in München drauf ging, daß er seit Mai nicht mehr etwas Fertiges zu Wege brachte, daß die 200 fl Schillerstiftung fast zur Hälfte durch Deckung der nöthigsten Schulden drauf ging und daß die Frau Sorge wieder treulich Wache bei uns hält. Daß Hermann von seinem Ansturm wieder mehr als durchdrungen, mit Noth und Entbehrungen ringend, nicht gerade in der Stimmung ist Großartiges leisten zu können, wird Dir psychologisch sehr begreiflich sein. Heyse, der voll guten Willens und der treusten Liebe für Hermann ist, kann weiter nichts thun. Er hat ihm seinen Beutel für die Übersiedlung angeboten, aber es ist natürlich, daß man nicht seine besten Freunde berauben will; denn ein Raub ist eine solche Anleihe, die man wohl niemals wieder zurückgeben kann. Und so stehen die Sachen schlechter als früher, weil die Hoffnungen so schön waren, und wir auf dem gescheiterten Wrack eines geträumten Glücks stehen. Wohl wird der Kalender auf das nächste Jahr erscheinen, aber die 200 fl sind jetzt im Vorraus eingenommen und die Schulden werden bis dahin wieder so anwachsen, daß es schon gut gehen muß, wenn sie gedeckt werden können. So wirft uns das Leben von einer Sandbank zur andern. Inzwischen kommt das Alter, jede getäuschte Hoffnung schreibt eine Kurve weiter ins Gesicht, die Kraft wird mürbe und die Fantasie erlischt. Wie es noch mit uns werden soll? Jetzt werden die Leute sagen, es ist unverantwortlich von ihm, daß er nichts leistet, die Nation hat ihm durch die Schillerstiftung helfend unter den Arm gegriffen, und doch kommt nichts zu Tage. Aber sie wissen freilich nicht, daß jedes Jahr zwei bis drei Monate fast arbeitslos vergehen, weil er sein jährlich wiederkehrendes Nerven- leiden mit entsetzlichen Aufregungen hat, daß die Zeit nachher fast noch ärger ist, eine Art physyschen Katzenjammers, wo die Flügel der Fantasie ihn auch nicht weiter tragen können, die übrigen Monate schafft er sich dann wieder halbtodt mit lauter zwar schlechter Brotarbeit, und allemal ist die Folge der Überanstrengung das wiederkehrende Nervenleiden. ®So geht es nun seit 5 Jahren. Sag, ist`s da ein Wunder, wenn endlich die Elastizität meiner Seele erlahmt, und ich in dumpfe Resignation verfalle? Zu helfen ist nicht und zu wünschen wäre bloß, daß wir samt unsern Kindern, schnell von einem Blitzstrahl dahingerafft würden! Glaube nicht, daß ich Trostworte erwarte, ich bin nicht so schwach zu verzweifeln, aber ich bin ohne Hoffnung, ohne Sporn, ohne Lebenslust!

Daß I.G. Fischer bei Dir war hat mir ein Mäuslein gepfiffen. Du hast hoffentlich meine Wechel bezahlt. Die Gedichte von Hertz besitzen wir nicht, sonst hättest Du sie längst erhalten. Deinen Onkel sprachen wir neulich in Plochingen, wohin wir die Tante Mohr auf die Eisenbahn beförderten; er ging nach Wendlingen, um für Euch eine Pfarrei einzusehen. Das wäre schön, wenn wir uns so nahe kämen.

In Stuttgart war ich auch einige Tage mit den zwei großen Kindern auf der Vakanzreise, die wir zu Fuß begannen. Ich wollte noch einmal Stuttgart und die dortigen Freunde sehen, denn jetzt hat`s mit Reisen ein Ende. Christine kommt auf einige Tage zu Frau Weißer, dann bin ich mit Josephine allein und darf an keine Erholung irgend einer Art mehr denken, namentlich nicht von zu Hause fort gehen, denn fünf Kinder wollen bewacht sein, besonders hier, wo sie schon in tausend Todesgefahren waren. Butzel wäre fast in der Lauter ertrunken und dankt einem Schäfer seine Rettung, und dann werden die Kinder von dem hiesigen Gesindel beständig mit Steinwürfen verfolgt, so daß man nie aus der Angst kommt. Erwarte jetzt keine großen Briefe von mir, es ist leer und öde in mir, ich kann Dir nichts schreiben, denn Sorge ist ein hässlicher Wurm, der endlich das gesundeste Gemüth benagt. Lebe wohl, schreibe mal und oft und gedenke mit Liebe an Deine Marie. Schreibe bald!

23. Juli 1863

(Stempel)
Liebe Marie!

Du hast mich lang nach einem Brief schmachten lassen, und wann sind Briefe größere Wohlthaten als zu einer Zeit, wo man der Aufheiterung bedürftig ist. Ich überrede mich dann, daß ich Deinen Worten Glauben schenke und laß mich in Ruhe lullen wie ein weinendes Kind. Es ist etwas Magisches um die Hoffnung, das habe ich diesen Winter verspürt. Es waren diesselben Verhältnisse, dasselbe geisttödtende Ringen um das elende tägliche Brod, und doch lebte ich dahin, unangefochten um die Noth der Gegenwart, weil ich mich in trügerische Träume gewiegt, weil ich noch einmal zu hoffen gewagt. Der Gedanke München, und ich gestehe es, der noch zaubervollere Heyse hat sich mir nach und nach so festgesetzt, ist so tief in meinem Denken und Fühlen geworden, daß ich leichtgläubig wurde, und unserem guten Stern vertraute, der bekanntlich nur ein Unstern war und ist und sein wird. Jetzt bei kühlerem Nachdenken sage ich mir wohl, daß selbst wenn der Kalender als Unternehmen geglückt wäre, er doch unmöglich so viel abgeworfen hätte, daß man auf`s Geradewohl eine solche Übersiedelung hätte unternehmen dürfen. Du sagst wohl, wir müßten ja überall leben, aber es ist ein Unterschied, ob wir einen Hauszins von 88 fl oder von 180 fl zu zahlen haben. Es wird lang währen bis ich mich mit der traurigen Nothwendigkeit, hier in dieser trostlosen Einsamkeit zu bleiben, ausgesöhnt haben werde. Dein Bruder sagt, Du kämest im August, aber dieser Hoffnung gebe ich mich noch nicht hin, denn Dein Kommen ist nur ein Erscheinen und Verschwinden, nie soll es mir behaglich mit Dir werden, nie dazu kommen, Dich längere Zeit genießen zu können. Es ist Dir unbehaglich bei mir, das fühl ich wohl, und ich bin leider nicht im Stande es Dir behaglicher zu machen.

Von Herzen freue ich mich, daß ®Fischer bei Dir ist. Es werden schöne reiche Stunden für Dich sein. Er hat Dir gewiß seinen "Friedrich" vorgelesen, und Du hast die Dichtergabe mit freiwilligem Dichtersold bezahlt, da Du Dich doch nicht auf einen Wechsel einlassen wolltest. Mir war es sehr leid, ihn in Stuttgart nicht getroffen zu haben, grüße ihn und sage ihm, wie sehr es uns freuen würde, wenn er auf seiner Rückreise einen kleinen Astecher an die Teck machen wolle. Es würde Hermann angenehm zerstreuen und anregen. Er ist seit längerer Zeit sehr leidend ohne krank zu sein, ein allgemeines körper- liches Mißbehagen, ich bin dennoch überzeugt, daß Zerstreuung ihm gut thun würde.- Auch Garibaldi war wieder sehr krank und hat uns große Sorge gemacht.

Seit 8 Tagen bin ich mit Josephine allein, Christine ist wieder bei Frau Weißer, Du kannst Dir aber denken, wie sehr ich mich abzappeln muß ohne sie. Ich besitze leider Dein Talent nicht, mich mit diesen häuslichen Geschäften auf einen so versöhnlichen Fuß zu setzen. Ich thue es aus Vernunft, um wenigstens meinerseits alles zur Verklei- nerung der Ausgaben beizutragen, aber ich thue es mit Widerwillen. Hätte ich nur die Bettina noch nicht gelesen und könnte sie jetzt lesen, ich möchte den Rausch noch einmal genießen, denn es ist jetzt so dürr, so trocken, so öde in mir, und doch der Drang mich zu berauschen, denn nur in freien Stunden, die mich zu solcher geistigen Berauschung bringen, ist es der Mühe werth gelebt zu haben. Bis jetzt habe ich mir die hohe Begreifsfähigkeit die inneren Jugend erhalten, ich fürchte aber die dünne Zuckerschicht, daß es immer so bleiben werde, wird mich betrügen, und die Kehrseite des Lebens wird auch bei mir ihr Recht geltend machen.

Wenn Du etwas von W. Waiblinger besitzt, so schicke es mir. Und nun einen eiligen Gruß, schreib mir viel- auch von Fischer, hörst Du - was ihr treibt- wie Ihr`s treibt - nehmen darf er`s sich, der Gute? das ist der Liebe höchstes Recht. Ich sehe schon, wie Du wüthend wirst, wenn ich Deine Kupplerin machen will.- Grüße den Onkel, Deine Mutter und schicke mir Deinen Freund,

Mittwoch
Deine Marie
(Frl. M.C. Stötten 23.7.63)

30.Juli o.J. 1863 (?)

Meine liebe Marie!

Laß mich Dir nur mit ein paar Worten sagen, daß ich mich unendlich auf Dich freue, daß es das Einzige ist, worauf ich mich noch freue und nun mit Gewißheit rechne, aber besonders auf die "einige Tage", die Du mir versprochen hast. Es wird vielleicht auch Hermann wohl thun. Sieh, ist das ein Leben, wenn man tagelang nicht aus seinen vier Wänden geht, kaum ein paar Worte spricht und dumpf vor sich hinbrütet. Es wäre vielleicht in München gerade so, ich gebe es zu, aber die Anregung würde von außen an ihn hindringen, und wenn Heyse mit seiner süßen Tyrannei käme, und Hertz, dessen bloßer Anblick einem wohl thut, so könnte er nicht fortfahren sich einzuschließen. Aber wozu diese vergeblichen Klagen! Daß ich mich drein ergeben muß, ich weiß es, und daß ich nichts mehr für eine Änderung unseres Lebens hoffen darf, weiß ich auch.- Es kommt mir manchmal sogar wie ein Verbrechen vor, daß ich umgeben von den Liebsten, immer noch mich sehne und auf Änderung schmachte. Das aber darfst Du mir glauben, daß wenn ich Hermann in einem beglückenden Schaffen sehen würde, auch mein Herz weniger nach Aufregung und Betäubung haschen würde. Ich würde dann in diesem Leben, in diesem mich begeistern. Aber so ists gerade der Gedanke der mich quält, der mich peinigt, es ist die trostlose Frage die sich mir aufdrängt: Ist es denn vielleicht aus mit seiner Produktivität, ist der Dichter verloren gegangen im Elend und in der Sorge um die tägliche Existenz, hat ihn die Familie gemordet? - ®Ehrgeiz ist eine der stärksten Leidenschaften meiner Seele. Wenn die Menschen sagen und zu verstehen geben, daß er eben mehr schreiben sollte, wenn sie es gar für unverzeihlichen Leichtsinn halten, daß er nicht mehr thue um sich herauszureißen aus der drückenden Lage, da könnt ich oft toll werden. Kann er, wenn er eben nicht kann!- Je mehr ich darüber nachdenke, je mehr werde ich selbst melancholisch und unfähig den Anforderungen der Kinder und des Lebens zu genügen. Nur wenn ich mich berausche, mich der Gegenwart entrücke, kann ich die übrigen Funktionen wie im Traum verrichten. Dürft ich mehr lesen, aber da kommt die Last des täglichen Lebens, das ewige Einerlei, oder könnt ich nur hie und da einen lieben Menschen sehen, wo ich mich aussprechen könnte, ich bin nun einmal nicht verschlossen, und was in mir nagt und blutet, glättet sich sanft, wenn ichs in ein zweites übergetragen habe. Aber Du kannst ja Dich wohl noch freuen, in der Freude empfinde ich dann, daß ich noch nicht so alt bin.

Mit Dank nehme ich an, daß Du mir helfen willst. Im Oktober will Hopf kommen, aber ich glaubs nicht, weil ich nicht enttäuscht sein will. Vorgestern hat er mir seine "Thekla" geschickt. Ich habe sie immer absichtlich nicht gelesen, weil ich vor dem christlichen Stoff zurückwich. Trotz diesem Stoff hat`s mich wunderbar ergriffen. Und dann so behandelt, da klingts freilich anders. So sehr getreu ist der Held wohl nicht, aber der grösste Nationalist kann sich mit dieser Auslegung zufrieden geben. Und wie schön sind die Verse, und wie wenig stoße ich mich hier am Glaubenseifer, der eins mit ihrer Liebe ist. Ich habe die halbe Nacht durchgelesen und im Traum hat sich mir alles zu den fließensten Hexametern gebildet. - Hopf ist jetzt im Bad im bayrischen Hochgebirge. Wenn er schreibt ist`s mir freilich ein Festtag, aber wenn er käme, wäre es noch mehr, deßhalb glaub ichs nicht. (A 1)

Hedwig schreibt lange liebe süße Briefe, sie schwärmt fort in dem Gedanken an München, und ich habe nicht den Muth sie heraus zu reißen, was jetzt ihr einziger Trost und Lichtblick ist, denn sie ist in der Hoffnung. Im Frühling will sie mit den zwei Kindern hierher kommen und hofft dann uns in München zu besuchen. Sie will bleiben wo wir sind und nicht mehr nach Spanien zurück. Sie schreibt, ich habe die redlichste Absicht mich in Deinen lieben Tyrannen zu verlieben, ihm mein Herz zu schenken, so viel Deine eigene Hochzeit mir nämlich noch übrig gelassen und mit Deinem Prachtexemplar der Sinnlichkeit Hertz will ich aber nicht nur die Gläser erklingen lassen, sondern sogar Fesseln, worin mir gegenwärtig ein Doktor Unterricht ertheilten will, bin aber sehr ungelehrig bis jetzt.

Gleichzeitig mit der "Thekla" kam auch Fischers "Friedrich." (A 2) Ich bitte Dich, schreibe darüber und lobe was Du loben kannst, sags auch nochmals Deinem Onkel.- Hermann ist in einem peinlichen Gesund- heitszustand, wie könnte er Fischer den Dienst versagen und doch hat er noch nie gegen seine Überzeugung geschrieben. Helft um aller Musen willen. - Ich freue mich zusätzlich auf Dich. Bleibe nicht wie eine Sternschnuppe, die nur das Auge blendet.- Wir wollen in die Berge. Warm soll mirs werden, jung und froh wollen wir sein. Und helfen sollst Du mir, denn ich weiß nicht wie ich fertig werden soll mit Kinderkleider flicken und neu machen. Bringe mir auch, wenn möglich irgend eine Musterzeitung mit. Den "Waiblinger" (A 3) besitzt Du wohl nicht, sonst hättest Du mir es geschrieben? Bis wann kommst Du - schreib noch einmal, und äußere Dich über den Friedrich.

Lebe wohl und denke ®wie viel Du meinem Herzen sein mußt.
Deine Marie
Ich hoffe, Du kommst nun bald uns näher, wie sehr würde michs freuen dann einmal zu Dir zu können.

Anmerkungen

(A 1) ®Hopfs Predigten hatten großen Zulauf, denn durch sein praktischen Christenthum wie Armenküche im Pfarrhaus usw. wurde er sogar für die unkirchliche Marie Kurz in chistlilchen Aussagen glaubhaft. Hopf führte mehrere Jahre den "Beobachter" und gründete im Juli 1862 das Wochenblatt "Gradaus."

(A 2) Johann Georg ®Fischer 1816-1897, Lehrer in Stuttgart und Dichter.

(A 3) Wilh.Friedr. ®Waiblinger 1804-1830, Freund Mörikes. Buch: "Lieder der Griechen"

24. 9. 1863

(Stempel)
Liebe Marie!

Es war mir bis jetzt nicht möglich Dir zu schreiben, mein Geist der zwischen Fürchten und Hoffen hin- und hergeworfen wird, war nicht in der Stimmung und ist es auch heute noch nicht. Du hast vielleicht gesehen, daß Hermann sich um die vakante Bibliothekarsstelle, von verschiedenen Seiten aufgefordert, beworben hat. Er war in Stuttgart bei Golther, der ihm die förmliche Zusage,(was ihn betreffe) gegeben hat. Die Besetzung ist aber vom Senat abhängig und da Fe- rien sind, so läßt sich derzeit kein Schritt thun. Hermann hat an Klüpfel geschrieben, und keine Antwort erhalten, von Keller nur kurz, daß eine sehr komplizierte Rechnerei dabei sei. Das war eine etwas entmutigende Notiz. Da sitzen wir in der absolutesten Abgeschiedenheit, haben noch 4 lange Wochen vor uns in ziemlicher Un- gewißheit und die ganze Welt läßt einen mit Briefen im Stich. Die Zusage des Ministers hilft natürlich nichts, wenn der Senat nicht will. Was die Meinung der Professoren ist, darüber erlangen wir keine Kunde. Ich muß mit ganzer Seele wünschen, daß Hermann diese Stelle erlangt, um nicht an des Wortes wirklicher Bedeutung den gar nicht romantischen Hungertod mit den Meinigen sterben zu müssen. Du ahnst nicht, wie es uns in dieser Beziehung diese Zeit hier ging. Und doch, ist der Wunsch erfüllt, dann wird wie bei mir erst recht mein Schmerz über das Aufgeben meines süßesten Traums - München- in mir ausbrechen. - Kann Dein Onkel irgend etwas thun, so soll er alle Segel ausspannen. Fischer war voll freundlichen Feuereifers. Er hat versprochen bald zu uns zu kommen.

Deine Muster brauch ich nicht mehr. Ich konnte unmöglich so lange warten und habe anderswoher solche erhalten. Wenn Du mir aber grüne Flecken zu Edgars Hosen schicken wolltest, würdest Du mir einen Ge- fallen thun. - Für heute genug. Es ist mir gar nicht sehr wohl zu Muthe. Laß bald von Dir hören. Wir sind in einem, nicht beneidenswertem Zustand.
Deine Marie
A 1 Ludwig von Golther, 1823 - 1876, Kultusminister, der Vater von Wolfgang Golther, dem Wagnerexperten.

A 2 Karl Klüpfel, 1810 - 1894, Schwiegersohn von Gustav Schwab, Universitätsbibliothekar auch noch mit Kurz zusammen.

A 3 Adalbert Keller, 1812 - 1883, Oberbibliothekar und Freund von H.K.

27. 9. 1863

ohne Anrede

Mit einer bewunderungswürdigen Geschwindigkeit, als ob keine Botin auf der Schneckenpost die Briefe zu besorgen hätte, kam der Deinige heute früh an, und weckte die gestorbene Hoffnung wieder auf, obgleich es nur ein Strohhalm ist nach dem wir greifen. Denn die Nachrichten aus Tübingen lauten anders. Klüpfel schrieb endlich er habe sich nicht gedrungen gefühlt, so schnell an die Beantwortung von Hermanns Brief zu gehen, da er ihm nicht gerne seine Hoffnungen über den Haufen werfe. Das Haupterfordernis des neuen Bibliothekars seien eine große Gewandtheit im Rechnen und eine schöne Hand. Er schrieb, daß sie einen Commis oder Buchhalter für diese Stelle wollen, denn unter den Gelehrten dürften sich doch wenige Kalligraphen (A 1) finden. Das Hauptgeschäft dieser Stelle sei mit den englischen und französichen Buchhändlern im Geschäftsstil zu correspondieren und die Rechnungen zu führen. Gleichzeitig mit Deinem Briefe kam eine kurze Notiz von Keller, in der er meldet, Roth, der Oberbibliothekar sei in Tübingen, von ihm sei die Besetzung abhängig, und es werde daher das Kürzeste sein, Hermann komme persönlich. (A 2)

Hermann ist seit einigen Tagen recht unwohl und bis jetzt unent- schieden was er thun soll. Er würde selbst an Fischer geschrieben haben, wenn Du uns nicht mitgetheilt, daß er diese Weihnachten zu Euch kommt. Sage Du ihm also wie die Dinge stehen. Ich möchte wohl wissen welche Professoren er gesprochen. In Stuttgart leben sie alle der festen Überzeugung es könne nicht fehlen, so schrieb auch ®Seeger (A 3) an Frau Heinrich, Hermann hätte die besten Aussichten. Fischer wird sich auch am meisten auf Golthers Ansicht, der zu Hermann sagte: "Württemberg ist Ihnen das schuldig," verlassen. Die Tübinger Herren wollen aber die eigentliche Bibliothekarsstelle eingehen lassen und mehr einen untergeordneten Finanzbeamten suchen. Ich will diese Tage der peinlichen Aufregung nicht vergessen! Du sagst, ich liebe sie, die Aufregungen, ja, die schönen angenehmen, die mich hoch emporheben über das elende Alltagsleben, nicht aber dieses Schweben zwischen Furcht und Hoffnung, dieses nicht leben und nicht sterben können! - Ich beabsichtige diesen Monat auch noch nach Stuttgart zu gehen, um die Kinder ihre Vakanz genießen zu lassen, sind sie doch so arme Schelme wie ich selbst, immer auf sich selbst beschränkt. Natürlich muß das Wetter schön sein, denn ich will bis Eßlingen, der Kosten wegen, zu Fuß gehen. Fischers versprochenen Besuch möcht ich aber nicht versäumen, laß also hören ob und wann er zu uns kommt. Ich habe die Zeit her mich halbtodt genäht. Die Absicht nach Tübingen zu kommen machte eine große Ergänzung der Gardarobe für die Kinder nöthig, drei Paar Hosen und drei Jacken habe ich in der letzten Woche zusammengepfuscht, ich bin ganz verstimmt darüber, und jetzt komm ich erst an Erwin, der, wir mögen gehen oder bleiben, die Winterkleider braucht, die schon geschnitten, aber noch nicht genäht sind. Behalte was Du hast, es liegt bei mir genug aufgehäufter und zu verarbeitender Stoff und ich kann ihn so allmählich beiseite schaffen. Die Hemden pressieren nicht mehr, da mir Frau Heinrich zwei geschickt hat. Letzten Dienstag hat diese die Reise nach Spanien angetreten.

Daß Tübingen ein sehr angenehmer Tausch für Hermann wäre ist natürlich, daß aber, wenn uns unser Pech auch wie bisher in dieser Sache verfolgt der hiesige Aufenthalt ganz unleidlich zuwider ist, wirst Du begreifen. Fort nur fort, und wärs am Ende gar nach Amerika, um dort gegen die Seelenverkäufer einen schnellen Tod zu finden.

Lebe wohl, schreibe bald
Deine Marie
Sonntag

Anmerkungen

(A 1) Kalligraphen = Schönschreibekünstler

(A 2) Es haben sich viele beworben u.a. auch Bacmeister, der aber zugunsten von Kurz zurücktrat. (siehe Katalog Rtlg."Hermann Kurz")

(A 3) Seeger Adolf, 1815-1865, Jurist und Bruder von Ludwig Seeger.

24. 11.1863

Liebe Marie!

Nun diese Zeilen nur für die Aufforderung mir wieder zu schreiben, und halte meiner damaligen Stimmung das Schweigen zugute. Das ewig bange Harren hat uns ganz matt und mürbe gemacht. Hermann kam von Tübingen mit sehr großer Hoffnung zurück, die von Stuttgart aus beständig noch gesteigert wurde, denn Golther soll noch öfter ge- äußert haben, daß er unter allen Umständen ihn erwählen wolle. So standen die Sachen viele Wochen lang, ich erwartete von Tag zu Tag die Entscheidung und wollte deßhalb Dir nicht eher schreiben. Endlich hat die Staatssitzung stattgefunden, aber der Wille des Oberbibliothekars hat durchgeschlagen. Die Minorität hat zwar ein Sparatsvotum an den Minister eingereicht (Römer, Schäffle etc.) und Hermann wurde aufgefordert sich auch noch persönlich an Golther zu wenden, auf diese Weihnachten will er es aber nicht erschleichen, er that also keinen weiteren Schritt, und somit hat der Unstern der uns dieses Jahr so unerbittlich verfolgt, diesmal sein Recht geltend gemacht. Wie hoch flogen meine Wünsche und Hoffnungen dieses Früh- jahr. - München, mit all seinem Zauber stand kurz als süße lauschende Fata morgane vor uns auf.- Dann kam die Verunglückung des Kalenders und jetzt nach monatelangem aufreibendem Hoffen und Harren und Pläne machen die dritte Niederlage. Wenn ich an meine Kinder denke, für die es von wunderbarem Werthe gewesen wäre, könnt ich laut aufschreien. Es zieht uns unaufhaltsam zum Abgrund und nirgends ist Rettung mehr. Daß endlich auch mein Muth, meine Lebens- freudigkeit erlegen ist, ist sicherlich kein Wunder; Bitterkeit hat sich meiner bemächtigt. - So sind diese Menschen! Unsere Lage ist wohl bekannt. Ein wenig guter Wille und eine Familie wäre gerettet gewesen.- Genug, ich will nicht mehr darüber sprechen.- Die ganze Welt aber ist mir zum Ekel geworden, und wenn ich noch einen Wunsch habe, so ist es nur fort aus Deutschland, aus Europa, wenn´s möglich wäre aus der Welt. Dazu kommt noch die tägliche Angst um Isolde, deren Magenleiden mit erneuter Macht sich mit dem Winter eingestellt hat.- Es scheint auch bei Dir der Winter einen schlimmen Einfluß zu haben.

Du fragst nach neuen Entwürfen? Was sollen wir denn für Entwürfe machen können? - Zu alledem ist das Schillergeld ausgeblieben von dem auch Fischer der Meinung war, es werde für October kommen. Ihn darüber befragen können wir nicht. Der "Friedrich" brennt Hermann auf der Seele, es ist schrecklich, wie undankbar muß er ihn halten, und doch er kann nicht. Wie manche Stunde hat uns dieser Jammer niedergedrückt, er taucht immer wieder auf, denn wir fühlen wohl, Fischer kann dies nicht vergessen noch verzeihen. Auch über Hedwig bin ich in Noth und Angst. Täglich erwarte ich die Kunde ihrer Niederkunft und sie kommt nicht. Ich darfs gar nicht denken.- Schreibe mir, schreib, ich hab sonst gar nichts mehr an dem ich mich erfreue, auf das ich hoffe. - Alles ist wüst und leer.
Deine Marie

11. December 1863

Meine arme liebe Marie!

Verzeig, daß ich erst jetzt Deinen Brief beantworte, aber hättest Du gesehen wie ich in der Arbeit stecke, so müßtest Du mich entschuldigen. Seit dem 1. December ist Hermann in Tübingen, und ich, die ich in der langen Harrezeit alles liegen ließ, mußte mich über Hals und Kopf ins Arbeiten werfen, 8 Paar Hosen und ein Kinderkleidcjhen habe sich seit- her gemacht, denn die Kinder gingen in Lumpen, sodann das Sopha ab- gezogen und wieder überzogen, 6 Sessel gepolstert, und dazu halbe Nächte zugebracht.Mittwoch nun aber ging es mit Besuchen nicht aus! Ottilie ihr Mann kam von Beuren, dann Marie Hopf, die entsetzlich gearbeitet, meine Kleider änderte, die halben Nächte dazu verwandte, gestern kam eine Kutsche voll Obereßlingen darunter Frl. Pfäfflin, die über den Auszug blleibt. Marie ist heute abend wieder fort.

Nächsten Mittwoch ziehen wir von hier ab. Ich habe den Möbelwagen von Nürtingen; Hermann hat bereits eine Mansardenwohnung, 2 Zimmer zu 185 fl gemiethet, ärgerlich ist es, daß zu dieser theuren Wohnung der Umstand kommt, daß wir bis Georgi hier zahlen müssen. Überhaupt sind die Verlegenheiten unerhört und ein Jahr haben wir in größeren Nöthen und Sorgen aks sonst- aber dann kann`s besser geben. Mir kannst Du glauben, daß ich zugeben werde, daß Du bei Deinem Kopf- weh Dich it Nähen abplagen solltest. Hast Du Hosen von Deinem Onkel, die mir zu Gebot stehen, so schicke sie mir so, ich habe eine solche Gewandtheit im Hosenmachen, daß ich sie mit Leichtigkeit zustande bringe bringe.Nach dem Umzug hab ich schon Zeit.

Von Hedwig hab ich die gute Nachrichht erhalten, daß sie glücklich mit einem Buben niedergekommen ist, bis zum nächsten Herbst ist sie bei uns.in Tübingen, hoffentlich auf immer, sieht hat keine Lust mehr mehr zurückzukehren.

Von ganzem Herzen wünsche ich Dir gute Besserung, ich hoffe daß sie schon längst eingetroffen ist, pflege der Ruhe und lasse das viele Denken und schwärmen bis Du gesund bist.

Von Tübingen aus schreib ich Dir einen ordentlichen Brief, doch erst wenn ich in Ruhe bin.

Mit 1000 herzlichen Grüßen und Küssen
Deine Marie

30.12.63

(aus Tübingen)
Meine liebe Marie!

Wenn mich nicht Deine vielen Geschenke zwängen Dir unseren herz- lichsten Dank entgegen zu bringen, würde ich einen ruhigeren Moment, auch mehr Erlebnisse und Eindrücke abwarten, um Dir zu schreiben; so mußt Du aber wieder mit wenigen Zeilen vorliebnehmen.

Ich hatte gleich zum Einstand zwei kranke Kinder, sodaß ich neben der Anstrengungen nachts nicht zu Bette kam. Jetzt sind die zwei Buben zwar wieder wohl, aber Isolde so leidend, daß ich oft ernstliche Sorge habe. Ich selbst habe das Zahnweh. Zu Deinen "Milch- zähnen", die am Ende gar Weisheitszähne sind, gratuliere ich Dir, besser mit Schmerzen Zähne bekommen als ohne Schmerzen, dafür mit Fieber. Man ist von allen Seiten sehr freundlich gegen uns und sehr zuvorkommend. Hermann hat schon 70 Besuche gemacht, die gegenwärtig täglich ihre Gegenbesuche abmachen. Ich war außer bei Mayers, Silchers und Kellers nur bei Frau Uhland, die sehr herzlich und freundlich gegen mich war, und da mir jedermann versichert, daß sie sehr unzugänglich sei, so habe ich mir das hoch anzuschlagen. Zu dem alten Mayer habe ich eine große Vorliebe gefasst. Er ist rüh- rend herzlich und lieb gegen uns. Hermann ist derzeit noch ziemlich angestrengt, hofft aber, daß er nach Neujahr an die Beendigung seiner angefangenen Novelle werde denken können.(1)

Wir wohnen in einem schönen neuen Haus an der Eisenbahn,(2) alles schön, die Aussicht herrlich, aber sehr theuer. Die Gegend entzückt mich. Die Aussicht vom Schloß ist wahrhaft prächtig und gleicht einer Schweizer Landschaft. Hier ist alles: Wasser, liebliche Thäler, Hügel mit Tannenbäumen, in der Entfernung die Albkette. Es ist mir, als wenn ich immer dagewesen. Hermann lebt in Saus und Braus, ist fast keinen Abend zu Hause, aber ich freue mich darüber. Er hat lange jede Auffrischung entbehren müssen, und es behagt ihm hier. Über die Feiertage war Bacmeister da, kommt am Neujahr wie- der, auch steht mir Pfaus Besuch in Aussicht, und was über alles geht, auch Heyse wird anrücken im Laufe des Winters. Inzwischen haben wir seinen höchst liebenswürdigen Schwager Bernhard Kugler, Privatdocent der Geschichte hier. Weißt Du, daß ich in meinen alten Tagen eitel werde und mich putze so viel es nämlich geht.

Aber nun komme ich mit einer Bitte. Wolltest Du mir nicht die Hosen, die zu kleinen Hosen hierher schicken? Ich habe jetzt Zeit und die Buben sind sehr übel dran. Ich habe Alfred ein paar aus Hermanns Hosen gemacht, und als er sie zum ersten mal anhatte, platzte das Zeug. Ich will schon gut nähen und ein Muster könnt ich Dir doch nicht schicken, da jeder Bob bloß ein Paar Hosen hat. Ei, hast Du nicht ins literarische Wochenblatt von Seeger eine Novelle ge- schrieben. Hermann schwört darauf, daß der "®Sänger" von Dir sei. Antworte darauf.- Auf was für sinnige Einfälle Du kommst, Deine Marketenterin ist herzig und Isolde sehr glücklich darüber, mir ist aber leid, daß Du überhaupt so viel Geld ausgegeben. Wenn einmal die hiesigen Vorlesungen, die ich besuchen werde, be- gonnen haben, werde ich Dir wieder schreiben. Es ist noch nichts in Ordnung, die Krankheiten der Kinder und der Christtag hinderten mich sehr und dazu kommt, daß ich so lange kein Laufmädchen erhal- ten, und wir wohnen drei Treppen hoch.

Aber ich muß schließen, nimm unseren herzlichsten, wärmsten Dank, und sei gegrüßt und geküßt von allen
Deine Marie
Tübingen, 30. Dez.
(Umschlag vom 31.12., M.C. bei Kausler in Kleineislingen)

Anmerkungen

(1) Die erste Wohnung war Karlstr. 13,III, heute Epple-Haus.
(2) Novelle von Hermann Kurz: "Sankt Urbans Krug"
Ende vom Mappe I

        Mappe 2


5. März 1864

Tübingen
Liebe Marie!

Wenn Du wüßtest in welchen Briefschulden ich stecke, wie ich Hedwig, seit ich hier bin, bloß ein einziges Mal geschrieben, so würdest Du Dich nicht beklagen. Nicht, daß mich das gesellschaftliche Leben in Anspruch nehmen würde, denn ich habe keine Besuche gemacht, aber das ganze Leben überhaupt nimmt mich eben ganz anders in Anspruch als in Kirchheim. Du mußt in erster Linie bedenken, daß ich hier viel mehr häusliche Geschäfte habe, und daß ich mich mit Josephine allein mehr als übermenschlich abhetzen muß, eben der Umstand, daß es sehr unruhig bei uns ist, daß wir sehr viele männliche Besuche haben, daß es mit Professoren privat und Studenten den ganzen Tag fort aus- und eingeht. Dabei muß ich mich zu todt flicken und nähen, und doch bin ich noch unersättlich in den geistigen Genüssen die sich mir darbieten. Ich habe nun eine Reihe Vorlesungen, zu denen alle Fakultäten ihr Kontingent geliefert, mitangehört, und habe gelesen und verschlungen, wie noch nie in meinem Leben, ganze Nächte durch, denn den Tag bekomme ich keine Zeit, aber wenn die Kinder endlich ihre massenhaften Aufga- ben, bei welchen ich auch helfen muß, absolviert haben, dann eile ich zu meinen Bücherschätzen. Du mußt wissen, daß kein Tag fast vergeht, ohne daß mir Hermann neuangekommene Lektüre mitbringt. So habe ich alle die neuesten naturwissenschaftlichen Werke, ehe sie in die Hände der Professoren gelangten erhalten, die ebenso satyrischen als interessanten neuesten Vorlesungen von C. Vogt über den Menschen, das umfangreiche Werk Darwins über die Entstehung der Arten, das große Epoche in der gelehrten Welt macht, und eine ganze Umgestaltung in der phil. Zoologie hervorgebracht hat, hab ich in nächtlichen Stunden in mir verarbeitet. Daneben dicke Bände: "Des vernes des deux m..." mit dem neuesten Roman von G.®Sand. Obgleich sie immer diesselben in der Lebhaftigkeit der Schilderung, in der Grazie der Sprache und in der Leidenschaftlichkeit der Gefühle sind, leiden doch alle ihre neuesten Schöpfungen an einer unaussprechlichen Platonik, an der man allein ihr Älterwerden und ihr Accomodieren mit dem Vorurtheil der Gesellschaft sieht. Nur keine Rhetorik.- Venus und Aphrodite bewahren uns davor und doppelt keine Platonik in den Büchern.

Von meinem äußerlichen Leben kann ich Dir nichts sagen. Ich will keine Bekanntschaften und kein geselliges Leben. Ich habe zwar einige Familien die ich liebe, die mir behagen, zu weiteren Besuchen konnte ich mich nicht entschließen. Strecker, (Professor der Chemie und Maleschotts Schwager) der eine reizende Frau und eine prächtige Schwiegermutter hat, eine Frau, die nicht umsonst Maleschott in Ulm zu Schwiegersöhnen hat und ihre Collegien lesen könnte, - ferner der alte ®Mayer, ein liebenswürdiger junger Greis, bilden die Ersten in meinem Umgang. Zu ®Frau Uhland komme ich auch öfters. Sie fährt fort vorzugsweise liebenswürdig gegen mich zu sein. Dann habe ich aber noch einen jungen interessanten Freund, der so ein halbes Factotum in meinem Hause ist. Er ist Mediziner und eifriger Naturwissenschaftler, in ersterer Eigen- schaft behandelte er Isolde, die eben immer leidend ist, in letzterer versieht er bei mir das Amt eines Privatdocenten, mit dem ich mündlich wieder alles bespreche was ich in nächtlichen Stunden verschlungen, dessen Vertraute ich in seinen literarischen und poetischen Versuchen bin. Dazu kommt noch, daß er die erste leidenschaftliche Liebe meines Edgars ist, der ganz Bewunderung, ganz Hingabe an den schönen Jüngling ist, desto scheuer ist Isolde gegen ihn, doch wird sie gleich roth, wenn sie ihn sieht. Hermann heißt ihn meinen Schatz, doch wenn ich Dir sage, daß er 22 Jahre alt ist, so wirst Du von der Ungefährlichkeit überzeugt sein. Auch unter den Professoren behagen mir einige recht gut. Der Sonntag ist immer sehr tumultisch bei uns, heute ist es der erste, an dem keine Besuche kommen. Summa summarum - ich bin sehr gerne hier, auch Her- mann, doch ist sein Geschäft langweilig und widerwärtig und nimmt ihm die nöthige Frische zur Arbeit. Er schreibt zwar an seiner Kalendernovelle, aber es geht eben tropfweise. Das beste ist, daß er gesund ist und daß, was ich hoffe, der Überreiz der Nerven, sich hier nicht so leicht zeigen wird, denn die tägliche zweimalige Promenade auf`s Schloß wirkt stärkend auf seine ganze Constitution. Und doch sind noch tiefe Schatten in unserem hiesigen Leben. Alle Anforderungen an ein anständiges äußeres Leben und die Mittel fehlen ihm und wofür? Hermann bekleidet nun seit 1. December sein Amt und hat noch keinen Kreuzer eingenommen, also müssen wir uns immer noch erbärmlich abplagen, und der doppelte Hauszins, den wir 1/2 Jahr noch nach Kirchheim abzugeben haben, hat so viel von dem Schillergeld verschlungen, daß wir am Ende damit sind, und jetzt dasit- zen, und es um uns noch viel schlechter für den Augenblick steht. Freilich für die Zukunft der Lieben ist gesorgt, aber sorgenfrei werden wir es nie bekommen. - Die Kinder sind sehr gern hier. Edgar ist in eine viel höhere Klasse eingetheilt und unter älteren Knaben. Er ist unter 27 der Dritte. Du kannst Dir denken, wie glücklich mich diese Befähigungen des Knaben macht und mit welch stolzen Hoffnungen es mich erfüllt. Er kann hier ganz seinem wissenschaftlichen Hang folgen, und ich sehe ihn in meinen kühnen Träumen schon als einen zweiten Humboldt die Welt durchziehen. Der Ehrgeiz der Mutter schaffe die großen Söhne, sagt man, wir wollen sehen!

Mit ®Klüpfels komme ich nicht viel zusammen, sah sie blos einmal, sah aber, daß sie eine sehr wissenschaftlich gebildete Frau ist, ihm lacht das Herz wenn ich von Dir rede.

®Ottilie Wildermuth zu besuchen, habe ich mich bis jetzt noch immer gesträubt. Sie ist meine Antipathie, politisch wie religiös und so weiß ich, daß wir Händel bekommen werden.

Für diesmal genug, schreib aber keine solchen Wische mehr, sondern recht, wie es sich gehört, dann werde ich gewiß immer antworten. Das Klima sagt uns gar nicht zu. Die Kinder sind fast fortwährend krank und auch ich liege immer auf der Nase. Hoffentlich gehts bei Dir jetzt wieder besser?

®Hopfs waren mehrere Tage bei uns und wir waren ganz lustig mit ihnen. Hermann und die Kinder grüßen Dich lieb und ich küsse Dich von Herzen. ®Pfau, der zwei Tage bei uns war, mußte ich versprechen ihn mit Dir bekannt zu machen.
(Brief auch vertikal beschrieben)
(Anm. 1: Kurzens wohnten damals in der Karlstr. 13 an der Steinlach)
(Anm. 2: Der 22jährige Freund ist Isoldes späterer Lebensgefährte Ernst Mohl 1849-1926, siehe Buch: "Ein Genie der Liebe" von I.Kurz)

Tübingen, 9. April 1864

Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag - war ER da - Wer, wirst Du fragen, ER, der alle Glut des Morgenlandes mit der Gedankentiefe des Abendlandes vereinigt, in dessen griechischen schönen Zügen eine Lieblichkeit und Wärme flammt, die selbst geschaut werden muß um begriffen zu werden, dessen Stimme wie melodisches Nachtigallengeflöte tönt. Liebenswürdiger und vollkommener hab ich noch keinen Sterblichen geschaut. Kein Wunder, daß man ihn in Berlin den jungen Göthe nannte, wie mir sein Schwager Bernhard ®Kugler (A.) sagte.- So wechselt Nacht und Morgen, Schmerz und Entzücken. Schmerzlich hat uns die Nachricht von ®Seegers Tod, den sein Bruder uns per Telegramm zu wissen that, ergriffen. H. sollte die Rede halten, aber er war unfähig, denn der Schmerz und die Alteration machten ihn krank und so niedergeschlagen, daß er sich nicht vorbereiten konnte. Als wir uns ein wenig wieder gesammelt, kam ein Telegramm von München, das uns die Ankunft ®Heyses verkündigte. Es ist mir noch zu neu, ich kann Dir die Tage nicht beschreiben. Er logierte im Gasthaus, weil er nicht zwischen Prof. ®Pauli und uns wählen wollte, war aber jeden Tag entweder zum Mittagessen oder zum Nachtessen bei uns. Seine Photographie ist ähnlich, bis auf den warmen weichen Ausdruck, bis auf die unendliche Liebenswürdigkeit, die aus allen Zügen spricht. Nicht ich allein spreche so, wo er sich zeigte fliegen ihm die Herzen entgegen, überall umgab ihn Begeisterung. Selbst die kalte ®Frau Uhland that alles ihn zu ehren. Und als ihn Frau Strecker sah, brach sie in die Worte aus: " Nein, einen solchen Christuskopf sah ich noch nie." Leider konnten wir ihn nicht allein haben, er hat zu viele Bewunderer hier, als daß uns viel vergönnt gewesen wäre ihn allein zu besitzen. Bis Herbst kommt er wieder, denn er war die meiste Zeit hier unwohl und konnte von der Gegend der Witterung halber nicht viel sehen. Sein Schwager Bernhard, (Kugler) der viel zu uns kommt, ist ein sehr schöner und begabter junger Mann, Privatdozent der Geschichte. Auch er besitzt in hohem Grade den Zauber eines äußerst feinen Wesens. Heyses Betragen aber ist das eines Königs, aber eines solchen, der nur durch Liebenswürdig- keit herrscht, seiner Überlegenheit sich aber durchaus bewußt ist. Dabei weiß er mit Frauen umzugehen - daß keine wohl so ganz ruhig blieb - sogar die alte Frau Tafel aus Stuttgart, die zufällig zu uns kam, als er da war, war ganz entzückt. So schwelge ich noch heute in der Erinnerung.
Leider ist der wohlthuende Eindruck den seine Gegenwart auf Hermann machte, durch den ®Tod seines Vetters, Oberst ®Kurz in Bern, der ihm sehr nahe stand, wieder etwas verwischt worden.

Von meinen anderen Freunden kann ich heute nicht schreiben, sie alle sind blos blasse Monde gegen das herrliche Glanzgestirn.- Wir leben ziemlich unruhig, und ich weiß oft nicht wie ich alle Obligenheiten mit den Annehmlichkeiten vereinigen soll. Es wäre mir übrigens alles recht, wenn nur die drückende Geldnoth nicht wäre.

Die Kinder sind viel krank, besonders Edgar. In Isolde entwickelt sich neben ihrem großen Zeichentalent ein nicht unbedeutendes poetisches Talent. Heyse brach in ein lautes Staunen aus, als ich ihm ihr letztes Gedicht: "Iphigenia in Tauris" zu lesen gab. "Und das hat ein 10jähriges Kind gemacht," rief er, und las es mit seiner Nachtigallenstimme vor, wo es freilich noch viel besser klang. Ich lege Dir den "®Gradaus" bei, obgleich ich weiß , daß meine Terzinen Dir nicht gefallen können, da sie zu politisch sind und Du eine Abscheu vor der Politik hast. Moriz Hartmann hat mir mächtige Elogie darüber gemacht, ich weiß eigentlich nicht weßhalb, ich habe schon oft bessere gemacht. Willst Du nicht einmal das hiesige Leben mitansehen? Du mußt aber auf länger kommen. Laß auch mehr von Dir hören und nun sei herzlich gegrüßt und geküßt von
Deiner Marie
Für Dein Bild unseren besten Dank.

Es ist zwar gut und ähnlich, aber wie alle Photographien macht es zu ernst und zu alt.

Frau Strecker fragt oft nach Dir.

(Umschlag an Frl. Marie Caspart p.o. Herrn Dr. Kausler, Pfarrer in Klein- Eislingen bei Göppingen)

(Anm.1: Prof. Bernhard ®Kugler, 1837 - 1898, Geschichtsprof. in Tübingen. Hermann Kurz schrieb an Paul Heyse, den Schwager am 21. Dezember 1863: "Mit Herrn Dr. Bernhard habe ich noch wenige aber sehr gute Stunden verlebt. Solltest Dus glauben, daß ich alter Philister von ihm - er ist ein Hauptkugler - und anderen jungen Geistern mich in eine Kegelgesellschaft habe einschwören lassen?" Gemeint ist vermutlich die Kegelbahn vom Roigelhaus oben am Schloß.

Anm.2: Maries Blind-Lied steht erst im Gradaus Nr.20 vom 19. 5. 66, s. Katalog Seite 176. So schrieb Marie wohl früher schon für den Gradaus.)

8. Juli 1864

Tübingen, Freitag

Liebe Marie!

Du lebst wohl in dem Wahn, als hätten mich die Zerstreuungen, die An- regungen der Universitätsstadt verstummen gemacht. So ist es nicht. Wenn ich freudig errregt bin, bin ich immer mittheilsam, wenn ich aber aber mit Schicksalsschlägen überhäuft werde, dann bin ich schließlich zur Klage zu müde und fange an mich mit Resignation zu umspinnen, aus der ich manchmal nur einen lauten Aufschrei thue. Den ganzen Frühling hörte es mit Krankheiten der Kinder nicht auf. Edgar hatte den Krampfhusten, Isolde Hirnentzündung, ®Josephine war drei mal gefährlich krank, Hermann hatte eine Lungenentzündung und seit dieser Zeit einen so ängstlichen Husten, daß er selber glaubte, es werde schlimm mit ihm gehen. Erst seit 14 Tagen unge- fähr ist dieser Husten weniger schlimm. Seine Stimmung ist aber eine ganz trübe, Überhaufungen von Arbeiten auf dem Schloß, eine ganze Reihe von Besuchen, und nebenbei sein allgemeines Übelbefinden lassen ihn an keine größere poetische Arbeit kommen. Die Nahrungssorgen aber sitzen uns wie Vampyre im Herzen und saugen unser Blut und unsere Kraft aus. Nur Schulden und tiefere Schulden, das ist das Loos des Rests unseres Lebens.- Hermann wünscht fortwährend den Tod, ja er ging schon mit einem schrecklichen Gedanken um, das sage ich aber bloß Dir.

Mir drückt die Verzweiflung die Feder in die Hand, ich schreibe Märchen, Kindermärchen, bald in Prosa, bald in Versen, Professor ®Comerell hier macht mir die Illusionen dazu. Es gibt bereits ein kleines Bändchen, aber wo den Verleger hernehmen. Frage Deinen Onkel ob er einen wisse. Adolf ®Seeger und ®Becher waren schon mehrere male und auf länger hier, gestern ist Fr. Becher abgereist, die ein paar Tage bei mir war. In den nächsten Wochen erwarte ich Auguste ®Schnitzer auf ein paar Tage. ®In Tübingen selbst habe ich mich außer bei dem alten ®Mayer und dem ®Strecker an niemand angeschlossen; die Jahre, wo man den Menschen mit einem Herzen voll schöner Blüthen und schöner Flamme entgegen eilte, diese sind dahin, die Welt wird kalt, und unser eigenes Herz durch Bitterkeit und Entbehrungen eingefroren. Und es ist so schrecklich, wenn das Leben einen langsam abtödtet und mürbe macht, das Schöne zu knicken und die Begeisterung zu erlöschen sucht. Wie der Mond, der stille Begleiter unserer Erde, der ein ausgebrannter Schlacken, ein ausgebrauchtes Atom im Weltall ist, so schleichen wir am Ende unserer Tage umher. Und doch ist die Welt so schön und Tübingens Umgebungen sind so reizend, diese Laub- und Tannenwälder mit ihrem duftigen Harzgeruch, mit ihren Schluchten und Wässerlein und den summenden Käfern. Selbst der schlechte Sommer konnte diese Reize nicht zerstören. - Ein großes Herzeleid ist mir, wenn Isolde immer krank, immer magenleidend und bleichsüchtig ist. Geistig ist sie unglaublich entwickelt, und nur dieser Anblick ist es, der mir noch Muth gibt.-

Die Schillerstifung hat Tausende an reiche und wohlhabende Leute, wie ® Auerbach und Gutzkow zu verschenken, für Hermann hat sie nichts mehr, weil er nicht mehr produziert. Becher sagte mir dies, der es von F. weiß, welcher wohl mehr thun könne, wie er sagte.

Gestern bakam ich von Ihm eine Photographie aus Berlin, wo er derzeit ist, die alle übrigen noch übertrifft.

Ich hoffe, daß es Dir besser gehen möge als mir. Mein Herz ist todesnmüde, auch bin ich körperlich so heruntergekommen, daß ich ganz eitrig gelb und abgemagert aussehe.

Schreibe mir und viel.       Gruß und Kuß,
Deine Marie
Frl. M.C. Klein-Eislingen

Tübingen, 24.Dez.1864

Meine liebe Marie!

Du häufst glühende Kohlen auf mein Haupt und sie brennen mich bis in mein Herz hinein. Zuerst mein und der Kinder Dank für Deine Weihnachtsgaben. Isolde ist sehr glücklich über das weiße Prachtstück, mir ist es aber leid und peinlich, daß Du so tief in Deinen Beutel langtest. Und nun, mein liebes Herz, zur Beantwortung der Frage über mein Verstummen. Du wähnst mich wohl gar in einem geselligen angeregten Treiben, glaubst vielleicht, das neue gesellschaftliche Leben nehme mich so sehr in Anspruch, davon ist es aber weit entfernt. Nie hätte ich Dich nöthiger gehabt, nie habe ich ein größeres Bedürfnis nach Dir gefühlt als diesen Sommer, aber nie hatte ich weniger Zeit, Dir dies zu versichern, doch abgesehen davon, daß ich und Josephine den großen Anforderungen der großen Kinderzahl und der damit verbundenen Geschäfte allein entsprechen muß, habe ich jeden freien Augenblick, den mir die Kinder ließen, benützt zum Schreiben. Ich habe eine Anzahl Erzählungen geschrieben, Jugenderzählungen. Hermann sagt sie seien um einen Ton zu hoch geworden, in Versen und in Prosa, die nie ihre Unterkunft in der Welt suchen. Wie sie ausgefallen sind, darüber habe ich kein Urtheil, denn in der Fantasie lebt alles ganz anders, als wenn man es schließlich aufs Papier gebracht. Man hat einen Faible für seine geistigen Kinder weil man sie mit Elternvorurtheilen betrachtet. Eine der Erzählungen würde vielleicht Gnade vor Dir finden: "Die Nacht im Walde", ein Ding voll Elfentrunk und Romantik, der Knabe der dies im Traum erlebt, geht als Dichter daraus hervor. Hermann hat es gefallen, aber er sagte, ich werde wenig Dank dafür erhalten denn die Eltern, die ihren Kindern derlei Jugendschriften kaufen, die wollten nüchterne, moralische, praktische Erzählungen, und daß der Held ganz anders als andere Knaben, daß er gern ein Dichter werden wolle, das sei fürs Publikum unverständlich. Meiner letzten Erzählung legte ich "Die Witwe" von Franté zu Grunde. Wer pflegte die Geschichte von Tübingen im 30jähr.Krieg und von Tübingen und dem Hohentwiel als Schauplatz. Der Wiederheld als Nebenperson. Von welchem Werth wäre es für mich gewesen, eh ich von diesen schüchternen Anfängen mit den höchsten Ansprüchen komme. (schwer lesbar) Fragst Du mich, weshalb ich denn eigentlich schreibe, ob es ein unwiederstehlicher Drang sei den ich spüre, so bekenne ich Dir ganz ehrlich, daß ich wohl weiß, den nicht zu haben. Verse muß ich machen, dazu drängt mich mein Herz, aber das eigentliche Schreiben könnte ich recht gut andern überlassen. Es ist die blose kahle Wirklichkeit, die Nothwendigkeit, die mich zwingt einmal einen Versuch zu machen. - Kellers Nachricht über Hermanns Heiterkeit ist eine sehr oberflächliche, wie man sie eben beim flüchtigen Begegnen in der Kneipe auffassen kann. Heiter ist er nicht und sein Naturell ist an und für sich nicht heiter, dazu kommen nun noch die quälenden Existenzsorgen, denn die Zulage von der Schillerstiftung ist bis jetzt bloß auf dem Papier - und was fataler ist als alles, sein körperlicher Übelbefinden, der Husten, der nie mehr nachläßt und die ihm sonst ganz unbekannte Engbrüstigkeit. Dagegen sind seine Nerven viel ruhiger, von seiner früheren Aufregung keine Spur mehr, und das verdanke ich dann doch dieser Bibliotheksstelle. Er übersetzt gegenwärthig span. Dramen von Cervantes für die Bibliothek in Hilburghausen.

Diese Klassiker sind eine mühselige, langweilige und wenig einträgige Arbeit, aber so ziemlich das einzige was er in der Zwischenzeit thun kann.

Edgar ist den ganzen Sommer der I. seiner Classe gewesen und hat ein Praemium erhalten. Er wird wohl ein recht gelehrtes Haupt in irgend einer exakten Wissenschaft werden, deutsche Verse machen kann er nicht, höchstens lateinische.- Isolde dagegen, sie macht zwar gräßliche Fehler in ihren lateinischen Argumenten, und wir müssen uns beyde beständig von dem gelehrten Sohn und Bruder ob unseres schlechten Latein heruntermachen lassen, aber ein Form- talent hat das Kind, das staunenswerth ist. So übersetzt sie gegenwärtig die "Mahomet" von Voltaire und zwar metrisch. Wenn Dein Onkel dies lesen würde, würde er nicht glauben, daß ein 11jähr. Mädchen es geschrieben.- Mit ihrer Gesundheit geht es diesen Winter nicht so schlecht wie den vergangenen, aber eben doch gar nicht wie es sein sollte. Ihre prächtigen Haare hat sie ganz verloren. Auguste Schnitzer wollte diesen Herbst auf acht Tage kommen, es hat sich jetzt aber auf den Frühling verschoben. - Von dem hiesigen Leben kann ich Dir nichts schreiben, denn ich lebe fernabseits. Aber was ich kennenlernte ließ mich sehr kalt, es ge- fällt mir überhaupt so leicht niemand mehr, ich bin zu sehr von ei- nem Gegenstand erfüllt, der nie verglichen werden kann. Der letzte Besuch wurde uns grausam durch den Tod seiner Mutter geraubt. Sein "Hans Lange" ist mit Triumph über die Bühne gegangen; das beste seiner Dramen sein "Hadrian" ist mir als Weihnachtsgeschenk schon angesagt, er soll bereits unterwegs sein. Im Frühling kommt er Und weßhalb schreibst Du gar nichts von Ihm. Tausend Dinge hätte ich Dich zu fragen, Dir zu erzählen, wenn Du nur da wärst. Es war doch gar nicht recht, daß Du Deine Heimreise nicht über Tübin- gen machtest. Willst Du denn gar nicht mehr zu uns. Es würde Dich doch hier so manches interessieren. Der heutige Abend fiel recht heiter aus, die Kinder waren ganz glückselig. Isolde bekam einen Blumentisch mit Blumen, was sie sich längst wünschte und Edgar ein Schreibpult. Da Isolde den Uhland bekam, so gab ich Deinen Rückert Edgar. Erwin ist glücklich mit seiner Uhr. Er hält alles für echtes schweres Gold. Im Frühling kommt Hedwig. Und nun laß wieder von Dir hören, ®viel. Auf jeden großen Brief schreib ich, aber die kleinen Briefe mag ich nicht, und Du hast Zeit. Weißt Du mir keinen Märchen- stoff? Ich wollte eine Novelle anfangen, aber die totale Unkenntnis der bügerlichen Verhältnisse liegen mir überall störend dazwischen. Ich habe mein Leben verträumt, mit Idealen gelebt, die Welt und die Menschen kenne ich eigentlich gar nicht. Mir ists auch am wohlsten im Waldesdunkel bei den Käfern im Moos und den feierlichen L...und im Schwarzwald vollends. Welcher Zauber lebt unter seinen Tannen. Schon Niedernau ist entzückend, wenn man die Badegäste nicht sieht. Frau Scheuffelen war eine Woche diesen Spätsommer bei mir, mit ihr war ich in Niedernau.

Von Hermann 1000 herzliche Grüße. Nochmals meinen Dank. Gruß an Deinen lieben Onkel und Deine Mutter. Mit herzlichen Grüßen und Küssen
Deine Marie
Was macht Dein Paul? - Die Schachtel will ich später schicken.

Anmerkungen

(Anm.: Saavedra, Miguel de getauft: Alcala de Henares 1547-1616. Sein bekanntes Werk ist der "Don Quijote")

ohne Datum (Febr.1865?)

Dienstag

Liebe Marie

Hier hast Du mein Heiligthum, das ich aus seinen eigenen Händen habe. Du magst daran absehen, ob ich Dich lieb habe, daß ichs in Deine Hände auf ein paar Tage niederlege, denn hier gab ichs niemand, obgleich ich unzählige male darum gebeten werde. Die ersten Erzählungen müssen übrigens alle dem ®Weinhüter nachstehen. Hier folgt auch noch etwas von mir, was ich mir ebenfalls ®sehr bald wieder retour bitte, da ich es Moriz Hartmann für die "Fragas" zusenden will. ®Kröner hat es vorgestern als Krebs zurückgeschickt, während er ein mächtiges Aufheben von einer ganz gewöhnlichen Erzählung von mir machte und sie für seine "Stadtglocke" behielt, obgleich Hermann sagte, so lese mans in jedem Journal massenweise, so ists aber mit den Ansichten. Ich schicke Dir dann, sobald ich diese wieder habe, meine Kindermärchen in Versen, die nach Grimm, und die andern Jugenderzählungen. Für Deinen Onkel ists übrigens nichts.(Anm.) Wer solche duftigen Märchen, eine solch reizende Zauberwelt im Kopfe mit sich herumträgt, der kann derlei Sachen nicht genießen. Ja, dieses Märchen ist wunderschön, sodaß einem ein wahrer Weltschmerz ankommen kann, daß man in dieser nackten realen Welt leben muß und nicht in solche Zauber versinken darf. Ich kann heute nicht viel schreiben. Edgar liegt zu Bett und dazu muß ich noch Vorbereitungen auf Marie ®Schäuffele treffen, da sie morgen kommt.- Von wem ist das Gedicht das Du gelesen, Du schriebst so undeutlich: "Über ein Stündlein" ?

Daß Dein Onkel so spröde mit seinem Schatz ist solltest Du nicht leiden. Es müßte ihm doch wohl thun, wenn er noch mehr Herzen damit verzauberte. - Wenn Du gern zu mir kämst wärst Du schon lange gekommen. Ich glaube Dir also nicht, wenn Du sagst: "Ich wollte ich käme zu Dir." Denn was hält Dich ab?

So jetzt lies und lies fort Tag und Nacht und schicke mirs bald. Dienstag
D. M.
A.: s.Buch I.Kurz, "Meine Mutter", hier sind 3 Märchen abgedruckt, Wunderlich-Verlag 1926.

o.D. Donnerstag (1866?)

Liebes Herz.

8 Tage schleppe ich diesen beiliegenden Brief in der Tasche herum, da ich in Unterboihingen nicht mehr dazu kam, indem ich keine Feder zur Adresse erhielt.- Hermann zog noch den ganzen folgenden Tag mit IHM herum und kam nachts sehr glücklich in der Heimat an. Ja, es war eine schöne Zeit! Jetzt ist auch Frau Strecker da und ihre Be- wunderung ist nicht weniger ...pisch als die meine. Wir lieben uns jetzt noch mehr und sind in einem ganz ®einig, daß es jammerschade wäre, wenn dieser Mann je wieder heirathen würde. Ich mußte laut auflachen, als sie mir ihre Befürchtungen mittheilte, nun ich sah wie harmonisch unsere Wünsche sich vereinigen. Jetzt zu meinem Auftrag. Seit vorgestern ist ®Auerbach hier, der seinen Sohn auf die Universität brachte und heute Nachmittag wieder mit der ganzen Streckerischen Familie bei mir zum Kaffee sein wird.- Also ich soll Dir sagen, daß er in den nächsten Tagen Euch seinen August schicken, oder, ich glaube ihn selber bringen werde. Ich bin oft so confuß, daß ich alles vergesse. Gelt, sprich aber mit ihm nicht zu viel von ®IHM, ich bitte Dich darum.- Am Montag machte ich mit Hermann eine prächtige Fußtour nach Mössingen auf die Belsemer Kapelle, dann auf den Roßberg, von dem aus ich Dir Grüße sandte, denn der Hohenstaufen tauchte ganz prächtig vor uns auf. Bei Nacht endlich zurück, um 1/2 12 Uhr kamen wir an. Ich war todtmüde aber sehr vergnügt. Hermann ist in der besten Laune, lieb und liebenswürdig, zugleich sogar galant gegen mich. Es ist etwas wunderbares um die Männer! Lebe recht wohl. ER wird bald schreiben und ich soll ihm auch schreiben und sagen wie mir seine "Cleopatra" gefallen, die in "Über Land und Meer" erscheint. Leb wohl, sei 1000 mal geküßt von
Deiner Marie

Ohne Datum, 1865

Meine liebe Marie!

Dein Brief hat mir wohl gethan, vom Wirbel bis zur Zehe, nicht etwa blos wegen der freundlichen Art, mit der Du mein Waldmärchen aufgenommen, sondern wegen der Wärme, die Du der Heysischen Novelle entlockt. Zum Dank schick ich Dir auch, sobald ich ihn wieder in Händen habe, seinen "Hadrian" und seine "Maria Moroni." Die beiden Dramen gehören nicht mir, sondern Hermann und der hat sie im Augenblick an seinen Freund Rapp ausgeliehen. Ich habe recht wohl geahnt was jenes unleserliche Wort heißen sollte, aber ich habe es eben gerne schwarz auf weiß gesehen und danke Dir tausendmal für die Verse. - Hier hast Du nun meine Grimmschen Märchen in Versen (Ich habe mir jedoch große Abweichungen erlaubt) und die Erzäh- lungen und Märchen für die Jugend. Es ist mir von Werth Dich vorher darüber zu hören, ehe ich sie so zusammen fortschicke, ob sies auch wirklich so weit werth sind gedruckt zu werden. Doch bitte ich Dich sie allein zu lesen, ich weiß recht gut, daß sie den Dir bekannten Märchen weit zurückstehen und möchte deßhalb nicht, daß sie Dein Onkel zu Gesicht bekäme, wenigstens die in Prosa nicht. Die in Versen sind glaube ich, nicht schlecht, wenigstens haben sie dem alten ®Mayer (Anm.) gefallen, der freilich ein gar höflicher Mann ist. Die Märchen die man blos träumt, die feinen, die wie bunte verworrene traumhafte Bilder durch die Seele ziehen, sind doch viel schöner, sie haben ihren Schmetterlingsstaub abgestreift, wenn sie der Feder entströmen. Freilich solche nicht, wie sie Dein Onkel schreibt, dabei möchte man einschlafen wie der alte Held Harald im Elfenbann. Wenn ich nur mehr Zeit hätte um so hie und da aus der Wirklichkeit gänzlich zu verschwinden. Du glaubst nicht, wie mich die Gemeinschaft mit den Menschen, denen ich doch nicht ausweichen kann, oft deprimiert. Erst jetzt fühle ich so recht welch kräftiger Schatz die Einsamkeit ist, in der die wunderbare Märchenwelt in ihrer alten Pracht heraufsteigen kann. Man wird alt unter den Menschen und abgenützt. Gelt, Liebe, sage mir aufrichtig, was Du an den Märchen auszusetzten hast, darfst mir auch hinein corrigieren. Je nachdem Dein Urtheil ausfällt, schicke ich sie an Nitzschke, ich habe es eben sehr nöthig mir Geld zu verschaffen. Denke Dir nur, ich habe statt an Moriz Hartmann an I.G.Fischer geschrieben, weil es mir heimlicher war mich an ihn zu wenden und ihn gebeten das Manuskript Hartmann zu geben.

Seit 2 Tagen ist Marie Sch. wieder abgereist und Lilli ist da. Ihr Unterricht zu geben gehört aber zu einer der zwölf Arbeiten des Herakles. Sie ist ein bildschönes unendlich liebenswürdiges Mädchen, kann aber noch nicht fließend lesen und macht in jedem Wort einen Fehler, ebenso ists im Französischen. Ich werde nicht mehr viel Märchen schreiben können und muß mein eigenes Kind Isolde vernachlässigen. (Rest fehlt)

Anm.: Carl Mayer Sohn 1819 - 1889, damals Chefredakteur beim "Beobachter"

20. 2. 1865

Mein geliebtes Waldfegerlein!
(blauer Brief)
Daß Du die Ursache meines langen Schweigens schon in Stuttgart erfahren hast ist mir Dir gegenüber ein recher Trost. Vor allem aber jetzt meinen herzlichsten Dank für all Deine reiche und schöne Bescherung, die den Kindern so große Freude gemacht hat. Isolde ist selig mit ihrem prächtigen Schmuck, der dem Rackerle auch herzig steht. Sie will Dir noch selbst danken, ist aber den ganzen Tag auf der ®Schlittschuhbahn und kommt deßhalb nicht dazu, denn Du mußt wissen, daß sie dort mehrere Anbeter hat, davon einen Studenten, der ihr die Schlittschuhe anzieht und sie führt und obendrein noch mit Fräulein anredet. - Mein armer Balde hat Entsetzliches ausge- standen und liegt noch zu Bett. Er war am Christabend auf und hat sich da gleich wieder verdorben. Er hatte das hitzige Gliederweh in einem so ungeheuerlichen Grade, wie es den Ärzten noch nie vorkam, und da das Fieber so außergewöhnlich war, so war die Gefahr außerordentlich groß. Jetzt ist dies jedoch ganz vorbei, aber er wird noch den ganzen Winter mit der Steifheit seiner Glieder zu kämpfen haben. - Von meinem kurzen Stuttgarter Aufenthalt kann ich Dir nur sagen, daß ich Fischer zwei mal auf der Straße begegnete aber keinen Fuß in Otto Müllers Haus setzte. Das würde ich nie thun. Wer hat denn diesen Mythos aufgebracht? - Von "IHM" hab ich sein neu- estes Drama "Colberg",ein prachtvolles herrisches Stück, wovon alle entzückt sind. Ich hoffe Bernhard Kugler, der über Weihnachten in München ist bringt Briefe und Grüße mit. Frau Strecker hat auch viel ausgestanden. Ihre Natalie hat schon seit 6 Wochen das hitzige Gliederweh, das eine hier häufig vorkommende Krankheit ist. Sie ist unendlich lieb und herzlich gegen mich und hat dem neuen Band unseres Verkehrs einen großen weiten Reiz verliehen. Ich habe eine große Novelle aus dem armen Conrad angefangen, die zwar noch lange nicht beendet, die mir aber bereits Umfried für sein neues Blatt übernehmen will. Ich möchte sie zu gerne vorlesen können, ich glaube sie ist nicht schlecht. Aber nun bitte ich Dich, denke Dir einen Märchenstoff aus. Ich muß bis März noch vier Mär- chen schreiben zu der Dir bekannten Sammlung, die 15 Bogen stark werden soll, und wenn ichs nicht einhalte ist der Contract gebrochen. In Anbetracht dieser vielen Arbeit mußt Du Nachsicht mit mir haben, mir oft schreiben, aber selbst mit kleinen Briefchen vorlieb nehmen müssen. - Isolde hat wieder ein paar ganz nette Sachen zustand gebracht, die ich Dir gelegentlich schicken werde. Hermann ist rasend fleißig bis tief in die Nacht. Marie Schn. geht auch mit ihrem Mann nach Darmstadt. Sie ist recht lieb und gut, und wir haben uns so an sie gewöhnt, daß uns der Abschied sehr schwer werden wird. - Hedwig wird in Laufe des Januars kommen. Daß I.G.F. hie und da zu ihr kommt wirst Du wissen. Marie und ich lesen den "Plato" zusammen. Ich weiß eigentlich nicht mehr woher der Ausdruck platoni- sche Liebe kommt. Denn Plato spricht in seinem Phaidos blos von der Knabenliebe, und auch diese begreift er sinnlich, nur meint er, es solle der geistige Reiz voraus gehen. Ich lese die Alten sehr gerne. Hätte ich nur mehr Zeit, besonders für Aristoteles, der doch der Humbold des Alterthums ist. - Auch ®Strauß "Ulrich von Hutten" habe ich in Anbetracht meiner Arbeit gelesen, auch mich sonst durch alle möglichen alten Hermeneutiker, Scherteken, Chroniken und Geschichten durchgearbeitet. Wären wir nur beisammen, wie wäre das nützlich und ergötzlich für mich.

Lebe wohl liebes Herz, Grüße auch Onkel und Mutter von Hermann und von uns allen.

Allerliebste Grüße und Küsse,
Deine Dich liebende Marie.
Mittwoch

ohne Datum

Liebe Marie!

Der Grund meines langen Stillschweigens war ein für mich nicht sehr angenehmer. Seit 8 Wochen haben wir ein fortwährendes Lazarett. Die Kinder hatten alle die rothen Flecken, zum Theil sehr gefährlich, und die Folgen sind jetzt schlimmer als die Krankheit war. Edgar kann sich gar nicht mehr erholen und ist fortwährend von Fieber und Kopfweg gepeinigt. Geht er einen Tag mal wieder in die Schule, so muß er wieder drei Tage im Bett liegen. Ich selbst hatte sechs Wo- hen das fürchterlichste Nervenzahnweh, und wir lagen zu sechst im Bett. Doch laß mich schweigen von all der Trübsal. Ich bin so entkräftet und herabgestimmt, daß ich nicht einmal ein Fünkchen meiner alten Schreibseligkeit retten kann, zumal da ich eben unter dem nervenaufregenden Kinderlärm an den frohen Märchen schreiben muß, die erbärmlich bezahlt werden, nichtsdestoweniger aber doch Ende April in Druck kommen sollen und es fehlen mir noch zwei oder drei. Meine "Gertrud" wirst Du im "Beobachter" mit unsäglichen Druckfehlern gelesen haben.

Du bist mir eine schlechte Person. Schreibst mir so kleine Wische und hast doch Zeit und Stoff genug in Dir.

Frau ®Hecker ist hier, ich erfuhr erst gestern, daß sie ihren Mann verloren und wurde wieder recht an Julius erinnert. Sie sprach viel von Dir. Heinrich ®Mohr schreibt mir viel. Er kommt in nächster Zeit. Nächsten Monat seh ich ®IHN, aber still davon! Dem armen Strecker geht es sehr schlecht, was auch sehr schwer auf mir liegt.

Laß von Dir hören, ausführlich und Erfreuliches. Nimm Gruß und Kuß

von Deiner Marie.
Dein Onkel wird lachen, daß aus Hermann gar noch ein Doctor philosophicae geworden ist.

(Anm.: Am 17. 1. 1866 erhielt Hermann Kurz von der Univ. Rostock die Ehrendoktorwürde auf Veranlassung von Germ. Karl Bartsch)

ohne Datum (1866 ?)

Unterboihingen Donnerstag abends
Ohne Anrede

Einen Göttertag habe ich hinter mir! Ich sitze in derselben Laube, in der wir eine Stunde Hermann und ER mit Ihm waren! Ich muß noch eine Stunde warten bis der Zug kommt, der mich wieder nach Tübingen bringt und will sie ausfüllen indem ich Dir schreibe. Wärst Du hier, könnt ich mit Dir reden, Dir erzählen, was ich nicht zu schreiben verstehe.- Ich habe IHN und Hermann eine Strecke be- gleitet dem Gebirge zu, und ich kann Dir nicht sagen welcher von uns heiterer, harmonischer und glücklicher gestimmt war. So rein und heiß und voll ist noch keine Freude in mir ausgeklungen. Auch hatte ich ihn noch nie so liebenswürdig gefunden, jedenfalls noch nie so lieb und hold gegen mich! - Viel habe ich Dir schreiben wollen, aber ich weiß nichts mehr, nur so viel, daß der ®alte Mayer sehr entzückt von ®Fischer zurückkam. Hast Du die Reportage über Fischer im "Beobachter" gelesen, willst Du sie?

Ein garstiger Herbst folgt dem schönen Sommer. Ich habs kaum geglaubt, daß ich noch so jung so genußsüchtig und so selig sein könnte. Und Hermann ist heiter, und kein Mißton, kein Schmerz ist in meiner Seele. Ich kanns kaum glauben, daß ich so selig fortleben kann. Es ist weil das Schicksal so unendlich viel schenkt. Auch in Niedernau habe ich noch schöne Tage mit Hedwig verbracht, diese Waldidylle. Vorgestern war ich mit den Kindern zu Fuß in Reutlingen und auf der Achalm mit Maria Finckh. Doch der heutige Tag übertraf alles!

Die Beiden sind nun miteinander in die Berge, und mein Herz ist mit Beiden, die mir zu einem Doppelstern vereinigt scheinen. O Dichter- liebe, d.h. liebe ich einen Dichter wie beflügelt dies die Seele und streift die Schwere ab.

Aber ich schließe, ich bin verzaubert wie der alte Held Harald.
Deine Marie

o.D. Donnerstag (1866?)

Liebes Herz.

8 Tage schleppe ich diesen beiliegenden Brief in der Tasche herum, da ich in Unterboihingen nicht mehr dazu kam, indem ich keine Feder zur Adresse erhielt.- Hermann zog noch den ganzen folgenden Tag mit IHM herum und kam nachts sehr glücklich in der Heimat an. Ja, es war eine schöne Zeit! Jetzt ist auch Frau Strecker da und ihre Bewunderung ist nicht weniger ...pisch als die meine. Wir lieben uns jetzt noch mehr und sind in einem ganz ®einig, daß es jammerschade wäre, wenn dieser Mann je wieder heirathen würde. Ich mußte laut auflachen, als sie mir ihre Befürchtungen mittheilte, nun ich sah wie harmonisch unsere Wünsche sich vereinigen. Jetzt zu meinem Auftrag. Seit vorgestern ist ®Auerbach hier, der seinen Sohn auf die Universität brachte und heute Nachmittag wieder mit der ganzen Streckerischen Familie bei mir zum Kaffee sein wird.- Also ich soll Dir sagen, daß er in den nächsten Tagen Euch seinen August schicken, oder, ich glaube ihn selber bringen werde. Ich bin oft so confuß, daß ich alles vergesse. Gelt, sprich aber mit ihm nicht zu viel von ®IHM, ich bitte Dich darum.- Am Montag machte ich mit Hermann eine prächtige Fußtour nach Mössingen auf die Belsemer Kapelle, dann auf den Roßberg, von dem aus ich Dir Grüße sandte, denn der Hohenstaufen tauchte ganz prächtig vor uns auf. Bei Nacht endlich zurück, um 1/2 12 Uhr kamen wir an. Ich war todtmüde aber sehr vergnügt. Hermann ist in der besten Laune, lieb und liebenswürdig, zugleich sogar galant gegen mich. Es ist etwas wunderbares um die Männer! Lebe recht wohl. ER wird bald schreiben und ich soll ihm auch schreiben und sagen wie mir seine "Cleopatra" gefallen, die in "Über Land und Meer" erscheint. Leb wohl, sei 1000 mal geküßt von
Deiner Marie

Tübingen 9. November 1866

(im Umschlag)
Meine liebe Marie.

Daß Du mein Schweigen nicht mißdeuten würdest, wußte ich wohl. Hätte ich etwas Gutes zu sagen gewußt, so wäre die Freude gar schnell zu Dir gedrungen, das kennst Du ja, aber je älter ich werde, je weniger empfinde ich den Drang zur Mittheilung und Klage. Es hat ein jedes so viel an eigenem und fremdem Weh zu tragen, daß ich nicht auch noch Lamentationen erstehlen mag. Übrigens ist auch großer Zeitmangel mit Ursache an meinem Schweigen, das mich selbst mehr drückte, als Du ahnen konntest. Wenn ich Dir sage, daß Edgars schwankende Gesundheit, der den ganzen Sommer alle Augenblicke tief im Bett lag und von einem ernstlichen Kopfleiden geplagt ist, mich über die Maßen in Anspruch nahm, so wirst Du das gewiß begreifen; dazu war Balde sehr krank mit Brechruhr, und seit drei Wochen ist Isolde krank. Seit 14 Tagen liegt sie unausgesetzt im Bett. Es ist zwar nichts Gefährliches aber desto langwieriger. Der arme Schelm hat eine Lähmung des Facialis, so, daß die eine Seite ihres Ge- sichts wie todtenschwer hängt, das eine Auge schloß nicht mehr, der Mund war schief gezogen und die Zunge schwer, dazu kamen Krämpfe im Hals die sie ganz auftrieben. Es geht ihr jetzt besser, nur ist sie so sehr geschwächt von der Schwitz- und Jodkur, daß sie sich kaum erheben kann und noch immer Kopfweh hat. Heute abend haben sich nun auch Erwin und Edgar wieder gelegt. So ist der Eintritt in den Win- ter, der sich klimatisch so warm anläßt, für uns nicht sehr erfreu- lich. Und doch sollte man diese Henkersfrist, diese Wintermonate, in dem der Tempel des Jarus wieder geschlossen ist, recht genießen. Der Frühling wird den allgemeinen Weltbrand bringen, die Götter- dämmerung, aus der aber nicht ein neues Asgard sich erhebt, sondern der viele schöne Geistesblüthen und vor allem der Genius der Humanität zum Opfer sinken. Es ist mir schrecklich in einer solchen Zeit zu leben. Allerdings weiß ich, daß die ganze Weltgeschichte mit wenigen friedlichen Oasen eine Reise solcher blutiger abscheulicher Schauspiele ist, aber ich weiß doch nicht, daß der Fortschritt und die Entfaltung des Menschenthums recht geleugnet werden kann, und da gab ich mich allerdings dem schönen Wahn hin die Weltgeschichte habe sieben Meilenstiefel an, während sie im Schneckentempo daher- kriecht. Ich glaubte die Kriege müßten noch und noch schwinden und könnten nur noch für die höchsten Ideen der Menschheit, als letzte Kriege geführt werden. Freilich ist Kampf in der ganzen Natur. Im Wassertropfen bekämpfen sich die mikroskopischen Ungeheuer und der Tod kämpft ewig mit dem Leben. Aber in der moralischen Welt, dachte ich, müßte es anders aussehen. Ich möchte mich abwenden und die Augen schließen können und diese Zeit der Greuel in der Rechtlosigkeit des modernen Faustrechts nicht mit ansehen. Wenn ein Volk im Kampf um seine Freiheit unterliegt, so will das wenig heißen, wenn nur das Streben nach diesem Ideal rein in ihnen fortlebt. Aber die- se babylonische Verwirrung in den Prinzipien, die doch so klar und einfach daliegen, daß jedes Kind das Rechte greifen muß, das ist mir unfaßlich. Ich kann allerdings eigentlich die Menschen nicht verantwortlich dafür machen. Es scheint mir eine Art moralischer Cholera zu sein, die epidemisch wirkt und wohl daher einen Jeden, der sich von der Außenwelt abwenden kann, und blos in sich selbst Einkehr hält, aber ich bin durch meine vier Buben, die ich vielleicht alle dem Moloch dieser neuen Aera opfern muß, an diese schlechte Welt mit ihrem Ketten geschmiedet, und genieße im Hinblick auf die Zukunft, keine ächte Freude mehr.

Die schönen Herbsttage haben uns den Freund, den "Ihn" nicht gebracht, wie es so fest ausgemacht war. Er steckt zu tief in der Arbeit. Nun ist seine Göttin der Vernunft vollendet, aber die Berliner Theaterintendanz hat sie als ein revolutionäres Stück abgewiesen, darauf eben hat Kant und Jacobys Wiege (Theater in München) das Stück von ihm verlangt, und ich bin wahrhaft froh, daß es nicht in diesem bismarckischen Babel, sondern in der Stadt der reinen Vernunft zur Aufführung kommen soll. Ach, Er ist ein glücklicher Mensch, ihn berührt die Politik nicht, und das gönne ich ihm so sehr. Seine Briefe sind immer gleich lieb und holdselig. Kannst Du Dir denken, daß ich ihm schon drei Wochen einen Brief schuldig bin, zu dem er mich noch dazu direkt aufgefordert hat. Doch muß ich gleich gestehen, daß ich nicht schreiben mag, solange Hermann ihm das ersehnte Manuskript nicht schicken kann. -

Daß der November der Unglückstag (Anm.) war, hatte ich allerdings nicht mehr gewußt, denn ich stehe auf schlechtem Fuße mit allen Zahlen, daß er sich aber jähren müsse, dachte ich oft, und sehr. Diese traurigen Bilder der Vergangenheit tauchen immer wieder vor mir auf. Warum solltest Du es auch in den Hintergrund zurückdrängen? Den Toten gebührt ein stiller inniger Kultus, der jedoch dem Leben sein Recht nicht schmälert.

Du bist so karg in Deinen Mittheilungen. Ich muß alles bei Dir zwischen den Zeilen herauslesen. Ich möchte doch auch das Bauern- kriegsdrama lesen. ®Becher, der einen Tag bei uns war, erzählte mir viel von ihm. I.G. sei unglücklich, weil es mit den Aufführungen nicht voran gehen wolle.- Frau Becher war nur 14 Tage hier, Sie brachte ihren Sohn als Student hierher, und ich bin jetzt Adoptivmama. Auch Konr. Seckendorf brachte mir seinen langen Sohn. Ich finde aber so gar keine Zeit mich diesem jungen Volk zu widmen. Isolde hat ein Drama aus dem ersten messianischen Krieg geschrieben, in dem so wunderbar schöne Dinge vorkommen, daß ich`s selbst nicht glauben würde, wenn ich`s nicht gewiß wüßte. Sie hat jetzt auch englisch gelernt und ist ein merkwürdiger Kerl. Edgar lernt auch englisch im Obergymnasium, und sie können schon ein bißchen zusammen sprechen. - Hermann ist noch an seinem Shakespeareübersetzungen und der Vorrede, die ihm mehr Zeit als die Übersetzung wegnimmt. Er will jetzt auch wieder zur Novelle zurückkehren, für eine Zeitlang wenigstens. Außer seinem winterlichen Husten geht es ihm gut, nur ist ihm der Rest an Freude an der Welt, und die Menschenfreude vollends gänzlich abhanden gekommen.

Hedwig schreibt viel aus Granada. Marie Sch. lebt in Darmstadt. ®Pfau ist derzeit bei Bareiß in Göppingen und wird mich demnächst besuchen, worauf ich mich sehr freue. Zu Guidos Brautschaft sage ich blos, daß ich es nicht anders erwartet. Der jüngste und feu- rigste in der ganzen Familie ist der alte Schnitzer.- Von hier kann ich Dir weiter nichts sagen. Mit Strecker stand ich sehr intim, ich stehe eigentlich auch so gut, nur kann ich eben diese Preußenliebe, die auch dort herrscht, nicht recht ertragen. Ich habe oft eine große Lust Dich wiederzusehen und ärgere mich recht, daß das dumme Geld solch großen Hemmschuhe anlegt. Rechne nie mit mir ab, wisse immer mein Schweigen zurecht zu legen und glaube, daß ich nur in de schönsten und wichtigsten Momenten ein Wort für Dich habe. Mit herzlichen Grüßen und Küßen
Deine Marie
(Umschlag 10. Nov.1866 nach Klein-Eislingen)
(Anm.: Todestag von Marie Casparts Verlobten)
(Anm.: Becher, August 1816-1890, Landtagsabgeordneter)

Tübingen 30. Dec. 1866

(rotes Briefle)
Liebste Marie!

Obgleich es mir am Papier fehlt, will ich doch noch heute die letzten Fetzchen zusammensuchen, um Dir unseren herzlichsten Dank für Deine ewig wiederkehrende Fürsorge und Deine schönen Gaben zu sagen. Die rothen Schals sind ganz prächtig und besonders Isolde ist ganz überselig damit, denn der Racker fängt an eitel zu werden. Soll ich Dir die Schachtel zurückschicken? Ich habe die Feiertage mit Flicken und Nähen zugebracht, da ich die Ruhe zu der Kinder Lernen benutzen muß. Zu melden gibt es sonst nicht viel. - ER schreibt viel und auch an mich von Berlin aus, wo er wegen der Aufführung seiner "Maria Moroni" ist. Hast Du sein Gedicht die Frauen in der Gartenlaube nicht gelesen? Lina Strecker behauptet, er habe es es blos mir zuliebe gedichtet. Vischers Anwesenheit ist sehr angenehm für Hermann. Sie verkehren viel zusammen und er hat ein starkes Gegengewicht für die preußische Parthei gebildet. Interessant ist es vielleicht für Dich zu hören, daß der berühm- teste Borusse ®Strauß bekehrt und enttäuscht ist, wie Vischer Hermann erzählte. Mir selbst gefällt Vischer sehr gut, und es war mir, als ob ich ihn schon seit Jahren kennen würde.

Ich habe etwas recht Drückendes auf dem Herzen. Becker schickte mir "Florian Geyer" mit der Weisung, da mich F. in der Marie verherrlicht habe, so müsse ich auch eine Kritik darüber schreiben. Inzwischen ließ er mich öfters wieder mahnen. Aber sieh, ich kann über ein Drama keine Kritik schreiben, weil ich die technische Construction nicht verstehe. Sag Du, wie Deine Gedanken darüber, dann will ich sie zu Papier bringen. Eins muß ich übrigens doch sagen: ich habe etwas ®mehr Fleisch und Blut und Leidenschaft, als die Marie des Trauerspiels. Ich habe in letzter Zeit einige ganz schöne Kritiken von J.G. gelesen, die über die Iphigenia-Vorlesung war doch auch von ihm?- Ich erwarte eine recht weitläufige Schilde- rung von Deinen Feiertagen, die Dir hoffentlich ein großes Christkindchen gebracht haben.- Pfau ist noch in Paris.- Nun wären wir also wieder vor der Schwelle eines bedeutungsvollen Jahres. Was wird es uns bringen? Ich glaube an nichts Gutes mehr, auch wir werden dem Cäsarismus erliegen müssen, und das ist schreck- lich wenn man vier Söhne hat. Schätze Dich glücklich, daß Dein Leib in solchen Zeiten unfruchtbar bleiben mußte.
Hermann grüßt Dich

o.D. 1867

Liebste Marie!

Selten hat mich ein Brief so gefreut, gelächert und erheitert als Dein gestriger. Nie hatte ich aber auch ein so böses Gewissen Dir gegenüber, als in diesen letzten Wochen. Wenn ich Dir aber sage, daß ich Hedwig seit drei Monaten nicht mehr geschrieben, ®Ihm seit 6 Wochen, so wirst Du mir glauben, daß ich triftige Abhaltungs- gründe hatte. Vor allem habe ich seit 10 Tagen ein Spital: Hermann hat Augenentzündung, Edgar einen so bösen krampfartigen Husten mit Brustschmerzen etc., und Balde ist recht krank an einem garstigen Fieber und dabei habe ich Logisnot und das ist eigentlich die Hauptursache, die mich von allem abhielt. Seit Neujahr renne ich täglich in der Stadt herum eine passende wohlfeile Wohnung suchend, da wir ®auf Georgi ausziehen. Ich war zuletzt wahrhaft deprimiert und erschöpft von der Ungewißheit wohin unser Haupt legen, wenn der Termin gekommen ist. Jetzt habe ich eine, aber welche ? Auf dem Markt, vier Zimmer, wovon eines keine Fenster hat, eingepfercht von allen Seiten und alles drängt nach Licht und Freiheit! Wie werden wir Sehnsucht haben nach den grünen Bäumen und dem blauen Himmel in den Winkeln im Zimmer, in denen Er nicht das Pfauenrad - gesessen - obgleich ich das Pfauenrad gewiß recht lieb habe, nur nicht so wie Dein Brief glauben macht.

Mitten unter dieser Hetze, die natürlich auch den ganzen Tag auf Hermann einwirkte und mich in allem zurückbrachte, gabs freilich wieder schöne Oasen, die erste lange war der mehrtägige Besuch von ®Pfau, der mir sehr angenehm war. Frau Weber ist entzückt von ihm, daß sie ihn auf Wochen auf ihren schönen ®Bläsiberg (A.) einlud. Hierauf folgte ein Besuch ®Struves, der hier Vorlesungen hielt. Das gab Veranlassung für ihm die demokratischen antipreußischen Elemente von Tübingen einzuladen und ein kleines Diner zu veran- stalten, wobei der alte ®Mayer nebst Tochter, der liebenswürdige Professor Brinz, (mit dem mich Hermann fortwährend aufzieht und droht, er werde mich bei Ihm verklagen) anwesend waren. Prof. Schäffle sollte auch kommen, war aber abgehalten, dagegen kam ®Hopf und blieb ein paar Tage. Denke Dir, abends ging ich sogar mit in den Volksverein. Hierauf folgte wieder eine angenehme Aufregung: nämlich ein Vortrag von Prof. Eckardt, den ich in Reutlingen hörte und der mich ganz gewaltig hinriß. Er sprach über Ulrich von Hutten und ich muß sagen, daß ich nie eine ähnliche Rede hörte, die gleich schön an Inhalt wie an Form war.-

Mehrere Tage darauf war ®Volksversammlung hier, die vollkommen gelungen ausfiel. ®1 500 Zuhörer hatten sich bis an der Berg hinauf in und um das Hennesche Sommertheater gelagert, und sowohl Oester- le als C. Mayer hielten treffliche Reden. Edgar war ganz roth vor Aufregung und Isolde fast noch mehr hingerissen, denn ich brau- che Dir micht zu sagen, daß ich natürlich mit Kind und Kegel dabei war, und selbst Hermann, der sich längst in sein Schneckenhaus zurückgezogen, fern von den traurigen Tagesfragen, lebte ganz auf und sagte es sei ein Märzhauch von 1848 gewesen.

Nachher im Volksvereinlokal hielt mein liebenswürdiger Freund Brinz eine schöne Rede, und auch Schäffle sprach warme und freie Worte fürs Recht. Die Volksparthei wurde hier noch nie so geehrt als bei dieser Veranlassung. Wahrhaft im Triumpf wurde C. Mayer und Oesterle und Leipheimer an die Eisenbahn begleitet. Die schwarz-weiße Parthei ist wüthend über die Professoren Brinz, Schaeffle, Fricker, Mandry, die sich der unsrigen so offen angeschlossen. Was sagst Du dazu, daß sogar Keller mit freundlichem Auge jetzt auf die Demokraten blickt, - natürlich bloß aus Haß gegen Preußen. - Noch habe ich auch einen Besuch von Dr. Dulk von Sttgt. vergessen. Dann kam der prächtige Vortrag Vischers, - (ach, wärst Du doch gekommen) mit den Schlußworten aus Hermann und Dorothea.- Und gedächte jeder wie ich, so stünde die Macht auf gegen die Macht, und wir erfreuten uns alle des Friedens, auf die Ruchlosigkeiten des Nordens hinweisend, zur Mannhaftigkeit und zum Ausharren auffordernd.- Und so vollendet schön dieser Vortrag war, so darf man Eckards Vortrag ihm kühn zur Seite setzen.

Hier hast Du die Umrisse dieses Winters, die Einzelheiten lassen sich nicht schreiben. - Wenn ich Dir aber sage, daß ich seit vier Tagen ein reizendes Märchen in Versen "Syritha" von ®Ihm habe, und es noch nicht zur Hälfte gelesen, so kannst Du Dir die Hetze, in der ich lebe, denken. Dazu kommt noch, daß Isolde von C. Mayer den neuesten Roman von Erkman - Chatrian zum Übersetzen erhielt, (für den Beobachter), und daß diese Übersetzung sehr pressiert. Sie ist nun zwar viel zu ehrgeizig, als daß ich ihr helfen dürfte, aber abschreiben muß ichs, sonst wird es nicht fertig. Ich habe soeben eine Portion Manuskripte weggeschickt und kann jetzt eher mit gutem Gewissen Dir ein paar Worte schreiben. Du würdest Dich sehr über Isolde wundern, die jetzt in ihren langen Kleidern ein ganz großes Frauenzimmer geworden ist, was die äußerliche Erscheinung betrifft, über die innerliche darf ich ohne Muttereitelkeit sagen, sie ist ein genialer Kerl.

Vor ein paar Tagen war H. ®Mohr da, wir zankten uns aber so, daß er ging. Es ist schade, einer der gescheitesten Kerle, doch wunderts mich eigentlich bei ihm nicht, daß er ein wüthender Preuße geworden ist. Materialismus, der Zweck heiligt die Mittel, und ein etwas weites Gewissen für jede Rechtsfrage, war stets in seinem Wesen.- Sobald ich Zeit bekomme muß ich ®Pfau die unbegründeten Beschuldigungen schreiben, er wird gerade so darüber lachen, wie ich. Meinem Mädel hätte er gerne den Hof gemacht, die ist aber spröde wie Glas und sagte mir: "Küß Du Deine alten Freunde selbst,"- was allerdings auch hier und da geschah, - doch wahrlich in aller Gemüthsruhe.-

Den nächsten Monat oder im Mai kommt ®ER nach Stuttgart zum Rendez- vous.- Und Du, wann wirst denn Du einmal wiederkommen? Pfau wollte mich durchaus in Göppingen, wo ich mich denn getheilt hätte, ich wäre gern gekommen, es ging aber nicht, aus vielen Gründen. Ich möchte Dich gar zu gerne wiedersehen. Diesen Sommer mußt Du kommen. Die schlechte Logis wird Dich hoffentlich nicht abhalten. Weißt Du, daß ich schrecklich Angst vor der Cholera habe, daran zu sterben ist doch schrecklich und noch viel schlimmer andere daran sterben zu sehen. (Kopieende)

Mit der ®Kleopatra hast Du freilich recht in Beziehung auf die Affengeschichte, die gehört gar nicht hinein, aber sonst ist die Erscheinung der armen Kleopatra so rührend schön, diese Hingabe, diese Leidenschaft, daß mir die Novelle doch unendlich lieb ist, allerdings ist die kleine Mama viel vollendeter und harmonischer. Hermann sagt, sie sei ein ganzes Kunstwerk. Ja, er muß es einem anthun, und es thut mir leid, daß Pfau da etwas schroff ist, immer die Kraft des Titanenmäßigen vermißt und zu wenig die vollendete Schönheit bewundert, während Heyse Pfau viel gerechter beurtheilt. Von ®Bacmeister hab ich neulich einen 16seitigen Brief bekommen, den mußt Du lesen, wenn Du kommst. Und nun, laß Dir noch einmal sagen, ®wie mich Dein köstlicher Brief gepackt, erfreut, aufgeregt, alles miteinander hat. Du kannst Briefe schreiben, daß man Flügel haben möchte, um gleich zu Dir zu eilen und Dich in Liebe und Freude in die Arme zu schließen. Wie oft hast Du mich schon in solchen Brand gesteckt und doch, wenn ich recht brenne, dann bist Du wieder kalt und ich habe mir schon oft gesagt: sie liebt Dich doch nicht recht. Ja, Du böser Waldfeger, Dich muß man nur eifersüchtig machen, wenn man geliebt sein will. Das will ich mir merken und Du sollst künftig überall ein Pfauenauge thronen sehen, und wenn er hierher kommt, so wollen wir uns Dir zulieb ein wenig, faute de mieuse, ineinander verlieben, was aber am Ende bei ihm noch weniger leicht ginge als bei mir. Grüße Mutter und Onkel und schreibe mir gleich wieder. Ich küße und herze Dich von ganzer Seele
Deine Marie
Sonntag Daß ich übrigens Pfau Brief auf Brief nach Göppingen geschrieben stimmt nicht. Es beschränkt sich auf einen Brief und eine Sendung von Blinds Briefen.

(A. 1 Bläsibad, beliebter Ausflugsort der Studenten, A. 2 Das Hennesche Sommertheater oder die "Tübinger Schmiere" wie Isolde in ihrem Buch schreibt war hinter der Marquarthei.)

o. D. (Ende März 1867)

(roter Brief)
Liebes Herz!

Schon seit ein paar Tagen gehe ich damit um Dir zu schreiben und Dir zu sagen, wie übel wir dran sind. Du hattest meinen letzten Brief noch nicht in Händen, als es sich zeigte, daß Edgar den Krampfhusten hat und uns fast alle ansteckte: Erwin, Josephine und ich waren am ärgsten davon gepackt. Bei Alfred und Balde ists bis jetzt ein gewöhnlicher Husten geblieben. Fünf Tage brachte ich im Bett zu, da aber keine Linderung eintrat, stand ich wieder auf, sehe aber recht elend und erbärmlich aus. Das Fatalste sind die großen Schulversäumnisse. Dies wollte ich Dir erzählen, kam aber nicht dazu. Vielleicht wollte ich Dir auch noch mehr erzählen, nämlich, daß ®Er glücklicher Bräutigam ist. Nie sah ich einen entzückenderen Frauenkopf, als die Photographie dieses Glücklichen.

Es ist ein noch nicht 17 Jahre alte Mädchen, ein Münchner Kind, nicht aus der Haute volée, mit bairischem Dialekt. Er kennt sie erst seit 14 Tagen und wurde so in Feuer gesetzt, dass er bereits in den schönen Part des Bratstandes mit ihr gelangte.- Wenns's denn sein muß, so freue ich mich über diese classische Schönheit - über dieses Götterpaar.- Ob mich sonst freue,- wirst Du am wenigsten mich fragen. Es wäre ja lächerlich, wenn ein Funke an Eifersucht in mir erwachsen könnte, aber der Gedanke, daß die junge schöne Frau in so sehr gefangen halten wird, daß ihm weniger Zeit für die alten Freunde bleibt, das muß mich doch ein wenig schmerzen. Wenn er übrigens nur wirklich glücklich wir, so wird auch diese Regung verschwinden. Und doch, glaube mir, es gehört ein bißchen Muth dazu, denn was niemand ahnt und weiß, will ich zu Dir sagen, darfst es aber nie gegen jemand erwähnen; mir ist der schönste Traum, den er selbst erweckt und genährt hat, entschwunden. Es war freilich eine Thorheit solche Hoffnungen zu hegen, aber ich habe sie gehegt und nun bin ich wünscheleer.

Darüber mehr mündlich. Daß er mir gleich lieb bleibt versteht sich von selbst. - Ich will nun sehen, wie es mit dem Rendez-vous steht?

Natürlich hab ich ihm gleich geschrieben. Gestern war Lina bei mir, sie wollte sehen, wie ich das Ereigniß aufgenommen, als ich ihr gestand, daß die Freude nicht ganz ohne wehmüthige Beimischung gewesen, gestand sie mir, daß sie zuerst habe lange weinen müssen, dann hat sie sich aufgenmacht und der schönen ®Anna (so heißt sie) ein prächtiges Veilchenbouquet mit einer weißen Camelie in der Mitte zugesandt. Ich beneidete sie um den zarten schönen Gedanken und beneidete sie in diesem Augenblick auch, daß sie ein paar Gulden für einen Strauß geben kann.

In Einem scheinst Du mir irriger Meinung zu sein. Die Männer lieben es allerdings wenn man sie bewundert und anbetet, aber es ist eine andere Frage, ob sie die Bewunderer mehr lieben. Ich glaube das nicht. Kleopatra war übrigens gerade ein so anbetendes Wesen. Die Bewunderung ist rein bloß Selbstzweck und erntet keine anderen Früchte. ®Samstag

Gestern feierten wir ®C. Mayers (d.Ä.) Geburtstag. Es wurde ihm von der philosophischen Fakultät das ®Ehrendoktordiplom überreicht. Sein Sohn war natürlich auch da. Ich ließ mich von meinem Husten nicht abhalten in die kalte Märzluft hinaus zu gehen. Zuletzt kneipten wir in der Restauration des Bahnhofs, wozu die Profes- soren, die zur Linken halten sich auch einfanden: Natürley, Brinz, Schäffle, Fricker, Mandry, Teufel. C. Mayer ist sehr mit Isoldes Übersetzung zufrieden, er sagte, es sei besser als die, die er vom ersten Stuttgarter Reallehrer hätten machen lassen. Sie darf den ganzen Roman übersetzen. Man kann mit dem Druck erst beginnen, wenn die Hälfte des Romans übersetzt ist. Pfau wird bald nach Paris gehen, will aber in den nächsten Tagen noch zu mir kommen. Mir ist bange um ihn wegen der Cholera.

Mit Ekard kann ich Dir nicht recht geben. Bei Hutten war es wenigstens nicht der Fall, sein Pathos übertrifft nie das Maas des Schönen, freilich thut der Gegenstand auch schon das Seinige. Ich war mit seiner Freundin von Reutlingen, einer liebenswürdigen jungen Witwe mit Namen Marie, dort. Wir erwarteten anfangs eine ganz andere Persönlichkeit und Marie niemals. Er erschien zunächst wie ein Taschenkraps, aber wie bald schien er gar kein T. mehr, denn er entflammte uns so, daß wir uns beide kaum vor Enthusiasmus zurückhalten konnten. Was nun ®Hermann und Dorothea betrifft, so war der Vortrag sicherlich vollendet, Form und Inhalt meisterlich abgerundet und doch sagte Hermann, die Kunst sei manchmal in Maniriertheit übergegangen. Ich empfand nun, daß ich bei aller Bewunderung nicht recht warm werden konnte. Freilich habe ich auch von Hermann und Dorothea nie diesen gewalthigen Eindruck verspürt, in der engen Umgrenzung oft allerdings das Höchste geleistet. Doch wenn sie mit harmonischer Einfachheit hervortreten, so haben sie eben doch nicht den ®jonischen Himmel über sich gespürt, der kattunene Schlafrock und der Schnupftabak des Apothekers wären auf keinen griechischen Grund und Boden gewachsen, weil sie eben un- schön sind.

Ich kam nicht weiter. Die Kinder lassen mir keine Ruhe. Hier sende ich Dir ®Isoldes Drama. Du mußt bei der Beurtheilung denken, daß es ein 12jähriges Mädchen geschrieben.(vergang. Sommer) Dazu lege ich noch ein Bändchen, nur als ein Liebeszeichen von mir, damit Du doch auch etwas in Deine Bibliothek von ®ihm habest. Mit innigster Liebe
Deine Marie
Gelt, Du schickst mir das Drama gleich wieder zurück.

(Anm.: ®ER, Paul Heyse mit Anna Schubart, siehe Gemälde von Lenbach in der Schack-Galerie, München; 2.Ehe von Heyse, die Verlobung war am 15. März. Siehe auch Tagebuch Heft V, 1867) Was macht Dein Freund?

Wir haben uns doch recht lange nicht gesehen. Ich hab ein recht lebhaftes Verlangen nach Dir, thu wenigstens Deinen Mund auf und erzähle.

Ich küße und umarme Dich von Herzen.
Deine Marie

3. Januar 1868

Meine theure Marie!

Wären wir nicht durch eine Übersetzung Isoldes, die theilweise rasch auf dem Asperg abgeliefert werden mußte, so sehr in der Hetze ge- wesen, hätte ich Dir längst unseren besten Dank für Deine Geschenke gesagt. Isolde ist hocherfreut über die schöne Kette, denn sie ist eitel und schmückt sich gern. Auch Balde war sehr glücklich über seinen Feuerwehrmann, der jetzt aus lauter Berufstreue im Wasser den Tod gefunden, d. h. aufgeweicht ist. Die ®Seifenblasen brachten wir leider nicht zu Stande, obgleich sich die ganze Familie damit befaßte. Jetzt aber bitte ich Dich, lasse es genug sein für die Folge. Du legst Dir Opfer auf, und das drückt mich umso mehr, da ich Dir nie eine Freude machen kann und vollends in Deiner jetzigen Stimmung, wo es ein doppeltes Opfer ist, Dich mit derlei zu befassen. - Armes, armes Kind, ich ahnte es längst, denn Dein Schweigen verrieth mirs, aber ich wollte es nicht glauben und kann es auch nicht glauben, Denke wie überrascht ich war, als ®Emmi Mayer neulich zu mir sagte: "Und weißt Du auch, daß das Waldfegerlein nicht Frau ®J. G. Fischer werden wird." Ich stellte es natürlich sehr in Abrede, aber in meinem Herzen zogen auch allzugleich neue Hoffnungen herauf. Weißt Du, ich kanns doch von einem ehrlichen Schwa- bendichter nicht glauben. Das können jetzt noch Verstimmungen sein, aber es muß sich lichten und zum Guten wenden, denn ich will nicht glauben, daß er herzlos und in solchem Grade selbstsüchtig und falsch ist. Laß mich bald von Dir hören, und hast Du je nichts Gutes mir zu schreiben, so denke wenigstens, daß all Dein Kummer in ein einfühlsames Herz fällt. (s. auch Seite 161 ff)

Von uns kann ich Dir nicht viel erzählen. Mit den schwindenden Jahren schwindet auch die Lebensfreude und die gewaltigen Sorgen, die mit den Kindern wachsen, beeinträchtigen die Mutterfreuden. Ich seh so schwarz in die Zukunft und male mir fortwährend alles was uns noch bevorsteht in den schlimmsten Farben aus. Es ist et- was Unbezahlbares um den Jugendleichtsinn und um das rasch kreisen- de Blut der Jugend. Und lang hab ich diese innere Jugend besessen, sie wäre vielleicht noch nicht ganz entschwunden, wenn nicht Frau Sorge sich mir täglich so fest aufs Bett setzen würde. Hermann leidet viel an den Augen und ist auch sonst oft leidend, sehr selten heiter und das drückt mich dann auch sehr darnieder. Ich lebe sehr still und einsam, doch hab ich in ®Prof. Brienz einen sehr lieben und warmen Freund gefunden.

®Heichrich Mohr kommt öfters. Ich könnte ihn gut leiden, wenn nicht sein abscheuliches Preußenthum mich so sehr entsetzen würde. Es ist nun schon eine ganze Ewigkeit, daß wir uns nicht gesehen, und ich sehne mich oft nach Dir. So Vieles kann man erst dann wieder schrift- lich erörtern, wenn man sich wieder gesehen hat. Ich schreibe Dir bald wieder, für heute bin ich noch allzusehr in der Hetze. Auch Deine Schachtel will ich Dir das nächste mal wieder retour senden. Nimm einstweilen unsere herzlichsten Grüße und die wärmsten Wünsche für die Erfüllung Deiner Wünsche in diesem Jahr.

Auch Hermann nimmt innigsten Antheil und ist nicht gut auf Deinen Freund zu sprechen.

Lebe wohl, es küßt Dich
Deine Marie
Anm.: Wilhelm Ferdinand ®Heinrich Mohr (1826 - 1892) war Pfarrer Philosoph und Musiker und wirkte in Mühlheim am Bach, Renfriz- hausen und Kloster Kirchberg 10 Jahre, wo er einen rührenden ein- wöchigen Abschied bekam. Dann bis zu seinem Tod war er auf der Alb in Asch bei Blaubeuren, wo eine Tafel an der Kirche heute noch sichtbar ist. Er ließ aus Preußenbegeisterung sein Bismarckbild vom Pfarrhaus während der Wahlen aufs Rathaus bringen. Verheiratet war er mit Marie geb. Dieterich aus Böttingen, ebenfalls Pfarrers- tochter und hatte nur einen einzigen Sohn Heinrich, der Jurist wurde. ®

6. Jaunuar 1868

Liebe Marie!

Mein langes Stillschweigen auf Deine freundliche Sendung wird Dir schon selbst gesagt haben, daß nicht alles in Blei bei uns ist, und daß es äußere Abhaltungen sind, die mich so lange zögern ließen Dir unseren herzlichsten Dank zu sagen. Die Schachtel kam gerade an Isoldes Geburtstag an, und so blieb ihr daher die Freude sie auszupacken. Wir hatten aber trübe Weihnachten. Erwin war drei Wochen zuvor im Turnen von der Leiter gefallen und muß sich innerlich etwas verletzt haben, denn äußerlich war nichts sichtbar. Er war längere Zeit ganz steif und konnte sich nicht bewegen. Daneben hatte er entsetzliche Schmerzen im Leib und Kopfweh und oft wiederkehrendes Nasenbluten. So mußte er lange Zeit das Bett hüten und eingerieben werden und stand ganz gegen den Willen des Arztes am Weihnachtsabend auf. Auch Balde war die ganze Zeit über Patient, denn bei ihm regte sich wieder das alte Gliederweh, und so sah es eben nicht heiter bei uns aus. - Du wirst traurige Tage verbracht haben, armes Herz! Du dauerst mich so innig, daß nun Dein ganzes Leben vergällt sein soll, daß Dein Herz mit Groll und Gift sich sättigt. Wie kann er den Muth haben Dich jetzt noch zu besuchen und sich an seinem Verrath weiden. Wie ist er denn da gegen Dich und Du gegen ihn? -

Ich bin mit großer Sorge ins neue Jahr hineingetreten. Was wird dieses Jahr bringen: Blutbad in Spanien und die sich entzündende Kriegsfackel im Orient. So beginnt es und wie wird es enden? - Wir armen Schwaben sind verrathen und verkauft. Wenn das preußisch- französische Bündnis wahr ist, dann sind wir verloren und ich möchte lieber mit all den Meinigen sterben, als diesen Tag er erscheinen sehen! Der Haß gegen die Preußen ist das stärkste Gefühl, das in mir herrscht. Könnte ich die "Bismärcker" ver- nichten, so wollte ich zwar in tausen Qualen verbluthen, tausend Opfertode sterben, nur zur Vernichtung dieser Preußen. - Und nun denke Dir aus, wie es mir sein muß, wenn ich meine Buben zum Kriegsdienst hergeben soll? Es kann und darf nicht sein, aber wie es verhindern ohne Geld? Ich glaube die Angst und Qual macht mich noch vor dem Zeitraum wahnsinnig. Schreib mir auch wieder und sag mir, was Dein Onkel hofft und fürchtet. Hermann lebt so trübselig dahin, sehr zurückgezogen, nur mit wenig Gleichgesinnten umgehend. Ich wollte Du sähest einmal meine Kinder wieder. ®Isolde ist recht nett, Du hättest gewiß eine Freude an ihr und an ihrem geistigen Leben. Sie war noch nie verliebt, so viele Anbeter sie auch hat. Nächste Frühlingsvakanz will ich Dir Edgar und seinen unzertrenn- lichen Freund, einen Studenten und Jünger Apolls zuschicken, wenn Ihr die jungen Leute ein paar Tage brauchen könnt. Nächstes Jahr macht Edgar das Maturitätsexamen. Sonst kann ich Dir nicht viel über unser Leben sagen. Wir haben einen netten Kreis an jungen Männern, darunter ®C. Mayer der Jüngste oder III (stud. jur) und ®Stockmayer, eine prächtige thatkräftige Natur, (ein gewaltiger Republikaner) und ®Ernst Mohl, Edgars Busenfreund und Isoldes Lehrer in Latein und Sanscrit, ein Poet und Philologe. Dieses Jahr ist die Schillerstiftung für uns versiegt. Und doch hatte ®Kürnberger vor einiger Zeit Heyse die Versicherung gegeben, die Schillerstiftung werde Hermann jetzt endlich in die Liste der Lebenslänglichen setzen. Sonst kam die Sendung immer im Dezember, heute haben wir den 6. Januar und noch keine Sylbe von ihnen vernommen. Du kannst Dir denken in welche Verlegenheiten uns dieses gänzliche Ausbleiben stürzen würde, ja wir könnten absolut gar nicht mehr leben. Es kommt vielleicht noch, jedenfalls trifft uns die Verzögerung schon sehr empfindlich. Von Hedwig weiß ich gar nichts. Marie S. wird im Laufe des Winters mit ihrer Lilli kommen. Daß Emilie Tafel Braut ist, wirst Du wissen, glücklicherweise nicht mit dem Preußen Lang, den sie liebte. Grüße Deinen Onkel und Deine Mutter und nehme unsere herzlichsten Grüße. Es küsst Dich
Deine Marie
Mittwoch

Josephine dankt Dir für den Laib.

Dienstag 14. Februar 1869

Meine liebe theure Marie!

Es ist eine lange Schuld, die ich an Dich abzutragen habe; wenn ich Dir aber sage, daß ich seit Monaten wieder ein an Gliederweh krankes Kind habe, daß sich das Leiden nun auch aufs Herz geworfen, so wirst Du mir nicht böse sein, daß ich so spät erst Dir unsern Dank für Dein freundliches Gedenken an Weihnachten sage. Ich gedachte Deiner gewiß nicht weniger, aber ein vielgequältes Mutterherz das noch nebenher den bittern Kampf ums Dasein kämpfen muß, ist ein ein arg absonderliches Ding, das nicht immer zur Sammlung kommt. In den Zeiten, in denen ich jauchzte schrieb ich Dir immer gleich, aber sollst Du das große und Dir so wohlbekannte Leid des Jammers nur immer in jeder Tonart vorgeleiert bekommen? Darum schweig ich oft lieber. Ich weiß wohl, daß Dir meine Lebenssorge, die Angst um ein geliebtes Kind abgerechnet, die doch hauptsächlich bloß um die nackte Prosa, um den erbärmlichen Erhaltungstrieb, das tägliche Brod handelt, Dir im idealen Schmerz versunken, trivial vorkommen muß. Glaube mir nur, daß ich mit heiterem leichten Sinn für mich jede solche Noth und selbst den nagenden Hunger tragen wollte, anders aber gestaltet es sich, wenn man mit dem Leben im steten Kampf für die Kinder liegen muß. Nächsten Monat wird Edgar sein Maturitätsexamen machen, wenn er Altersdispensation erlangt, was nach den sehr guten Zeugnissen zu hoffen ist. Welche neue Sorge, Schmerz und Schwierigkeiten das bringt, kannst Du Dir denken. Edgar wird vorerst mit dem Studium der Philosophie beginnen, zu einem Fachstudium hat er sich noch nicht entschlossen.-

Isolde ist schön und blühend und doch ist auch sie leidend und sehr nervös, daß das junge Ding an förmlichen Halluzinationen leidet ist wohl ein Erbstück vom Vater.- Erwins Gesundheit ist ebenfalls sehr schlecht. Er sieht todtenbleich, hat fortwährendes Kopfweh und zeitenweise blutigen Auswurf. Vielleicht hilft da Leberthran? Hermanns Gesundheit ist dieses Jahr recht ordentlich. Heute hat mich Elise Graser aus Kirchheim besucht. ®Dieser Besuch, der meine Gedanken so sehr auf Dich lenkte und ®noch mehr ein Gedicht an Einen, (den ich nicht nennen will, und ders nicht werth ist), (Anm.) das ich heute abend im Beobachter gelesen, drückten mir unwillkürlich die Feder in die Hand, um mich nach Deinem Be- finden zu erkundigen. Dein letzter Brief hatte mich tief erschreckt er war auch so dunkel, daß ich noch mehr dahinter gesucht, als Du willens zu sagen warst. Du schriebts mir einmal in einem vorherge- henden Brief so frisch, so lebensfroh, so kampfesmuthig und sieges- froh, daß ich gelaubt, Du habest den Schmerz bezwungen. Leider, fürcht ich, daß er stärker ist als Du. Du solltest Dich nicht so einspinnen in Deiner Einsamkeit. Draußen in der lauten Welt, in wechselnden Sinnen von Naturschönheit würdest Du eher genesen. Willst Du im Sommer nicht auch einmal wieder zu uns kommen? Bis Mai kommt Hedwig mit ihrer Tochter hierher und wird jedenfalls den Sommer über bleiben. Isolde wird Bertha englischen Unterricht ge- ben. Ich freue mich natürlich sehr auf diesen Besuch und meine jetzt, jede Sorge sei leichter zu tragen, wenn sie ein treues Herz mittragen hilft. -

Lebe wohl mein theures Herz. Nimm mein langes Verstummen nicht übel und gib bald tröstliche Nachricht von Dir.

Von Herzen küßt Dich
Deine Marie
Dienstag 14. Februar

Anm. 1: J.G. Fischer

Anm. 2: Selbstverständlich und nicht erwähnenswert, weder in den Tagebüchern noch in den Briefen war Maries sozialer Einsatz wie hier für die Juden. Das Tuch- und Herrenkleidergeschäft Hirsch war ihr gegenüber in der Kronenstrasse 6. (Auszug aus "Zerstörte Hoffnungen, Wege der Tübinger Juden" ersch. in Tübg. 1995)
Bitte um milde Gaben
Unter Bezugnahme auf den in öffentlichen Blättern enhaltenen "erneuerten Nothruf aus Memel", nach welchen die Hungersnit der Israeliten an der benachbarten russischen Grenze den höchten Grad erreicht hat ... erbitten wir Liebesgaben ...


Leopold Hirsch und Frau Dr. Kurtz im Hause des Conitors Voigt am Markt
Tübinger Chronik vom 28.07.1869

Tübingen, Donnerstag o. D. 1869

Liebe Marie.

Seit vielen Tagen wollte ich Dir schreiben, aber ich kam eben immer nicht dazu, nicht aus Mangel an Stoff, sondern aus Fülle. Wenn man sich jahrelang nicht mehr geschrieben und nächstens einige lustra lang nicht mehr gesehen hat, so weiß man nicht wo anfangen, und was das Allerschlimmste ist; wir beide stehen uns auch noch friedlich gegenüber auf dem blutgedüngten Boden der Politik! Du schwärmst für Deutschlands Größe und Heldenruhm, bewunderst vielleicht gar Vi- schers Chauvinismus? Ich hasse mit heißem Haß dieses neugebackene Kaiserthum und preußische Livree, ich verabscheue den Militarismus, so oft mir jeder heimkehrende Soldat, an dessen Händen Franzosen- blut klebt, ein Greuel ist. Wo finden wir da ein neutrales Gebiet? Daß Dein Onkel mir im Preußenhaß begegnet, habe ich zu meiner grossen Freude von Frau Tafel gehört. Soll ich Dir von meinen Kindern erzählen? Zuerst von meinem Liebling, meinem Edgar. Er hat seine philosophischen Studien aufgesteckt und ist jetzt im 2. Semester Mediziner und ein Liebling seiner Professoren, so fleißig und ta- lentiert zeigt er sich. Daneben hat er aber doch seinem inneren Beruf, der Posie, nicht entsagt. Er ist ein glühener Republikaner und Communalist. Von Isolde weiß ich auch nicht wo ich anfangen soll zu erzählen. Ich hätte zu viel zu thun. Sie ist ein verwöhn- tes sprödes Mädchen, die gern alle an ihren Triumphen teilnehmen läßt, der aber kein Mann gut genug ist, die einen Korb um den andern austheilt und schließlich sicherlich nie ihr Ideal finden wird. Sie hat Heyse sehr gut gefallen und er ihr. Vorigen Herbst waren wir in Eßlingen ein paar Tage zusammen. Isolde ist politisch indifferent. International ist sie aber schon deßhalb, weil sie Söhne aus aller Herren Länder zu Anbetern hat: Russen, Böhmen, Ungarn, Franzosen und selbst einen dunkelfarbigen Sohn des Kaukasus. Die Politik hat meine Bewunderung und Anhänglichkeit für Heyse zwar nicht vernichtet, aber es hat mich oft sehr traurig berührt, diesen für alles Schöne entflammten Götterliebling für diese dt.- kaiserliche Narrenfarm begeistert zu sehen. Für zwei seiner letzten Arbeiten habe ich mich wahrlich geschämt: An der Franzosenbraut ein echtes Tendenzstück und an seiner Siegesfeier, die an Servilismus grenzt. Ich kann es so gut begreifen, wie ein Sohn der Musen sich von jeglicher Politik fernhält, um sich rein im Reich des Schönen und der Phantasie zu halten, nie hat mich der politische Fanatismus so weit getrieben, so sehr die politische Begeisterung in meiner Natur liegt, um nicht anzuerkennen, daß Wissenschaft und Poesie über der Politik stehen und mehr für die Menschheit geleistet, als das abgegrenzte Wirken der Partheien, - wie man aber an der politischen Romantik, die bis über die Ohren in Blut steckt, Freude haben kann, das wird mir nie begreiflich sein!! Hermann hat sich von jeder Politik zurückgezogen, er ist Pessimist geworden und behauptet die Menschheit bleibe ewig und immer in ihrem alten Sauerteig stekken und alles Märtyrerblut fließe umsonst. Es hat ihm viele Schmerrzen und Kämpfe gekostet, bis er zu dieser Resignation des Alters gekommen ist. Ich lebe mitten unter der Jugend und in ihren heißen Begeisterungen, deßhalb bin auch ich hoffnungsvoller geblieben.Ich halte jedenfalls die Hingabe an ein hohes Ideal, möge es für den Augenblick erreichbar sein oder nicht, für das normale Streben eines jungen Herzens und so sehr ich auch die Zukunft meines Edgar mit Gefahren umringt sehe, so kann ich mich doch nicht über die Richtung betrüben, die es genommen, denn das bewahrt sein Inneres vor dem Egoismus, sie ist ein Evangelium für ihn geworden, ganz ohne Religion kann der Mensch nicht leben ohne selbst zu seinem eigenen Götzen zu werden.

Von dem Vielen, was ich zu erzählen hätte, will ich nur noch eins berühren. Wir haben schreckliche Wochen der Ängste und des Jammers zugebracht! Wir hatten einen Freund, edel und groß, mit allen Gaben des Geistes und des Wissens ausgestattet, leider war er nicht schön!! der mit innigster Liebe an meiner Familie hing, dem selbst sein erbitterster politischer Gegner stets mit ungewöhnlicher Achtung begegnet. Dieser ausgezeichnete junge Mann, dessen Vater ein Millionär ist, und dem also alle Genüsse der Welt zu Geld gestanden hätten, wenn er die leidende Menschheit nicht zu sehr geliebt hätte. Er wurde Mitglied der Commune, Minister des Unterrichts. Während der 6 Wochen seiner Thätigkeit hat er Unendliches für die Schule geleistet. Dann kam das Scheußliche - die zaristische Bluthochzeit! Unsere Zeitungen brachten seinen Tod: "Ergriffen auf den Barrika- den, standesrechtlich erschossen!!" - Was ich gelitten, wir alle, denn auch Hermann hat die innigste Freundschaft und Hochachtung für ihn, Edgar eine glühende Begeisterung, das kann ich Dir nicht ausdrücken. Viele Tage der Trauer gingen dahin. Da tauchten Gerüch- te seines Lebens auf und jetzt weiß ich gewiß, daß er noch lebt, aber von Gefahren umringt. Mehr darf ich nicht sagen. (Vaillant)

Wir haben diesen Sommer und vergangenen Winter in äußerster Zurückgezogen- heit zugebracht. Ich war in Stgt. viel mit ®Pfau zusammen, dessen prächtigen Brief über Paris in der Frf. Zeitung Du gelesen haben wirst. Der "Beobachter" ist zu feig sie zu bringen, der brachte nur die ganz ersten und unbedeutenden. - ®Edouard Vaillant, der Cultminister der Commune ist auch Pfaus Freund. (Anm.)

Hermann läßt Deinen Onkel herzlich grüßen. Er habe ihm nur deßhalb noch nicht geschrieben, weil er geglaubt, Dein Onkel werde ihm über seine Erzählungen selbst schreiben. Der Gedanke, daß sie ihre Erzäh- lungen zusammen geben sollen, sei auch ihm eine sehr willkommener, er möchte sich nur aussprechen für welche er sich von Hermanns Erzählungen entscheiden würde.- Die Sammlung geht sehr stark, es ist das erste mal, daß Hermann ein günstiges literarischen Unternehmen getroffen. Das war natürlich nicht seine, sondern Heyses Schuld. Es ging uns aber auch schlecht, wenn das nicht wäre, denn Edgar hat als Mediziner das Studium nicht frei, wie bei den andern Fakultäten und die Medizin ist das theuerste von allen Fächern. Wirst Du denn nicht auch einmal wieder hierher kommen? Ich lese nicht so viel wie Du, die Zeit fehlt mir. Isolde und ich wir übersetzen zusammen an einem sehr großen italienischen Roman, an dessen letztem Band wir nun angelangt. Mein Hauptstudium sonst sind die Veda und über Buddhah. Du kennst den Schoppenhauer und weißt durch ihn wie anziehend der Budhismus ist. Lebe nun recht wohl liebe Marie, und gib von Zeit zu Zeit ein Lebenszeichen von Dir. In alter Liebe
Deine Marie
Robert Tafel und Edgar sind warme Freunde.

Wie ich gehört, siehtst Du noch immer hübsch und jung aus. Hast Du noch Locken? Auch Hedwig trägt noch immer ihren Lockenkopf. Ihr Töchterchen, das gerade bei uns zu Besuch ist, ist bildschön. Über Isoldes Größe würdest Du erschrecken. Es fällt einem da immer Heines Gedicht ein: "Diese schönen Gliedmaßen collosaler Weiblich- keit." Alfred ist ein kleiner dicker Knirps, kein Genie, doch geht er seinen Weg ruhig weiter. Er will auch Mediziner werden. Erwin ist klein und zierlich, zeichnet reizend und spielt die Violine, eine ganze Künstlernatur. Balde ist in allem zu kurz gekommen, nur im Äußeren nicht. Er ist sehr hübsch aber faul, daß es eine Art hat und ein Nichtskönner in allen Fächern. Edgar ist groß und schlank.

(Anm.: Dr.Edouard ®Vaillant®, Minister der Pariser Kommune.)

11. Juli 1869

Meine liebe Marie!
nach Klein- Eislingen
Wenn ich einen Balsam wüßte für Dein armes Herz. Ich suche nach einem Wort das Dir wohl thun könnte. Wie Du mich dauerst. Wie oft und viel ich an Dich denke und mir Dein ödes armes Leben vormale brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Wenn es Dir nicht zu schmerzlich ist, so erzähle mir, wie alles so gekommen und welchen Vorwand er ergriffen um abzubrechen? Daß es wahrscheinlich auf dem Punkte stets mit irgend einer Vernunft, d.h. mit Geld-, oder Machtheirath zu thun hat steht bei mir fest. Dein Leben, Du armes Kind, ist gebrochen und jetzt kommt es nur noch darauf an, daß Du diese Last möglichst ohne Resignation tragen kannst und Dein Leben mit anderem Inhalt zu füllen vermagst. Willst Du nicht zu mir kommen und würde es Dir nicht wohl thun, den Schauplatz Deiner Liebesträume, Deines Hoffens und Bangens für eine Weile zu verlassen. Ich kann Dir nicht viel bieten, nicht einmal Behaglichkeit und Bequemlichkeit, wohl aber ein weitfühlendes Herz, in das Du Deinen Jammer ergießen kannst. Überleg Dirs. Im Frühling an einem Sonntag stand plötz- lich einmal Fischer in unserem Zimmer. Ich war so überrascht und befangen, daß ich kaum meine Gemüthsbewegung verbergen konnte. Es muß mir auch nicht ganz gelungen sein, denn Fischer sagte zu mir:" Was haben sie gegen mich, sie empfangen mich so steif und fremd?" Er wurde so herzlich, daß ich in meinem Herzen dachte wie, dem haben wir nicht recht gethan. Nun wollte ich auf eine Gelegenheit warten ihn direkt auszufragen. Er ließ es aber nicht so weit kommen, täuschte Geschäfte vor und bestellte Hermann in eine Kneipe. Als Hermann dorthin kam, war er in Gesellschaft mehrerer Stutt- garter so, daß auch dieser nichts fragen konnte.-

Seit Mitte Mai habe ich Entsetzliches durchgemacht. ®Josephine verletzte sich die Hand gefährlich, es kam ein Rothlauf dazu. Die Hand geschwoll und eiterte unter heftigem Wundfieber, zweimal mußte die Ärmste geschnitten werden und vier Wochen lang mußte ich sie entbehren. Denke Dir diese Angst und Anstrengung. Ich hatte niemand zur Aushilfe. Allein habe ich vier Wochen lang gekocht, geputzt, gewaschen und Josephine gepflegt. Wohl 30 mal des Tags ging ich die Treppe hinauf in ihre Kammer, morgens um fünf Uhr stand ich auf und um 11 Uhr kam ich ins Bett. Doch habe ich`s durchgehalten ohne zu erkranken und erst jetzt, da Josephine wieder nothdürftig hergestellt ist,(der Arm ist steif geblieben) kommt die Ermattung. Ich bin sehr mager und alt geworden über diese Zeit und werde Noth haben mich wieder zu erholen. - Edgar leidet viel auf der Brust und mit Kopfweh. Ich quäle mich oft recht in Sorgen um ihn ab. ®Isolde dagegen blüht wie eine Rose, sie ist sehr hübsch geworden und es wird ihr nicht wenig der Hof gemacht. Zweimal war sie in ®Bad Nie®dernau zum Tanzen und natürlich überglücklich.- Die "Belagerung der Pfalzburg" ist freilich von ihr laß ich Deinem Onkel auf seine Anfrage sagen. Wie gerne käme ich einmal mit ein paar Kindern zu Euch, aber es ist halt nie auszuführen, weil ich nie so viel Geld zum Reisen zusammenbringe. Die Nahrungssorgen nehmen überhaupt mit dem Heranwachsen der Buben schreckenserregend zu.

Hermanns Befinden ist ordentlich, nur werden seine Augen immer schwächer. Daß Dein Onkel sich keinen Augenblick von der preußischen Pestseuche anstecken läßt, ist mir eine große Freude, sage ihm das nur. Während alte Freiheitsmänner zu Bismärckern werden, begeistert sich der Aristokrat ®Keller für unseren demokratischen Kandidaten und war einer der ersten der seinen ®Ammermiller zum Zollparlament und seinen ®Schott zur Abgeordentenkammer in die Urne trug.- ®Mohr kommt oft hierher, wird aber durch sein starkes Stockpreußenthum immer ungenießbarer für uns. Es ist schade um den ®gescheiten Kerl. Von ihm erfuhr ich das Unglück Deiner Schwägerin Emilie. Er hat den alten Schatz in Stuttgart besucht. Hermann läßt Deinen Onkel einstweilen herzlich grüßen und für seinen Brief danken. Er steckt tief in einer Arbeit: "Unter- suchungen über Gottfried von Straßburg."Mir ists zu leid, daß er nie mehr zum freien Produzieren kommt.- Mit ®Vischer kommem wir viel zusammen. Er hat großen Gefallen an ®Isolde und hat sich zu ihrem Liebhaber und Anbeter erklärt, was der eitle Racker ganz gnädig aufnimmt. Auch seinen Sohn hat er uns gebracht. ®Isolde hat überhaupt ein sehr angeregtes Leben und ist immer von jungen Männern umgeben. Sie ist aber bis jetzt eine kalte Fischnatur, und ich bin froh, daß ich den Jammer des Verliebens so bald nicht erleben werde. Das ist bei Edgar anders. Er hat schon ernstliche Flammen. Laß bald von Dir hören, oder besser komme. Ich küsse Dich in treuer Liebe
D. Marie

Tübingen, 8.October 1869

(ohne Anrede)

Nicht Schreibfaulheit war es, meine liebe Marie, die mich abhielt, Dir Hs. Besuch anzukündigen, sondern völlige Unkenntnis für Reisepläne. Hätte ®Heyse nicht das Unglück getroffen sein junges Kind gerade zu jener Zeit zu verlieren, was ihn telegraphisch zurückberief, so wären die Freunde noch länger beisammen geblieben, und vielleicht hätte Hermann dann keine Zeit gefunden Deinen Onkel zu besuchen. Wenn Du in mein abgehetztes Leben herein sehen könntest, so würdest Du mich überhaupt nicht der Schreibfaulheit bezichtigen und nicht immer abbrechen.

Ich habe nun die wahre Augurenaufgabe diesen ganzen Winter meinen kleinen ®Balde, den man wegen seiner Gliederschmerzen, die bei jeder Nässe und Kälte wieder drohend sich zeigen, nicht in die Schule schicken kann, die lateinische Grammatik einzutrichtern, daneben habe ich unendlich zu arbeiten, zu flicken, stricken, Hosen und Wämser zu machen, daß ich 10 Hände statt zwei haben sollte. Isolde kann mir nicht dabei helfen, sie hat zu viel mit ihren Sprachen zu thun, ihr bleibt kaum Zeit spazieren zu gehen, was ihre Gesundheit durchaus nöthig hat. Sie hat diesen Sommer sehr gut russisch gelernt, so daß sie schon russiche Romane ohne große Mühe lesen und verstehen kann, obgleich die Sprache sehr schwer ist, doch hat sie noch alle Tage zwei russische Stunden bei einem russischen Studenten. Daneben übersetzt sie einen dicken ital. neuen Roman von Nievo, den ihr Heyse zu diesem Zweck gesandt. Ich habe angefangen die polnische Revolution zu lesen, um womöglich eine Novelle zusammen zu stoppeln. Ach, gewiß nicht aus Ehrgeitz, nicht einmal aus poetisch schöpferischem Drang, sondern von der Noth gedrängt, der elenden erbärmlichen Geldnoth! Hermann schafft sich halbtodt, aber denke die große Familie mit zwei fast drei erwachsenen Kindern.- Alfred ist jetzt auch vierzehn Jahre alt.- Bei Edgar geht es glänzend im Gymnasium. Er hat dieses mal den Cosmos von H. als Praemium bekommen, und seine Lehrer loben ihn mehr als er eigentlich verdient, denn ®fleißig ist er nicht, aber er kann und weiß alles was er nur einmal angesehen. Auf den Frühling wird er Student. Was er aber studieren will, das ist die große Frage, die er am wenigsten beantworten kann. Er will absolut kein Bordstudium, nur den ästhetischen Theil aller Wissenschaften. Sein Lehrer selbst sagt, er passe eigentlich blos für einen Schriftsteller, für einen Redakteuer irgend einer belletrist. Zeitschrift. Das alles sind Sorgen und doch winzig klein in Anbetracht der Mili- tärpflicht. Mein ewig Ach und Weh, das mir alle Lebensfreude abschneidet. Isolde ist über alle Maßen groß und jetzt auch sehr voll, eine jugendlilche Gestalt. Edgar ist bildschön aber klein und alle andern Buben sind auch kleine Knirpse. - Die Tübinger Gesellschaft ist mir immer fremder. Ich verkehre blos mit jungen Leuten, d.h. Studenten, davon ich aber nun den liebsten, den "Göckele" (C. Mayer) verlieren muß, der in Leipzig weiterstudieren will. ®Heyse ist im reichem Verkehr mit uns. Der Brief aus: "Frau Tout le monde", in seinen neuesten Novellen ist einzig prächtig. Willst Du sie lesen, so schreibs mir. - Mit Entsetzen hab ich Fischers Beitrag gelesen, das ist elend.- Ach könnte ich Dir doch die bittere Wehmuth aus dem Herzen nehmen!- Isolde hat eine reizende Freundin. Sie heißt auch Marie, die mich so viel an Dich erinnert, daß Ihr mir oft ganz identisch seid. Sie lebt in Griesbach und ist glücklich schwärmende jauchzende Braut vom liebenswürdigen Limon, einem Freier, der aber schon 50 Jahre ist und sie ist eben zwanzig.

Werden wir uns auch in diesem Leben mal wieder sehen? Du könntest wohl auch hierher kommen. Ich bin ja gefesselt und zu nichts mehr fähig. Meine Gesundheit ist auch sehr heruntergekomnmen, noch mehr meine Fantasie und mein Gedächtnis. Ach, es ist etwas Arges um das geistige und körperliche Absterben. Bei mir kommts vor der Zeit, weil mich die Sorgen und Ängste aufreiben. Nimm vorlieb mit diesem kurzen Gruß, viel gäbs zu erzählen. Aber da ist mein Kleiner, mit dem ich wieder lernen muß. Ich gehöre nicht mir an. Herzlichen Gruß und Kuß
Deine Marie

20. 10. 1869

Liebe Marie!

Hier das Buch und die paar Zeilen, mit denen Du für Deinen schönen Brief abgespeist wirst.- Die Novellen gehören zu dem geringsten was Heyse geschrieben hat, aber der Brief an Frau "Tout le monde", ist prächtig. -

Gestern war I.G.(Fischer) da und brachte seinen Sohn als neugebackenen Stiftler. Er blieb aber nur fünf Minuten und mit einer wahrhaft armen Sündersmiene. Dies war eine Unruhe und eine Verlegenheit. Wir waren natürlich durchaus höflich, aber es war als käme alle Augenblicke eine Anklage. Sein Sohn ist gar nicht hübsch und einnehmend. Da ist gegenwärtig eine ganze dichterische Epigonenschaar. Theobald ®Körner hat auch seinen Sohn auf die Universität gebracht. Edgar kommt im Frühling dazu, statt Carl Mayer (Göckele) kommt nun sein Bruder Ludwig. Mit Göckele haben wir noch einmal zwei schöne Abende zugebracht, bevor er nach Leipzig abgereist ist. Er fragt jedesmal nach Dir, seine Abreise thut mir wirklich weh. Er gehört zu den seltenen Erscheinungen, die neben einer wissenschaftlichen und poetischen, ästhetischen Bildung ein feines elegantes, und doch sehr männliches Äußeres haben. Es ist mir jetzt ganz bang auf die Fluth von Studenten, die nun bei uns anrücken wird. - Hermann ist sehr fleißig. Das neue Wiener Blatt, die Tagespresse, die ihn mit den schmeichelhaftesten Ver- heißungen angeworben hat, macht ihm Muth und Lust. Der Redakteur des Feuilletons ist Ludwig Ekhard, der das Blatt mit einem prächtigen Artikel eröffnete. Das Journal ist sehr preußenfeindlich und hat alle volkspartheilichen Schriftsteller angeworben: Carl ®Mayer ®Herwegh, ®Freiligrath, ®Walesrode, ®Pfau, und daneben noch ®Heyse und ®Bodenstedt.Als Beiblatt wird eine Frauenzeitung mit sehr radikaler Richtung: Emanzipation etc. herausgegeben, wozu der Herausgeber mich und Isolde eingeladen hat. Aber ich zweifle sehr, ob ich Zeit und Stimmung finden kann, oder ob ich überhaupt noch die Festigkeit besitze, Gedanken aufs Papier zu bringen.-

An dem langsamen Hinsterben Deiner Tante nehme ich herzlich Antheil. Ein solches Scheiden thut schmerzlich weh. Auch ich fühle derzeit etwas Ähnliches. Der alte ®Mayer, der nun in sein 83. Jahr geht, wird täglich schwächer. Ich hänge mit großer Liebe an dem vortrefflichen Mann. Sein Tod wird einen tiefen Riß in meinem hiesigen Leben geben.- Seit meine russische Freundin abgereist ist, habe ich kein einziges weibliches Wesen mehr das mir nahe steht.- Freunde finde ich immer wieder und wenn es ganz junge sind, an die ich mich warm und innig anschließe, die Freundinnen sind dünn gesät. Ob Hedig kommt, hängt noch von Verschiedenem ab, doch wird sie eher als nicht kommen. Ich freue mich sehr darauf, so sehr ich ich überhaupt noch mich an etwas freuen kann, wenn einem die Sorgen und alles absorbiert.

Leb wohl, liebes Waldfegerlein, laß viel und bald von Dir hören und sei herzlich von uns allen gegrüßt,
Deine Marie

20. Mai 1870

ohne Anrede

Mit inniger Theilnahme, meine theure Marie, habe ich heute den Tod Deiner Tante erfahren, und wenn Dir meine Zeilen auch kein Trost gewähren können, so eile ich doch, Dir voll Mitgefühl im Geiste die Hand zu drücken. Ich kann mich umso mehr in Euer angstvolles Leben der letzten Zeit hineinversetzen, da auch wir wieder monatelang zwischen Hoffen und Fürchten geschwebt und nur für einen Augenblick jetzt wieder aufschnaufen. ®Balde hat eine meist tödtlich verlaufende Krankheit durchgemacht, eine Nierenkrankheit, die als Folge des Herzleidens entstanden ist und ihn aufs elendeste abgemagert hat. Kaum schien diese Krankheit behoben, so stellte sich das alte Gliederweh wieder ein, das auch jetzt noch in minder heftigem Grad, als herumziehendes Gliederweh ihn nicht verlassen hat. - Ein solch krankhafter Zustand bei einem armen Kind ist so lähmend und quälend und liegt wie ein Alpdruck auf mir nieder. Dies ist auch der Grund, weßhalb ich wieder so lange verstummt war, obgleich ich Dir gleich schreiben wollte, um Dir Deine falschen Vorraussetzungen auseinan- der zu setzen. Heute ist es nicht mehr an der Zeit, denn wir sind wohl beide von zu viel Leid und Jammer erfaßt, um sich über Mißverständnisse zu unterhalten. Ich bin in äußerst gedrückter Stimmung, weil ich sehr schwarz in die Zukunft schaue. Hedwigs Anwesenheit gereicht mir jedenfalls zum Trost und zur Zerstreuung, wenn die Zerstreuung auch in neu übernommenen Pflichten beruht. Isolde, Edgar und ein junger Freund von beiden und ich, wir theilen uns in dem Unterricht für ihre Tochter, die ein wahres Wunderkind an Verstand und Talent ist.- Daß ®Edgar seit März stud. philos. ist, wirst Du vielleicht aus den Zeitungen wissen, d.h., daß er sein Maturitätsexamen gemacht hat. Meine Gesundheit ist durch das viele Herzeleid und die vielen Mühen und Anstrengungen ziemlich geschwächt. So weit kam ich im Schreiben, als auch Hermann heftig erkrankte. Ich habe wieder ein paar Tage in Seelenqualen zugebracht. Es ist das alte Leiden, die Nervenaufregung mit Unterleibsbeschwerden, was schließlich noch bös werden kann. Er ist bereits in der Besserung begriffen, aber anhaltende geistige Produktionen bringen das Übel wieder. Er wird sobald er sich erholt hat an Deinen Onkel schreiben. Ich habe drei Nächte nicht geschlafen und bin todtesmatt. Leb daher wohl, besser als ich
Deine Marie

22. 7. 1873

Tausend Dank für die schnelle Erfüllung meines Wunsches. An wen habt Ihr Euch denn gewandt, um das Gewünschte zu bekommen? Ich sehe durch die Vorfindung der Geburtseintragung, daß scheints alles böser Wille von dem hiesigen Helfer war. Der wollte sich mit so of- fenkundigen Heiden nicht befassen. Es ist mir übrigens arg peinlich, daß ich Dir zu Eurem Vikar Mühe machen mußte, danke auch ihm in meinem Namen und sage mir die Kosten die es verursacht. Was ist denn Euer Vikar für ein Mensch? Gegenwärtig kommt selten noch etwas Geniales aus dem Stift. Die deutschthümlerische Verbindung Norman- nia, die dort allgewaltig herrscht, hat einen bösen Einfluß auf die freie Geistesrichtung ausgeübt.

Kennst du zufällig einen jungen armen Schelm, einen Neffen von Albert Knapp dem christlichen Dichter? Er heißt auch Knapp, Gotthold Knapp, ist ein sehr begabter, wenn auch total verwirrter Kopf, hatte das Unglück sich toll in Isolde zu ver- lieben, dichtete unzählige Lieder auf sie, kam eine Zeitlang täglich in unser Haus. Wir entdeckten natürlich sehr bald die Spuren des wiederkehrenden Wahnsinns. Er wollte Isolde als sein Ideal und als die Mischung der Antike und modernen Welt in einem Roman "Platen" verherrlichen. Der arme Teufel sitzt nun seit langem wieder in Winnenden. Ich stand eine schöne Noth mit ihm aus. Sein Vater ist Pfarrer in Süssen.

Die Nachrichten über Deinen Onkel waren für uns recht betrübend. Da ist wohl vor den Herbsttagen auf keine Besserung zu hoffen. Bei Hermann geht es jetzt wieder viel besser, nur kann er noch nicht arbeiten. Es war eine ängstliche entsetzliche Zeit, sie ist jetzt wieder hinter uns, aber wir sind nie sicher, daß solche Zustände sich durch Überarbeitung nicht sogleich wieder einstellen.- Es ist eben doch nur die Jugend schön, in den Schatten des Abends wirds unheimlich und unwohnlich.

Am Uhlandfeste war bloß Carl Mayers Rede schön, die einen ungeheuren Applaus hervorrief, alles andere war Leimsud und besonders das Auftreten der Professoren erinnerte an Moritz Hartmanns Worte: "Wer ist der zu erwärmen vermag, gefrorene Professoren, da ist der Menschheit Lust und Klag, verloren, ach verloren!"

Hermann und Carl Mayer wollten daß, wie sichs von selbst versteht auch Herwegh eingeladen würde, dagegen eiferten Holland und Keller und zwar letzterer mit dem Ausspruch: "Herwegh ist ein zu unsittlicher Mensch." Du kannst Dir denken, wie die Studenten über den zopfigen Adalbert spotten. J.G.Fischer sah ich nur von weitem, aber er ist immer die personifizierte Verlegenheit wenn ich auf ihn stoße. Sonst sprach ich nur Stolze (?), der ein sehr netter und unterhaltender Mann ist. ®Isolde lehnte wegen der schwarz-weiß- rothen Schürzen ab Festdame zu sein. Hab ich Dir das nicht etwa schon gesagt? Ich bin so vergesslich geworden. Sie wollte Dir schreiben, sagte aber plötzlich, sie thue es doch nicht persönlich, habe zu viel anziehendes und holdes von Dir gehört und sie glaube, sie würde Dich lieben und deßhalb möge sie keinen profanen Brief schreiben. Ich hoffe, Ihr sollt Euch noch kennen lernen. (Anm.) ®Balde ist leider seit einiger Zeit wieder krank, es geht zwar schon wieder besser, doch spukts noch in seinen Füßen, sonst hätte ich Dir schon längst geschrieben, ich muß deßhalb auch abbrechen, denn der arme Schelm ruft mich zu sich.

Tausend freudliche Grüße von Hermann,
Deine Marie
Tübingen

Anm.: Gotthold Knapp, 1850 - 1889, Präceptor in Murrhardt und Kandidat der Philologie. Er starb 29jährig krank in Stgt.-Kaltental. Das Buch: Knapp Gotthold, Gedichte: "Ernst und frei" und "Schwäb. Deklamator", Aigner - Verlag Ludwigsburg 1868, schrieb Sohn Gotthold von Albert Knapp, nicht der erwähnte Gotthold Knapp, dieser war der Sohn von Eduard Knapp, Pfr. in Süssen und der Luise geb. Geiger. Er war das 8. Kind der Pfarrers, der drei mal verheiratet war. Mit 13 Jahren verlor Gotthold seine Mutter.

®Anm.: Isolde notiert zu ds. Aufzeichnungen der Mutter am 28.7.1917: "Gab es damals noch eine andere Isolde? Ich denke doch ich hatte das Waldfegerlein von klein auf gekannt."

o.D. 1873

Wer hätte gedacht, daß eine Tochter von uns, in den bequemsten freiesten Ansichten erzogen 19 Jahre alt würde,- umringt von Hul- digungen, die sowohl ihrem Körper als auch ihrem Geiste gelten, unbewegt durchs Leben gehen werde, eine kieselherzige Torondot! Nicht nur weist sie seit drei Jahren alle Freier ab, sie hat nicht einmal den Drang, das Bedürfnis zu lieben! Sie ist mir ein großes unlösliches Räthsel! Wie gerne möchte ich Dir einmal von ihrem Leben und dem einzigen ihrer theuersten und ausdauernsten Anbeter erzählen... Ich glaube, daß der Umstand, daß sie ganz unter Männern aufgewachsen, zwar sehr ihren Geist und Charakter gebildet, aber doch daran schuld war, daß sie die Männer nie mit anderen Augen ansah, als wie gute Kameraden. Vielleicht hätte weiblicher Umgang die sanftesten Erregungen erweckt. Könnte ich ihn aber herzaubern so wie sie ihn bedürfte? Was sind das für Mädchen heutigentags. Heyse allein fand Gnade vor Isoldes Augen. Gegenwärtig gibt sie einem wunderschönen Georgier deutsche Stunden und er ihr russische. Wenn sie da ruhig bleibt, und ich habe allen Grund es zu glauben, denn sie hatte schon einmal so einen bildschönen georgischen Lehrer, der noch dazu aus fürstlichem Blute war, (sie ist Aristo- kratin, aber nicht Preußenfreundin) - so soll es mir recht sein, denn bis Tiflis möchte ich sie doch nicht ziehen lassen. Sie hat die Gestalt einer Bavaria und der bräunliche Adonis ist von edelmäßiger tadelloser Schönheit und hat ein kluges Gesicht.

Wegen der Unkultur wollte ich gar nicht reden, wenn nur Natur, schöne natürliche Natur da wäre! Was warst Du für ein Prachtkerl von einem Mädel, so ein Exemplar hätte ihr gefehlt. Wie oft hatte ich gewünscht wenn nur das Waldfegerlein zu uns käme,- aber ich begriff auch zu gut, daß Jahre vergehen mußten bis solche Wunden vernarbt, und daß man sich mit solcher Erinnerung gerne vergräbt. Jetzt ists der kranke Onkel der Dich festbannt und so werden wir Dich wohl nicht so bald bei uns sehen. (Anm.)

Du bist gewiß noch die Alte, geistig jung und auch körperlich jung erhalten; es würde mir leid thun die Löcklein nicht mehr zu finden. Ich hoffe nicht daß sich ein graues Haar darunter befindet. -

Von dem großen Jammer den wir mit unserem Jüngsten haben habe ich Dir geschrieben. Es geht ihm zwar jetzt ordentlich, das Gliederweh hat sich nicht wieder gezeigt, die Herzvergrößerung ist aber da und das heilt kein Arzt und keine Therapie mehr. Ich kann ihn auch nicht in die Schule schicken, da er wie ein schalenloses Ei behan- delt werden muß und da er sehr wenig Lust zum eigentlichen Lernen hat und ich ihn, solange ich nicht weiß ob er mir auch am Leben bleiben wird nicht plagen mag, so beschränkt sich all sein Lernen auf ein bisschen Latein, Französisch und alte Geschichte. Dagegen liest er mit großer Vorliebe, und ist ganz entzückt von Heysischen Novellen und schreibt zu seiner Unterhaltung Novellen die oft gar nicht schlecht sind. Du kannst Dir denken, daß ein solches memento mori, das wir täglich vor Augen haben zu keinem rechten Frieden mehr gelangen läßt. Und selbst wenn er am Leben bleibt, gerade dieses verkümmerte Leben, das ihm bevorsteht, würde ein furchtbarer Kummer für mich. Werden seine Geschwister je so in der Lage sein für ihn zu sorgen. Ich weiß nicht ob Hermann Dir geschrieben, daß Edgar diesen Winter einen sehr gefährlichen Unfall hatte, ein Fall auf das Knie, oder vielmehr ein Fall des dicken Stockmayers auf Edgars Knie das fast zerquetscht wurde, verursachte eine Gelenk- entzündung, deren Verlauf sehr langwierig und schmerzlich war. Als er endlich wieder ausgehen durfte hatte er das Unglück mit dem noch zu schwachen Knie wieder zusammenzubrechen und drauf zu fallen und nun war alles schlimmer als zuvor. Er ist jetzt nach 10 langen Wochen wieder so weit, daß er gehen kann, aber der Fuß ist steif und er zieht ihn nur so nach sich, er wird vermuthlich noch lange daran zu leiden haben. Dieses Leiden hat ihn auch sehr in seinen Studien gehindert, dennoch meint er es erzwingen zu können nächstes Frühjahr sein Staatsexamen zu machen. So großes Interesse Edgar in den medizinischen Wissenschaften hat, so ist er doch nichts weniger als ein Berufsmensch. Neben dem strengen Dienst der Ambulanz ist er auch den Musen treu geblieben. Alfred wird auch Mediziner. Bei Erwin schwankt es noch, ob er denselben Weg wie seine zwei Brüder oder die künstlerische Laufbahn ergreifen wird. Er zeichnet sehr gut, ob es aber zu einem bedeutenden Künstler ausreicht,- das steht doch dahin. -

Es interessiert Dich vielleicht zu hören, daß Ludwig Pfau und Emilie Weißer, das Kunstkind von Ludwig Weißer, Deines einstigen Anbeters ein Paar sind und zwar mit dem ganzen Martyrium der Liebe, denn der alte Weißer, der einer der größten Narren und Tyrannen geworden, hat ein absolutes Veto gegen die Heirath ausgesprochen. Sie warem beide, Emilie und Pfau bei uns, auch Weißer kam und Hermann hat seine ganze Beredtsamkeit aufgewendet, den verrannten Narren zu überzeugen, daß er kein Recht habe seiner Tochter Wohl zu durchkreutzen. Er blieb dabei und muß natürlich die wilde Ehe dulden, wenn er seine Zustimmung zur gesetzmäßigen nicht gibt.

Gegenwärtig ist Pfau in Wien, wohin er Emmi nachkommen lassen will.

Mit Hermanns Gesundheit steht es im Augenblick auch nicht zum besten. Er hat sich überarbeitet und an der Folge dessen ist die alte Nervenkrankheit wieder eingetreten, was mir unsägliche Sorgen und Ängste macht. Erwähne aber nichts, wenn Du ihm oder mir je schreiben solltest. Ich kann ihm keinen Brief von Dir vorenthalten, da er Dich sehr lieb hat und ihn alles was von Dir kommt interessiert.

Das Leiden Deines Onkels berührt Hermann aufs Schmerzlichste. Wie wenig Menschen gibt es, denen das Leben freundlich dahinfließt! Den meisten ist es ein bitterer Kelch! So zwischen zwei kranken Menschen die Dir die theueresten sind, zu leben hast auch Du wenig Lichtblicke zu kosten und mußt in die Vergangenheit, in die rosigen Jugendtage greifen, wenn Du in Deinem Leben Lust und Glück erblikken willst. -

Grüße beide, Mutter und Onkel recht herzlich von mir.

Dich küßt mit alter Liebe und Anhänglichkeit
Deine Marie.


(Anm.: Ludwig Pfau, Herausgeber des satyrischen Blattes "Der Eulen- spiegel" lebte von 1821 - 1894.)

Anm.: "Am 27.11.1874 entschlief der Onkel Dr. Rudolf Kausler, Pfarrer in Kleineislingen nach wiederholtem Schlaganfall," siehe Buocher Hefte Nr. 8 vom April 1988,(Hoppenlau-Friedhof Stgt.) geschwächt.

21. 10. 1873

Meine theure Marie!

Hab noch eine Zeit Geduld. Ich kann Dir jetzt noch nicht ausführlich schreiben. Wenn Heyse fort ist, den ich Montag erwarte, will ichs versuchen. Ich habe so unsäglich durchgemacht, bin noch so gelähmt vom Entsetzen. - ®Isolde ist in einem Zustand des Wahnsinns, alle unsere Sorge dreht sich jetzt um das arme Kind, das gemüthskrank geworden. Denn verzeih, ich kann noch nicht, und es ist zu schmerzlich so viel zu erzählen.

Ich weiß auch, was Du an ihm verloren!

Sei tausendmal gegrüßt aus einem armen großen Herzen! Dein Brief gab mir die wohlthätigen Thränen wieder. Samstag
Deine Marie
Edgar kann nicht schreiben, er ist noch ganz trostlos. Solch einen Vater gibts nicht wieder.

®Hermann starb nicht am Schlag, sondern sein Herz war verfettet und zerplatzte.

o.D.1873

(von Isolde mit Bleist. notiert: "Nach Papas Tod")
Liebe Marie!
Nov. oder Dez.1873
Ich hätte Dir früher geschrieben, aber bis jetzt hatte ich vergeblich auf das Büchlein gewartet, das ich sogleich von Stuttgart erbat. Es war kaum noch zu bekommen und kam in diesem Augenblick an. Da es Euch nicht um den Einband, sondern den Inhalt zu thun ist, so mag ich die Absendung nicht durch das Einbinden verzögern. Gib es Deinem Onkel mit einem warmen Gruß von mir. Dir gehört das Bildchen, das recht ähnlich ist, so sah Hermann in letzter Zeit aus: Immer noch ein bildschöner Mann und hättest Du ihn erst im Sarg gesehen, so würdest Du gestaunt haben über die edlen classisch schönen Züge! Sieh liebe Marie, es vergeht kein Tag, wo ich nicht mein Los pries, diesen Mann zu besitzen, kein Tag an dem ich mir nicht immerfort seine hohen Eigenschaften vorsagte und jetzt, wenn ich denke ich sei stumpf gewesen, erkaltet durch das Glück und den Besitz, erst jetzt kann ich diesen Menschen begreifen. Ich fühle mich jetzt so unwerth ihn besessen zu haben. Daß er auch mir immerdar in seinen Werken lebt, wirst Du Dir selbst sagen, ich ver- schlinge alles von ihm und sein eigener Vers steht mir immer vor Augen:

"Und haben sie mich eingescharrt,
dann theures Wort in Dir sei meine Gegenwart!"
Aber der Mensch ist eben nicht nur Gesicht und Gedanke; er ist auch noch die edle liebe Erscheinung, öffnen sich die sehr müden Arme, seine Stimme möchte das Ohr noch einmal erlauschen und die Augen möchten in diese prächtigen glänzenden blauen Sterne blicken! Oh, es ist alles aus! Der Schmerz durchwühlt mich. Wie wär es aber erst, wenn mir nicht Heyse tröstend zur Seite stünde! Er hat mir die Correktur zur Biographie für den Novellenschatz geschickt, eine größere soll den gesammelten Werken, die er herausgeben wird voranstehen - darin er ihn als Dichter und Mensch schildern - die eigentliche Biographie der Jugend, dies wird ein Jugendfreund übernehmen, schreibt er mir gestern. Wo ist dieser Jugendfreund? Der einzige, der ihm ebenbürtig gewesen sei, das wäre Dein Onkel und der liegt selbst als ein Kranker auf dem Krankenlager. Keller ist zu steif und zu moralisch geworden, der kann es nicht, und sonst sind sie alle todt! Wenn Du Heyses Briefe über Hermann lesen willst, so darfst Du es mir nur einmal schreiben. Wie dauerst Du mich, armes Herz, in der doppelten Krankenpflege. Dir ist ein hartes schweres Loos zugefallen. Denk ich an Dich - so verstummt meine Klage. Isoldes Zustand ist noch nicht viel besser. Das Vermissen ist zu schmerzlich, wir könnens nicht verwinden. ®C. Mayer schickte mir heute ein langes Gedicht an Hermann. Hast Du die ®Rede am Grabe gelesen? Ich nahm Anstand sie Dir zu schicken. Oh welch ein Trost wäre mir jetzt Dein Besuch. Daß wir uns jetzt so ferne sein müssen! Meine besten Wünsche sind bei Dir, ich küsse Dich von Herzen
Deine Marie
®Heinrich Mohr war auch wieder bei uns. ®Heyse sagte mir, daß er jetzt wegen dem schweren Schluß recht in Nöthen sei. Es sollte eine kleine Änderung damit vorgenommen werden, das hätte aber höchstens Hermann thun dürfen. Bei Deinem Onkel wird man von so etwas noch gar nicht sprechen dürfen.
Dienstag

Dienstag, o. D. 1873

Liebe Marie!

Kannst Du mir einige Notizen von Hermanns Aufenthalt in Winnenden und in Buoch geben? In welchen Jahren war er dort, mit wem zusammen, was schrieb er dort? (Anm.) Ich soll einen Lebensabriß von ihm schreiben und alles ist doch wie ausgebrannt in meinem Hirn. Nie hätte ich gedacht, daß man solches überleben kann, daß der Schmerz so in einem wüthen kann ohne die Lebenskraft zu brechen. Ich werde fortleben, ein elendes Dasein das ich meinen Kindern noch schuldig bin, aber nie wird der Wehschrei meines Herzens verstummen! Am wohlsten ist mir immer noch wenn ich den Schmerz toben lassen darf. Aber das darf ich nicht, weil ich meine arme verzweifelte ®Isolde trösten muß. Ihr Zustand wird immer schlimmer statt besser, sie schläft nicht, sie ißt nicht, sie hat Fieber und sie magert fürchterlich ab. Ich sehne mich darum aufs Ungeduldigste auf ®Heyse, der allein kann sie vielleicht dem Leben wieder geben. Daß er noch nicht bei uns ist, ist ein Zeichen, daß er wieder kränker ist, denn in seinem letzten Brief hat er sein Erscheinen auf Montag festgesetzt.-

Ich schrieb Dir ja diesen Sommer schon von Hermanns Nervenaufregung, die mich oft mit langer Ahnung eines balden Todes, einer Aufzehrung seiner Lebensgeister erfüllte. Als aber Ende Juli, Anfang August die Reizbarkeit nachließ und eine Beruhigung eintrat, die freilich mehr nur von Schwäche zeugte, faßte ich wieder allen Muth. Er litt oft, wie er meinte an Rheumatismus auf der Brust, die mich aber gar nicht erschreckten, hie und da klagte er über Stiche auf dem Herz, aber auch diese hielten wir für herumziehenden Rheumatismus. Von Mittwoch auf Donnerstag Nacht bekam er heftiges Erbrechen und furchtbare Magenkrämpfe, sie währten die ganze Nacht, morgens wurde der Arzt durch Auflegen von Kataplasmen Herr darüber. Nun stellten sich aber Athmungsbeschwerden ein, jeder Athemzug that ihm weh, auch dies hielt er für Rheumatismus und der Doktor selbst nahm es auch nicht für bedeutend, da der Puls ganz normal war. Gegen Abend steigerten sich die Schmerzen bei Athmen, doch verschaffte ihm eine Morphiumeinspritzung, eine völlig schmerzlose sehr angenehme Nacht, er sprach immer von einem nicht zu beschreibendem Wohlbehagen. Freitag nachmittag stand er auf, mußte aber sich plötzlich wieder legen, da die Schmerzen zurückkehrten, er bekam Schüttelfrost, doch gab sich auch das wieder, er athmete leicht und schmerzlos und sagte zum Arzt: "So jetzt streichen sie mich aber von ihrer Sorgenliste- und der Doktor sagte mir, jetzt sei alles gut und ich solle mich doch ganz beruhigen. Ich schickte die Kinder spazieren, ging selbst fort, da er schlafen wollte. Nach einer Stunde sah ich wieder nach ihm. Er klagte über Athmungsbeschwerden, ich gehe die Treppe herunter um Josephine zu sagen, sie solle einen Senfteig richten und will gleich wieder hinauf, aber schon auf der Treppe höre ich fürchterliche Töne, beim Eintreten sehe ich seine Augen rollen, ein füchterlicher Krampf hatte ihn gepackt, ich fliege hinab, lege ihm den Senf auf, lasse Josephine bei ihm und springe zum Arzt - in welchem Zustand kannst Du Dir denken. Ich finde ihn endlich und breche auf der Treppe bewußtlos zusammen. Es war schon alles vorrüber, auf Josephines Schulter hatte er den letzten Athemzug gethan, ganz leicht und feierlich.

Als die Kinder zurückkamen fanden sie einen todten Vater. Alles übrige denke Dir selbst. Die einzige schmerzliche Freude, die uns bleibt, ist in seinen Werken zu leben, von ihm zu reden, an dem Glanze seines Namens uns zu sonnen. Aber es ist ein armseliger Trost für den Verlust eines so edlen herrlichen Menschen.
Deine Marie
Die Sektion ergab, daß das Herz verfettet und die Wände zu dünn waren, auch war es zu klein, um genügend einen so großen Körper versehen zu können. Im Gehirn fand man eine chronische Entzündung und die Hirnhäute belegt. Das sei das Hirn, sagte Prof. Schlegel.

31. 12. 1873

ohne Anrede

Mit schmerzlicher Theilnahme bin ich bei Dir, Du arme Marie und sehe Dich von einem Krankenlager zum andern gehen. Auch mir war nur beschieden vom Sarge des Geliebten ans Krankenbett der Kindes zu eilen. Die ganze Zeit her war der arme Knabe immer krank; mit welchem zusammengeschnürten Herzen ich das Kind hinsiechen sehe kannst Du ahnen, wenn Du selbst auch nie Mutterschmerzen gekannt hast. Jetzt gehts wieder etwas besser und ich hoffe wieder. Es vergeht kein Tag ohne daß ich an Dich und Deine Lieben denke. Durch Hermanns Tod ist mir sein ältester Freund, Dein Onkel so nahe gerückt. Wenn ich jetzt mit ihm verkehren könnte, ihn erzählen lassen könnte, es wäre ein schmerzlich süßer Genuß! Und auch Dich möchte ich so vieles fragen, aber am Krankenbett Deiner Mutter darf ich nicht mit solchen Fragen kommen. Es ist mir immer als gehöre der Rest unseres Lebens zusammen. Mit Dir leben möchte ich in Zukunft. Ich habe inzwischen mit dem geliebten Freund viel gelitten, seine Schmerzen getheilt wie er die meinigen theilt und täglich zu lindern sucht. Denke, es vergeht kaum ein Tag, ohne daß ®Heyse an mich oder an Isolde schreibt. Aber höre, was er durchge- macht. ®Seine Schwiegermutter, mit der er früher in zärtlichstem engsten Verhältniß war, die die Vertraute seines prächtigen Schaffens war, hat sich aus Verzweiflung über das vermeintliche Tun ihres ältesten Sohnes vergiftet, nachdem derselbe infolge eines Rückenmarkleidens sich mit Mophium vergiftet hatte. Frau Clara sieht den Liebling "todt" hingestreckt und greift nach dem Morphiumpulver und zwar in solcher Menge, daß sie sogleich wirkten. Den Tag darauf kommt der Sohn wieder zu sich und nun folgten entsetzliche Scenen, vier vergebliche Tödtungsversuche - bis er sich endlich erhängte. Unter solchen Schaudern brachte der theure Freund seine Zeit zu.

Beifolgendes Bild gehört Deinem Onkel und Dir gemeinsam. Ich weiß, Du wirst es in Ehren halten. Ich bin geizig mit diesen Bildern und nur den Nächsten gönne ich sie.

O, es ist entsetzlich schwer fortzuleben, wenn einem das Liebste entrissen wude! Wie schrecklich war dieses Jahr und was wird Dir und mir das folgende bringen?

Mit tausend Grüßen und treuer Liebe
Deine Marie
Sylvesterabend 1873

5. Februar 1874

(auch Kopie)
Meine liebe arme Marie!

Wenn ich Dir erst jetzt mein tiefes Mitgefühl an Deiner Mutter Tod ausspreche, so ahnst Du wohl selbst, daß nur eigener Jammer, eigene Angst und Sorge mich abgehalten haben. Immer ist es mein unglück- licher armer Balde, der mich nicht zur Ruhe kommen läßt und dessen Zustand für mich ein ewiges Hoffen und Fürchten ist. Fühlt er sich nur acht Tage wieder leidlich, so hoffe ich auf seine Jugend und seine Entwicklungszeit. Dann aber liegt er wieder vier bis fünf Wochen. Fieberanfälle, Gliederweh, alles mögliche zeigt sich und ich mache das Jammervolle schon im Vorraus durch! Erst jetzt ist er wieder von so einem heftigen Fieber erstanden, heute zum ersten mal auf. Nun bekommt er schon wieder Drüsen und einen geschwollenen Hals. Oh, mein Leben ist jammervoll, doch auch das Deine nicht minder! Und im Hinblick auf Dich sollte ich nicht klagen. Der Schmerz um den geliebten Todten wird nie ruhiger werden, im Ge- gentheil, er rührt. Oft meine ich jetzt könne ich Ihn nicht mehr entbehren, ich sehe das geliebte Bild wachend und träumend, ich meine, ich müsse die Hand ausstrecken um ihn zu halten! Wir leben ein trauriges einsames Leben! Auch die Kinder können den Schmerz nicht verwinden. Aber ein solcher Vater war freilich auch diesen Todtenkultus wert! Die einzige Linderung, die ich noch fühlen kann, ist der Umgang mit Menschen, die ihn liebten und gut zu würdigen wußten. Ich habe mich trotz alles Ceremoniells nur mit Keller näher befreundet. Was wäre mir Dein Onkel! Ich bange zu hören wie es ihm geht und wie Dir, Du Ärmste?

Edgar und Erwin haben in Stuttgart ®Mörike besucht. Er war sehr freundlich gegen sie und sehr ergriffen über Hermanns Tod. Sieh, es ist mir oft so unfaßlich, daß er todt sein soll; in der Vollkraft der Jahre, was hätte er noch schaffen können und wie viele Freude noch an seinen Kindern erleben. Ich glaube nicht, daß ich mich je wieder aufraffen kann, meine Denkkraft ist gelähmt. Es ist in meinem Kopfe wie verstört. Ich hätte der Freundeshand, die mich stützte, so nöthig und bin schauerlich allein.- Der ferne Freund in München ist mir nur eine Quelle unsäglicher Angst, denn die Cholera greift immer mehr um sich, und er will nicht weichen, weil seine Frau leidend ist. Was würde, wenn auch er stürbe, aus meinen Kindern! Gottlob, daß Hermann niemals das Übermaß von Herzeleid spürte, das über mich gekommen.- Ich schreibe Dir vom Bett aus, deßhalb mit Bleistift. Ich bin seit längerer Zeit unwohl als Folge von der ausgestandenen Angst. Möchtest Du Deinen Muth besser zusammen halten können als ich. Ich grüße Dich und Deinen Onkel mit treuer Liebe und Anhänglichkeit.

Donnerstag
Deine Marie

1. 4. 1874

(betr. Grab in Tübg.)
Liebe theure Marie!

In Gedanken bin ich immer bei Dir, aber trotz der größten Sehnsucht komme ich nicht immer zum Schreiben! Ich habe so viel Ablenkendes und Beunruhigendes durchzumachen, so daß ich immer wieder von einer Angst in die andere hineingezogen werde.- Zuerst handelte es sich darum, ob ®Alfred nicht gleich nach dem Examen seine Militärlaufbahn abdienen solle, es war ein langer Kampf, aber ich konnte mich nicht entschließen ihn von mir zu lassen und so ists jetzt aufgeschoben. Nach der Vakanz wird er als Mediziner immatrikuliert. Daß Edgar mitten im Staatsexamen ist, wirst Du wissen, es geht bis jetzt alles gut. Heute aber steht er in Stgt. im Kasernenhof bei der allg. Musterung. Er war zwar noch auf einige Jahre zurückgestellt, die Klugheit entschied aber sich jetzt zu stellen, da sein Fuß von seiner Kniegelenksentzündung her noch sehr schwach ist und sich auch die Knochen verschoben haben. Ein Stabsarzt, den er vorher besuchte sagte ihm, daß er absolut frei sei, er möge die Untersuchung beschleunigen. Trotz aller Zusicherung harre ich nun aber doch in einer qualvollen Angst.

Im Laufe des Sommers muß er nach Prag reisen, das folgende Jahr findet er hier eine Anstellung als Assistenzarzt. Er hat ge..., wie noch kein Student vor ihm. Seine Gesundheit aber ist äußerst zart. Er sieht sehr mager und angegriffen aus und ist nervös wie sein Vater, gleicht ihm in seinem ganzen Wesen und allen Eigenheiten wie ein Ei dem andern, das kettet mich noch fester an ihn. ®Robert Tafel erzählte mir von Dir, daß Du noch so jugendlich seist trotz allem Elend und allem Kummer die alte Elastizität Dir erhalten habest, und so blitzts auch aus Deinen Briefen hervor. Ich erfrische mich nicht mehr an meiner Kinder Dasein, ich liebe sie mit jener verzweifelten ®Angst, die keine Freude aufkommen läßt, denn entweder tritt mir ihr frühzeitiger Tod vor die Seele, die Höllenqual noch einmal ein Heißgeliebtes sterben zu sehen, oder beklage ichs für sie, daß ich sie in dieses elende Dasein hereingesetzt. Leider hat die Schopenhauerische Ansicht bei mir die Oberhand gewonnen. -

Isolde ist wieder leidend, doch ist ihre Stimmung etwas muthiger, die Jugend macht eben doch ihr Recht schließlich wieder geltend. Sie war erst kürzlich mit ®Heyse in Stuttgart zusammen, wohin er sie bestellte. ®Mörike besuchte sie auch und zeigte eine so innige Liebe zu Hermann, daß es mich tief ergriff. Es ist ein großes Glück, daß Heyse sich so lieb und ernst für Isolde interessiert und sich ihrer literarischen Arbeiten annimmt. Sie bekommt so viel für ihren ital. Roman, daß sie ihren höchsten Wunsch befriedigen und ein prächiges ®Denkmal auf ihres Vaters Grab setzen lassen kann. Wir beabsichtigen eine lebensgroße trauernde Muse, die sich auf eine Urne beugt. Wie gern möcht ich auch mit Dir über diese Dinge reden!

Mit unserem armen Freund Gotthold ®Knapp sind wir auch wieder zusammmen getroffen. Der unglückliche Mensch ist kränker als je. Es ist jammerschade für seine weiche geistige Anlage und seinen naiven Kindercharkter. Er dauert mich in tiefster Seele, aber ich kann ihm keine dauernde Hilfe und Trost gewähren. So wie er mir schrieb war er bei Euch, wenn er nur Deinem Onkel nicht lästig fiel! Hat er Dir von Isolde vorgeschwärmt, seiner "Pallas Athene", wie er sie nennt? Im Laufe dieses Monats muß ich mit Erwin nach Lindau zu Bareiß, der mir die Einwanderung Erwins in die Schweiz besorgt. Ihn konnte ich gerade noch vor der milit. Mörder- und Zwangsjacke retten, und da er Maler und Bildhauer wird, ist sein Leben nicht an Deutschland gekettet, zudem hab ich die Zusicherung, daß man ihn unangefochten in Tübingen lasse. Er hat schon zwei recht gute Büsten, die eine von Balde die andere von seinem Onkel modelliert. Wenn es möglich ist und die Züge ineinander klappen, so daß ich bis abends in Lindau sein kann, möchte ich Euch von einem Zuge bis zum andern besuchen. Ich würde dann mit dem fünf Uhr Zug morgens hier abreisen, doch muß ichs noch mit Prof. Keller ausmachen lassen ob es geht, und von Dir muß ich hören ob ein derartiger kurzer Besuch Deinen armen Kranken nicht zu sehr aufregt, ob er im Stand und in der Stimmung ist, mich zu sehen. Mir ist er als Hermanns ältester und liebster Freund wie ein theures Vermächtniß des Todten. Wie sich er Deinem Onkel gestellt, welche Macht er auf ihn ausgeübt, das läßt sich am besten im "Wirthshaus gegenüber" in der Person Heuwalds herauslesen. Ja, es war eine andere Zeit, die Jugendzeit dieser Männer und diese Zeit prägten andere Geister als das heutige Epigonengeschlecht! Ach, daß Ihr hieherzöget, aber Keller sagt mir, Dein Onkel hege eine Antipathie an Tübingen.

Wie gehts Deinem Bruder? Wird endlich Ruhe in sein Leben kehren? Wir lesen bereits die Correkturen von Hermanns gesammelten Werken und schreiben die Gedichte ab, um die werthvollen Inhalts heraus- behalten zu können. Wie michs freuen wird seinen Briefwechsel mit Dir zu lesen, die Briefe an die "Dortigen", das kannst Du Dir denken! Mich in seine Vergangenheit zu senken, sein Bild in allen seinen Phasen seines Lebens festzuhalten, ist noch mein einziges schmerzliches Glück. Im Alter verwindet man einen solchen Jammer nicht mehr.

Ich grüße und küsse Dich mit innigster Liebe
Deine Marie

3. 4. 1874

Liebe Marie!

Ich schreibe Dir umgehend wieder, theils weil es mich zu Dir drängt, theils weil ich meine unendliche Angst über Edgars völliges Verstummen, übertönen will. Wenn sie ihn am Ende doch, trotz aller Versicherungen der Ärzte behalten hätten, der Gedanke macht mich toll!-

Du thust mir sehr unrecht, wenn Du glaubst, ich wolle den armen Knapp seinen Gott rauben. Es scheint, daß er sich bei Euch anders gibt, oder besser daß eine andere Seite seines Wesens hervorbricht, denn nicht die Wahrheit und Aufrichtigkeit selbst sondern seinen Teufel und seine Hölle und seinen Glauben, daß er der verruchteste Mensch unter der Sonne sei, diese feige Idee versuchte ich ihm zu nehmen. Er stellt in einer Viertelstunde so einen ganzen, krassen Höllenkram auf, in der andern ist er Philo- soph, der mit allen Systemen von Plato bis Kant wieder alles zer- legt und seine vorige Ansicht mit Spott überzieht, dann sagt er plötzlich, es könne aber der Teufel sein, der ihm diese Ketzererei eingebe. Wenn Du ihn sähest wie er bei uns ist, würdest Du an seiner völligen Krankheit nicht zweifeln. Meine eigene Ansicht ist nichts weniger als so total radikal wie Du meinst. Ich weiß gar nichts mit Bestimmtheit, als daß wir alle nichts wissen, daß ich Befriedigung in den kosmischen Vorgängen der Materie finden könnte, oder daß ich mit Bestimmtheit sagte, die uns sichtbaren und von der Wissenschaft in ihren Anfängen und Entwicklungen geprägte Welt, ist die einzige, davon bin ich gerade so weit entfernt, wie vom Glauben an einem persönlichen Gott, wie ihn die Religionen der Völker lehren. Und da schrieb ich gerade an Knapp, denn, wenn sich die Welt in den leichtesten Urnebeln aufgelöst habe, so ist dieser Urnebel mit seinen Stoffen und seiner unendlichen Kraft vorhanden, warum diese da ist, darüber kann Philosophie und Naturwissenschaft keine Rechenschaft geben. Da sich aus Stoff nun einmal Geist entwickeln kann, wie die Bewohner der Erde bezeugen, so ist es jedenfalls erwiesen, daß Geist und Denkkraft in ihr enthalten ist, daß wir, die Menschen dieser und anderer Welten aber bloß den einzigen Träger des Gedankens sein sollten, kann ich leider nicht mit Bestimmtheit sagen, da ich aber mit vollständiger Klarheit weiß, daß unsere Organe zu beschränkt sind um mehr begreifen zu können, so gibt es für meinen Kopf nichts Gewisses als den Zweifel. Mein Herz freilich sehnt sich so heiß, so gewalthig, so überströmend wie vielleicht das Deinige nach einem ewigen Unverlorensein!

Wenn ich auch in mir den Gottesglauben nie fest esuplimieren kann, nie greife ich ihn bei anderen an. Aber mit den Ausgeburten des Dogmas, die schwache Geister schrecken, mache ich einen unerbitt- lichen Krieg. Ich sagte im Gegentheil zu Knapp, er solle nur fest- halten an einer allgegenwärthigen Gottheit, die schließlich in Hermann das traurige Erdenleben auflöse, aber er solle sich nicht niedriger denken als die ersten besten Menschen, denn wenn ®wir schon zum Nächsten eine aufopferungsvolle Liebe besitzen können, wie erst ein gütiger und allgewaltiger Gott, dem ein Teufel und ewige Strafen entgegen stehen denken können. Leider kann aber den guten Menschen nichts mehr halten, denn wenn die feinen Hirnhäutchen getrübt sind, so ist es mit der Klarheit des Denkens vorbei-

Er kann oft ganz gesund scheinen, dann hält er sich plötzlich die Hand an die Stirn und die Gedanken verwirren sich. Die Gedichte, die er an Isolde macht, gleichen oft völlig denen von Hölderlin aus seiner kranken Zeit. Aber der arme Mensch liegt mir sehr am Herzen und doch gebietet mir die Sorge um ihn, unser Ver- hältnis zu ihm nicht allzu innig werden zu lassen, da er sich sonst in seiner Liebe zu Isolde verrennt. Isolde selbst ist zu jung und zu unerfahren, um ihn behandeln zu können und ihn mit freundlichen liebevollen Worten in die Schranken der Freundschaft zurückzuholen. Er kann plötzlich zu ihr sagen: "Frl Isolde, mit Ihnen möchte ich durch die Hölle tanzen." Sie zwingt sich dann zu einem Scherz, daß sie lieder in den Himmel als in die Hölle wolle aber innerlich fürchtet sie sich aber und verschwindet möglichst viel. Ich thue dann mein Möglichstes dieses liebesbedürftige Wesen durch Herzlich- keit zu entschuldigen. Laß ihn ja nicht zu oft zu Deinem Onkel, es könnte ihm schaden. Betrachte ihn genauer und bring einmal die Sprache auf seine Skrupel, dann wirst Du wissen, woran Du bist.

Heirich ®Mohr war vorgestern auch wieder einmal bei uns. Wir sprechen auch viel über jene transzendentalen Dinge."

8. April

Eine lange Pause entstand. Ich war nicht mehr fähig weiterzuschreiben.

Edgar konnte nicht mehr bei jenem Regiment ankommen, dessen Arzt ihn für absolut frei erklärt hatte und mußte sich beim 7ten Regiment mustern lassen. Hier war ein blutjunger unerfahrener Mensch Regimentsarzt und der erklärte ihm, er wäre absolut frei, wenn er nicht Mediziner wäre, aber es fehle an Medizinern und trotz seines Leidens könne man ihn nicht frei geben, blos auf ein paar Jahre zurückstellen. Der Oberst wollte ihn frei lassen und der dumme Mensch, die jungen sind immer die ärgsten (ob das bei den Theologen auch der Fall ist) versichterte in ein paar Jahren sie der Knie schon so weit, daß er exerzieren könne. Ich war nun ein paar Tage ganz fassungslos! Ich werde jetzt aber alles aufbieten zu meinem Zweck zu gelangen - aber dieses neue Kämpfen und Ringen mit einem so todtmüden Herzen ist mir entsetzlich! - Aber entsetzlicher noch der Gedanke, daß mein theurer Liebling Soldat sein müßte. Es handelt sich hier nicht bloß um einen Körperschaden. Edgar hasst und verabscheut dieses neue Reich mit der ganzen Feuerglut seiner junge Seele.

Und Du kannst glauben, daß das junge Leben, das ich nun so aufblühen sehe, mich ... könnte. Was seh ich denn für meine armen Kinder vorraus als Jammer und Elend?- Andrerseits ist eben der Naturtrieb, daß ich mich für sie ans Leben anklammre - das thun sogar die Frauen, auch wenn sie tausend heuchlerische selbsttrügerische Reden im Munde führen!

Freilich ist auch mir Hermann nicht ganz todt, weil mir seine Schöpfungen geblieben sind und weil sein heißgeliebtes Bild in meiner Erinnerung lebt. Aber nur an der herrlichen Erscheinung haftete das Glück und der Besitz. Ich glaub an keinen Geist der sich von der Materie trennen kann, denn der Geist ist doch nur die feinste Entwicklung der Materie, möglich daß sich eine Art Extrakt aus dem Menschenkörper rüberentwickelt, aber dieses ®möglich gibt meinem Schmerze keinen Balsam: "Von ®dieser Erde stammen meine Leiden." Aber auch ich hege diesen Schmerz wie einen heiligen Todtenkultus und ich gebe ihn nicht her für einen vollen Trunk aus Lethes Fluten. Mit einer Art Grauen denk ich daran, daß die Zeit die Farben der Erinnerung verblassen könntedie Zeit, von der Hermann sang:
"Die Zeit, vor der sich Eiche beugt und Leder Raubt selbst des Grames schmerzlichen Gewinn."

Ich schickt Dir hier einen Heyse. Die "Terzianen an seine Kinder" sind das beste und schönste unter seinen Gedichten, aber ich glaube nicht, daß Du dich ganz davon angesprochen fühlen wirst.

Was macht Dein armer Kranker? Hat der Schwindel wieder aufgehört. Ich bin immer voll banger Sorge. Meine Reise wird sich wahrschein- lich noch verschieben, sollte ich aber schnell abreisen müssen, so telgraphiere ich Dir. Keller läßt Deinen Onkel tausendmal grüßen. Auch er beabsichtigt ihn zu besuchen, doch ist seine Gesundheit selbst sehr delikat und er muß besser Wetter haben. Der Nekrolog für Onkel Eduard sei längst geschrieben, er wisse nicht, weßhalb sie ihn nicht brächten. Zieht ihr denn fort? Läßt sich Dein Onkel pensionieren?

Wir haben schon viele Correkturen von den gesammelten Werken gele- sen, das ist allemal eine süße Täuschung als lebte er noch, wenn diese Correkturen ankommen.

Lebe wohl, meine Leidensschwester, und doch bist Du reicher wie ich, da Du noch mehr Lebenskraft und Lebensmuth besitzest.

Mit treuer Liebe
Deine Marie.
Ich sehne mich unaussprechlich Deinen Onkel zu sehen, mir ists, "als wärs ein Stück von Ihm."

Isolde ist sehr leidend und macht mir auch quälende Sorge.

26. Juli 1874

[Seite 245 fehlt nicht auf Festplatte]

Endlich ging das lange Examen Edgars (nach preußischer Art) zu Ende. Er bestand es sehr gut, doktorierte und reiste die letzte Woche nach Prag ab, wo er ein Vierteljahr im dortigen Gebärhaus zu bleiben hat... Bei Balde war es auch die höchste Zeit für eine Luftkur im Schwarzwald und so drängte sich nun alles zusammen. Nachdem ich noch einen sehr werthvollen Nachmittag mit Mörike zu- sammen war, der in Bebenhausen einige Zeit zubrachte und der mir tausend theilnehmende Grüße an Deinen Onkel aufgetragen, fuhr ich mit Balde nach Calw zu Hopfs, um den ganzen Tag im Tannenwald zu liegen. Hier suche ich alle Spuren auf, wo ich vor 22 Jahren mit Hermann eine Flußreise gemacht, und morgen will ich nach Liebenzell fahren, um die dorterlebte Zeit wieder im Geiste durchzuleben. Mörike sandte uns einen ganzen Pack Briefe von Hermann hierher... Isolde ist leider auch immer wieder leidend. Von Knapps neuer schlimmer Erkrankung wußten wir nichts. Er soll übrigens bereits wieder in Erlangen sein. Wenn er nur nicht wieder zu uns kommt. Ich fürchte immer eine Katastrophe. Du glaubst nicht wie furchtbar leidenschaftlich er ist wenn er Isolde sieht. Er bildet sich auch ein, er sei mit ihr verlobt und sagt so zu allen seinen Freunden.

Ixh bleib noch längere Zeit hier. Leb tausensmal wohl, liebe herz. Ich bin unfähig, Dir mehr zu scheiben, da ich keine Ruhe gehabt habe und küsse Dich in Gedanken mit treuer Liebe
Deine Marie

24. November 1874

o.D.
(M. C. b.Dr.K. Hauptstätterstr. 60 Stgt.)
Tübingen, Dienstag abend
Meine theure geliebte Marie!

Wie gern wär ich gekommen, wenn nicht mein Kind, mein armes jüngstes Kind den Herbst über immer leidend und dazu Isolde in Wien und München gewesen wäre. In letzter Zeit hatte mich die täglich erscheinende Correktur von Hermanns Werken so gefesselt, dazu ein Kampf mit Heyse und Hertz, da Letzterer Hermanns "Tristan" umdichten will, daß ich nichts schreiben konnte. Gedacht an Dich und den theuren Freund habe ich täglich und meine Stuttgarter Bekannten beauftragt mir zu schreiben ob Du dort seist. Nun kann ich nicht länger zögern. Trotzdem daß Balde in einem so beunruhigenden Zustand ist, komme ich morgen oder übermorgen. Der Schmerz schreit in mir auf! Als ich Deinen Brief erhielt, schrieb ich gerade Hermanns Briefe an Mörike ab, da heißt es: "Mein Freund heißt Rudolph Kausler und ist Ihr Anhänger weil ich ihn kenne und ich darf Sie wohl von ihm grüßen." Du weißt gar nicht mit welcher Pietät ich an Deinem Onkel hänge, wenn ich auch nicht gekommen bin, weil die Mutterangst eben ein noch leidenschaftlicheres Gefühl ist. Aber ich komme, ich kommme, wenn die Nacht bei Balde ordentlich herum geht, (er hat schon lange keine gute Nacht mehr gehabt,) so reiß ich mich los und haben wir keine ®guten Stunden, so will ich ein paar traurige mit Euch zubringen. Liebe, liebe Marie, Du bist meinem Herzen so nah und ich kann es Dir, im eigenen Jammer versunken, nicht zeigen wie ich möchte. Lebe wohl und bleibe stark, Du muthiges Herz, ich bewundere und ich liebe Dich
Deine Marie
Ich war soeben bei Keller, er läßt Dir sagen, daß er sich längst vorgenommen zu kommen, aber selbst so leidend sei, daß er keinen auch nicht einem seiner Collegen helfen könne!

" Oh, das Ende ist so trübe." -

4. Dezember 1874

Liebe Marie!

Heute ist es acht Tage, daß Dein theurer Onkel starb. Das Schreck- liche, das wir zusammen durchgemacht, hat sich mir so in die Seele festgesetzt, daß ich noch immer seine entsetzlichen Töne zu hören meine. Natürlich hat auch die alte Wunde wieder heftig geblutet. Ich hätte mich längst nach Dir erkundigt, wenn mich nicht Dr. Mühlbergers Besuch, der einige Tage bei uns war, daran gehindert hätte. Von ihm erfuhr ich auch, daß es ein Nierenleiden war, die sogenannte "Brightische Krankheit", die der arme Dulder durchmachen mußte. Jetzt wird bei Dir die erste wohlthätige Betäubung gewichen sein und die Sehnsucht ihre Rechte geltend machen. Es kann Dir niemand helfen, wie auch mir niemand einen Trost geben konnte.
"Trotz allen Freundestrost und Mitgefühlsgebärden,
bleibt jeder tiefe Schmerz ein Eremit auf Erden".

Wenn Du kannst, so laß von Dir hören, wie sich Deine Verhältnisse machen, ob Du Dich heimisch fühlst, und wie Du Dein Leben einzurichten gedenkst. Keller hat schmerzlichen Antheil genommen, ich mußte ein paar Stunden bei ihm bleiben, auch Heyse schrieb mir aufs Theilnehmenste. Schreibe nur auch übers Begräbniß und ob keiner der alten Freunde, die sonst so viel bei ihm waren, die Sprache gefun- den an seinem Grab und seiner hohen Geistesgaben gedacht. -

®Tafels Tod ist zu beneiden. So schmerzlos und sanft und unbewußt hinüberzuschlummern, das ist das größte Glück für die Hinterblie- benen und für den Betreffenden. Da ist der Tod kein Gerippe, sondern ein schöner Genius mit einer gesenkten Fackel.

Isolde läßt Dich herzlichst grüßen, sie freut sich sehr auf Dich. Du wirst junge Herzen bei mir finden die Dich lieben. Edgar ist noch in Herrenalb.

Lebe so wohl als es möglich ist, grüße Deine Tante und Amalie und sei aufs Wärmste umarmt von
Deiner Marie

15. 12. 1874

Geliebte Marie!

Dein Brief hat mich in die tiefsten Tiefen der Seele eingeschitten, Du armes Herz! Ich fühle Dir alles so schmerzlich nach was Du fühlst und möchte Dir mit meiner Liebe den furchtbaren Schmerz von der Seele wegküssen. Auch ich habe geglaubt, daß ich durch den rasenden Jammer stumpf sei, aber wenn ich jetzt Dein Leid miter. sehe, so fühle ich doch, daß mir auch noch die liebeswarme Theilnahme für eines andern Weh geblieben ist. Glaube auch nicht, daß Du die geistige Welt, mit der Du mit ihm gelebt, verloren, erkenne fest, sie ist in Dir, Du wirst sie festhalten, wie auch ich sie festhalten darf. Ich mache Dir jetzt geschwind einen Vorschlag: Schaffe Deines Onkels Sachen, die Du retten willst (wie man da auch nur ein Stück verkaufen wollen kann, ist mir unbegreiflich,) zu Tafels und komme ohne zu zögern zu uns, sobald als möglich. Die Feiertage mußt Du jedenfalls bei uns zubringen. Ich habe einen doppelten Grund weßhalb ich zur Eile antreibe; nach Neujahr bekomme ich Besuche, Bertha Wilhelmi (Hedwigs Tochter) und noch andere mehr. Bist Du da, so kann ich den andern sagen, sie sollen ihren Besuche nachholen. Sind sie aber vorher da, so wäre Dir der Aufenthalt, selbst wenn hinlänglich Platz im Hause wäre, nicht mehr so still und Deiner Stimmung anpassend. Komm also sobald Du es möglich machen kannst. Wer sollte auch jetzt besser zusammen passen als wir zwei, die in gleichem Schmerz vereinigt. Bringe mir Hermanns Briefe mit, sonst habe ich keinen Wunsch. Ich möchte auch nicht, daß Du etwas von Deinem Onkel hergibst, da jeder Gegenstand, den ein geliebter Todter berührte, zur Relique wird.

Das thut mir schmerzlich weh, daß auch nicht Einer der befugt gewesen wäre, am Grabe die Bedeutung des Mannes hervorhob, den sie da hinunter scharrten. Wie wohl muß Frau Tafel die allgemeine Trauer thun, denn wenn man nichts mehr hat, so hält sich Ehrgeiz, man verlangt das als letzten Tribut für den Todten, als ob ers noch fühlen müsse.

Mein Freund ®Vollmer interessierte sich aufs Lebhafteste für das Waldfegerlein. Ob Du später oder bälder mit ihm zusammen triffst, Du wirst einen Freund an ihm gewinnen, und einen geistig reich be- gabten, mit dem Du von Onkel Rudolph, der ihm schon als Hermanns ältesten Freund nicht ferne steht und nicht fremd ist, sprechen kannst.

Ich kann Dir heute nicht länger schreiben nur noch einmal die Bitte: Pack zusammen so schnell Du kannst und komme. Du kannst gewiß die Bücher in Sicherheit bringen. Es umarmt Dich in treuester Liebe und erwartet Dich
Deine Marie
(Anm.: Marie Caspart war ja die Haushälterin des Onkels und ledigen Pfarrers Rudolf Kausler, 1811 - 1874.

Im Buch "Stifsköpfe" von Ernst Müller steht u.a.:

..."Auch Kausler gab, als hervorragender Kenner fremder Literatur und Stiftsbibliothekar zu großen Hoffnungen Anlaß, mußte sich aber, da eine Privatdozentur mißlang, in die Stille des Pfarr- hauses zurückziehen. Hermann Fischer urteilt: "Wer Kausler gekannt hat, wird auch von ihm rühmen, daß er mehr war, als was er leistete, er ist eines der stärksten Beispiele für die leidige Tatsache, wie viel Talent bei uns der Welt ver- loren geht."

Auch in dem Buch: "Eislingen, Stadt an der Fils" 1968 von Stadtarchivar Reiner Weiler und Manfred Ackermann sind Kausler 10 Seiten gewidmet, einschließlich Gedichten und aus dem Briefwechsel zwischen Mörike und Kausler. (UB Tübg.) Seine letzte Dienststelle war ja die Lutherkirche in Klein- eislingen, die er gegen die geliebte Dorfpfarrei Stötten bei Geislingen, um näher bei den Stgt.u.s.alten Schwestern zu sein vertauschte. Begraben liegt Kausler auf dem Hoppenlaufried- hof in Stuttgart, wo zwar sein Grabstein noch vorhanden, aber nicht mehr lesbar ist.

Im DLA sind folgende Stücke: Manuskript der Dichtung "Akantius und Cydippe" (Liebesapfel), Manuskr. des Dramas "Ein Kaiserhaus", 11 Briefe an Hermann Kurz, 23 Briefe an Auerbach, 16 Briefe an Karl Klüpfel, Br. a.d. Morgenblatt und an Strauß.

Dazu ®erhaltene Briefe von Mörike, Kurz, Auerbach und Julius Günthert und gedruckt eine philosophische Abhandlung über "den Begriff der Wissenschaft", 24 Seiten 1841 bei Krabbe Stgt. und seine Gedichte.

6.1.1875

Meine liebe Marie!

Keller hat mir gestern das reizende Merlinsmärchen "®Zauber um ®Zauber" gegeben. (von R.K.) Es war mir ja nicht unbekannt, und auch Isolde erinnert sich desselben wieder ganz gut, obgleich wir beide nicht mehr wissen, wann wir es gelesen, noch in welcher Handschrift. Aber gepackt hat es mich wieder wie vor Jahren und mir zum Bewußtsein gebracht, daß ein ächter Dichter klanglos zum Orkus hinabgestiegen ist. Keller äußerte schon gegen mich den Wunsch dieses Märchen gedruckt zu sehen. Nun scheint es mir eine Pflicht gegen die Todten zu sein, diese zurückgebliebenen Geisteskinder der Vergessenheit zu entziehen. Es handelt sich jetzt nur darum ®ein Blatt dafür zu finden. Ich schrieb deßhalb meinem Freund ®Vollmer darüber, der auch mit Keller sehr befreundet ist und bitte Dich ihm, der Dir diesen Brief bringen wird, das Märchen zu geben, da ich nicht zweifle, daß Du auch noch eine Abschrift oder das Original besitzt. Es sollte eine kürzere ®Biographie dazugegeben werden, umso mehr als bis jetzt ®kein Nekrolog über den Einsamen, fast Verschollenen in den Blättern erschien. Findet sich in Schwabem kein Blatt, was mir natürlich am liebsten wäre, so schicke ich das ganze an ®Heyse und bitte ihn, ihm ein Plätz- chen auszusuchen.(A.) Würdest Du nicht einen Lebensabriß Deines Onkels schreiben? Oder fühlst Du Dich ihm zu nahestehend? In diesem Falle schicke mir die Notizen, dann will ich Keller darum bitten oder es selbst thun. Wie den olympischen Göttern der Opferduft der Sterblichen angenehm war, so meine ich gebühre den Manen (A.) unserer theuren Dahingeschiedenen ein Todtenopfer.- Wie einsam muß sich dieser Mann, dessen Geist in den Feuergärten der Romantik sich ergangen, in dieser kalten öden Wirklichkeit gefühlt haben. Oft meine ich, er müsse noch unglücklicher und weltabgekehrter als Hermann gewesen sein.

Edgar seufzt nach Dir und Isolde hat jetzt nach Lindau geschrie- ben, wenn Martha nicht gleich komme könne sie nimmer kommen, da wir jemand anderes erwarten.

®Dr.Vollmer wird Dir bei näherem Umgang immer besser behagen. Er ist ganz dazu geschaffen einen Menschen wie Deinen Onkel zu ver- stehen. Seine immensen literarischen Kenntnisse werden Dir Genuß gewähren. Du kannst Dich auch in allen andern Dingen bei ihm aussprechen. Und daß er, obgleich religiös ganz frei, doch eher ®Mystiker und Romantiker ist, wird Dir nicht unangenehm sein. Lebe wohl und glaube an meine treue Liebe und Theilnahme,
Deine Marie
A.1: Heyse notiert in einem Brief von Pfingsten 71 an Kurz: " An K. Rudolfs Büchlein habe ich mich sehr gelabt. Welche Klarheit, Eigenheit, Sinnigkeit; eine Seele voll inbrünstiger Natur- und Lebensahnung; um es mit einem Wort zu sagen: ein wirklicher Poet, leider nur auch einer von denen, die Poeten zu Lesern haben müssen...."

A. 2.: bezieht sich auf ein Gedicht Schillers "Nänie": "Auch ein Klagelied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich / denn das Gemeine geht/ klanglos den Orkus hinab."

22. März (1875)

Liebe Marie!

Dein Brief hat mich in die freudigste Aufregung versetzt. Das wäre eine wirkliche Lebensfreude Dich bei mir zu haben, in gemeinschaftlichem Todtenkult das Freundespaar zu betrauern. Was teure Freundschaft und wahre Liebe bieten können, das wollen wir beide.

"Im Nebenhaus ist Logis von zwei Zimmern mit einem Verschlag, also drei Zimmer und eine dunkle Küche vakant veworden. Der Preis ist bloß 90 Gulden jährlich. Du kannst davon ein Zimmer an einen Studenten vermiethen und 28 Gulden dadurch lösen, oder, je nach- dem Deine Verhältnisse sind, die ganze Wohnung behalten. Essen kannst Du bei mir. Damit Du dadurch nicht geniert bist, berechne ich Dir täglich 1/2 Pfund Fleisch, das andere geht drein, so wie es zwei Geschwister machen würden. Oder aber, Du läßt es Dir aus dem Gasthaus kommen, oder Du kochst Dir in meinem Kochapperat mit Petroleum (ganz neue Erfindung) selbst. Entschließen mußt Du Dich aber bald, da diese billige Wohnung bald vermiethet sein wird. Ich bin so aufgeregt, daß ich nicht weiter schreiben kann.

Tausen Grüße
Deine Marie

22. 3. 1874

Eine Portion Essen kostet über die Straße entweder 18 oder 24 Kr. Soeben sagen mir meine Hausleute, daß ich noch eine viel billigere Wohnung finden kann, ein Zimmer mit Alkoven für 50 Gulden, da Dir der übrige Raum unnöthig ist. Ich sehe mich jetzt um und schreibe Dir wieder. Du weißt die Preise und kannst Dich entschließen. Jedenfalls lebst Du auf dem Land nicht billiger.

23. 3. 1874

Umschlag: Frl. Marie Caspart Stuttgart d.G.
Soeben habe ich eine zweite Wohnung für Dich eingesehen, uns gegenüber. Sie besteht aus zwei Zimmern, eines heizbar auf den Markt, großer Öhrn, gr. Kammer und eine helle Küche, 3 Treppen hoch, Preis 60 Gulden. Die Leute wollen Dir alles neu tapezieren und malen lassen. Diese Wohnung sei der erstgenannten vorzuziehen, sagen mir meine Hausleute, weil der Hausherr der ersten Wohnung etwas zu pünktlicher Natur sei, und Du viel zu putzen lassen hättest bei drei Zimmern, wovon eines ein wahrer Saal sei. Diese große Wohnung wäre Parterre.

In der unteren Stadt gibst noch billigere Wohnungen, aber da ist die Umgebung zu häßlich. Die Gartenwohnungen sind alle von Studenten besetzt. Ich warte jedenfalls auf einen Brief als Antwort auf meinen heutigen, auch wenn Du Dich in Eile schon für die erste Wohnung entschieden hättest.

Morgen kommt Hedwig mit ihrem Buben auf einige Tage zu mir.

Mit herzlichem Gruß
Deine Marie
In Eile.

Wie steht es mit ®Auerbachs Plan? Die Zeiten sind nicht günstig für solche Pläne, da der Buchhandel überall stockt,- Folgen des herrlichen Krieges und der Milliarden. Hermanns Werke haben gar keinen Absatz und die 6 000 fl, die uns verheißen waren - sind von vom national- liberalen Winde verweht.

Wirf diesen Brief in einen Schalter.

o.D. Samstag

Meine liebe Marie! Dein Brief hat alle meine schönen Hoffnungen wieder zerstört, denen ich mich ein paar Tage hingegeben. Ich habe mich inzwischen noch weiter erkundigt. Du kannst auch eine Wohnung zu 40 fl pro Jahr erhalten und soviel steht fest, daß Du ®nirgens auf dem Lande, wenn Du nicht gerade in einem vergessenen Walddorf des Schwarzwaldes sitzen willst, billiger leben kannst als hier. Hätte denn Dein Bruder nicht Lust hierher zu ziehen, es müßte ihm doch auch angenehmer sein in einer geistig belebten Stadt, als irgendwo auf dem Lande zu leben. Und für Dich wäre ein geistig anregender Umgang, wie Du ihn doch sicher hier bekommen kannst, eine wahre Wiederbelebung. Jedenfalls kommst Du, sobald es einmal wirklich Frühling ist, hierher. Klüpfels haben die Einladung neulich bei mir wieder angebracht, Du kannst also dann von mir zu ihnen oder von ihnen zu mir, wie es Dir thunlichst scheint. Von dem Plane, daß wir unser künftiges Leben und unseren Schmerz vereinigt durchmachen, kann ich mich nicht losmachen.

Ich will es Keller beibringen, daß er einen Nekrolog schreibt, trocken wird er allerdings ausfallen, warum willst Du nicht selbst einiges dazu schreiben, das er dem beifügen könnte? Wie gut könnten wir ein Lebensbild der beiden Freunde nach den vorhandenen Briefen aufstellen, wenn wir ®beisammen wären. Wenn Du jetzt einige Zeit in Stuttgart bleibst, lasse es doch Dr. ®Vollmer wissen, und bestimme ihm die Stunde. Ich schrieb ihm, daß sobald Du da seist, er es durch Dich erfahren solle. Robert wird das Zettelchen mit sich nehmen. Ich habe heute noch nicht Zeit mehr zu schreiben. Mit herzlicher Liebe umarmt Dich
Deine Marie
Tübingen, Samstag ®In Eile

31. Mai 1875

(An M.C. Stgt., Hauptstäderstraße 60 bei Fräulein Kausler)

Meine liebe Marie!

Von Tag zu Tag hab ich im Beginn des Frühlings auf Deinen ange- kündigten Besuch gewartet, und endlich von Stockmaier erfahren, daß Du längst außer dem Bereich von Tübingen seist. Dein letzter Brief hat mich herzlich gefreut; es that mir bis ins Innerste wohl Dich aufathmend und gewisse Freuden genießen zu sehen. Dieses Gefühl hast Du vor mir vorraus. Die Ängste und Sorgen die man bei fünf Kindern in einer so einsamen und verlassenen Lage empfindet, lassen keine Ruhe und friedliche Beschaulichkeit mehr zu. Isolde ist schon schon den ganzen Frühling sehr leidend. Sie hat die Bleichsucht und das alte Nervenübel, ein Erbteil ihres Vaters, das sich schon einmal bei ihr gezeigt spukt wieder. Sie ist übermäßig fleißig und vergraben in ihre Studien, aber es ist gerade die Überanstrengung der Nerven, die sie so herunterbringt, und doch ist ein solches restloses geistiges Schaffen ihre einzige Wohlthat in der Einsamkeit in der sie lebt. Erwin ist seit drei Wochen in der Schweiz in seinen Bürgerrechtsangelegenheiten. Der drohende Krieg hat mir inzwischen nicht wenig zu schaffen gemacht, das Übel ist fast wieder etwas in die Ferne gerückt, verschwunden ist aber dieses Schreckgespenst nicht.

Seit acht Tage ist Hedwig bei uns. Sie wird noch etwa 14 Tage blei- ben. Wenn sie fort ist mußt Du aber endlich kommen und Deinen Besuch nicht wieder ins Ungewisse hinausrücken. Wenn das Wetter schön bleibt so beabsichtigt Hedwig Isolde und mich an den ®Mummelsee zu führen, damit wir uns noch einmal recht in die Heimatjahre hineinleben können. Leider kommen wir nicht viel, wie ich gehofft an Hermanns Werke. Ich dachte immer und freute mich so sehr darauf, recht viel mit Hedwig von ihm zu lesen, es gibt aber immer Abhal- tungen und so geh ich immer mit verhaltener Sehnsucht nach einem ruhigen Stündchen, indem ich seinen Geist in unserer Mitte citieren kann herum. Dennoch thut mir Hedwigs Aufenthalt sehr wohl. Ich kann doch mein Leid in ein anderes Herz ausschütten, auch bildet sie gewissermaßen das Band zu einem engeren Zusammenhalten. Ich komme mir wieder einsam vor. Sie ist so gut und warm, und so jugendlich, das verscheucht oft ein wenig meinen traurigen trüben Sinn.

In vielen Dingen gehen wir aber weit, weit auseinander. In mir ist der Trieb, oder Instinkt wenn Du willst, in diesen fürchterlichen Dissonanzen und Schmerzen des Erdenlebens - eine ®unendliche verborgene Harmonie zu ahnen, zu hoffen mit dem Versinken aller Freuden, mächtiger geworden als früher, obgleich ich auch früher schon hie und da die Skepsis an die unfehlbaren Ergebnisse des Materialismus, gelegt.- Hedwig ist so vollständig von seinen Wahrheiten überzeugt, sie sieht es für unumstößlich gewiß an, daß alles ins Nichts zerrinnt, daß sie schon den ge- ringsten Einwand, der lange noch kein Glauben ist, für ein Wahrheitsverbrechen an der h... Menschenvernunft betrachtet. Kann ich dafür, daß meine von vielen und unversiegenden Schmerzen gequälte Seele krampfhaft zusammenzuckt, wenn man ihr beweisen will, daß sie nicht existiert, daß diese unendliche Sehnsucht nach einem fernen Urquell unsere Gedanken mit einem Wort nach einem anderen unendlichen Sein, das die Menschen Gott nannten nur eine krankhafte Ausgeburt der Phantasie, nur ein Gewohnheitsbegriff ist. Oder ist es die Abnahme des Gehirns, die den alternden Göthe zu diesem Gedanken hinführten? Ich sage Dir, ich werde oft wie toll über diesen Gedanken. Hie und da durchzuckt michs wie Gedanken- blitze: ja er ist - und du selbst bist sein unsterblicher Aus- fluß - und Hermann ist nicht bloß ein in tausend Atome sich auflösender cosmischer Bildungsstoff- dann ists wieder Nacht, und ich höre das Seziermesser des Arztes im menschlichen Leichnahm wühlen, vergebens nach einem Geist oder einer Seele suchen. Wie sehne ich mich oft hundertmal des Tages mit Dir, alle Einwände und alle Mög- lichkeiten zu besprechen.- Nicht ®meine Vernichtung fürchte ich, aber die Liebe kann nicht aufgeben, ich kann Hermann und die Kinder nicht für vergänglich halten, und der Zweifel wieder obs vernünftig ist was ich sehne und fühle, macht mich oft fast wahnsinnig. Schreibe mir ob es leichter in Dir ist als in mir und komme ganz gewiß, denke meiner, meine theure liebe Marie, und wie ich mich sehne mit Dir von unseren theuren Todten zu sprechen. Ich küsse Dich in Gedanken und bin mit treuer Liebe
Deine Marie

Mittwoch 2.Juni

. Mein Brief blieb liegen weil ich krank wurde und einen Tag im Bett liegen mußte.

17. Juni 1875

Dienstag
Liebe Marie!

Hättest Du nicht Lust jetzt zu uns zu kommen. Hedwig ist seit ein paar Tagen wieder fort, hat aber im Sinn in zwei Wochen wieder zu kommen. Ich soll Dir im Auftrag von Frau Klüpfel sagen, daß sie Dich ebenfalls erwarte und sie meinte, Du sollest zuerst zu mir und wenn ich dann andere Besuche bekomme, zu ihr gehen. Platz findest Du übrig genug bei ihr zu jeder Zeit, Du bist ihr also stets willkommen. Mir wärs aber recht Du kämest jetzt, da es sonst immer länger hinausgeschoben und später unausführbar wird. Gelt, schreib mir, ob ich Dich erwarten darf und ®komme bald. Wir waren mit Hedig am Mummelsee. Du kannst Dir denken mit welchen Gefühlen. Da ich fest hoffe Dich bald zu sehen, spare ich jede andere Mit- theilung für unser Zusammensein auf. Mit treuer Liebe, Deine Marie Sei so gut und wirf den Brief in den Schalter

24. August 1875

Bartholomäustag
Meine liebe Marie

Obgleich ich heut kaum ein paar Augenblicke für Dich finden kann, darf mir der Bartholomäustag doch nicht vorübergehen, ohne daß ich ihn dadurch feiere, daß ich Dir davon erzähle. ®Vierundzwanzig Jahre sind es heuer, daß Hermann der meinige wurde, nicht offiziell, aber vor dem heiligen Auge der Nacht, das nie so zaubervoll berauschend auf uns niedersah, als dazumals in Obereßlingen in meinem Garten. Nie werde ich diese Nacht vergessen! Schwül dufteten die Blumen, verspätete Leuchtkäferchen flogen umher, und während wir in einem Gartenhäuschen beieinander Mund an Mund und Herz an Herzen uns umschlungen hielten, drang von draußen, dicht am Garten, das Lied: "Ännchen von Tharau", des heimkehrenden Liederkranzes von Obereß- lingen in unsere Ohren. Die Morgensonne traf uns noch wach unter Blumen. Ich habe ihn ja im Laufe der Jahre noch viel tausendmal lieber gewonnen als selbst im Rausche dieser bräutlichen Wonne, aber dieser Tag ist mir doch immer so lebendig geblieben, wie wenn ich ihn immer wieder durchlebt hätte, und er strahlt wie ein Stern jetzt in meine grausame Einöde herein. Ich war heut lang auf dem Kirchhof bei ihm, hab ihm Hochzeitskränze gebracht und bin mit einem schweren und vollen Herzen zurückgekehrt um mit Dir zu reden. Du hörst mich an, denkst liebevoll seiner, und erinnerst Dich, daß er der intimste Freund Deines geliebten Onkels war. Oh liebe Marie, Dir brauch ichs nicht zu sagen, wie elend ich bin und wie die Sehnsucht mich umtreibt! Die Welt und die Menschen werden mir mit jeder Lage fremder und das Ärgste von allem ist mir im Hinblick auf das Schicksal meiner Kinder, daß sie nicht wie ich, den vollen Schmerzensbecher leeren müssen. Glaube mir, trotz Deiner gänzlichen Vereinsamung, Du bist doch noch besser dran als ich. Du leidest nur für Dich allein, und Deine Kraft ist unerschöpflich wie der Reichthum Deiner geistigen Natur. Ich fühle die geistige Abnahme seit zwei Jahren ganz bedeutend, es ist mir gerade als ob da drinnen im Hirn etwas zersprungen wäre. Dabei verfolgt mich eine Angst vor einem nochmaligen Unglück, die mir jede friedliche Stunde raubt. seist, denn ich konnte nicht annehmen, daß die Karte und der Brief verloren gegangen seien. Frau ®Klüpfel fragt oft nach Dir. Sie hat immer noch Dein Verzeichniß. Ich wollte ihr es jetzt abfordern. Nun ist der Sommer herum, und Du warst nicht bei uns. Bist Du erst einmal in Lindau, dann sehen wir uns nie mehr. Und dennoch muß ich sagen daß, wenn Deine Stellung unabhängig ist und die Besitzer ordentliche Leute sind, so leuchtet mir die Sache doch ein. ®Isolde kennt den ®Linderhof und sagt, es sei ein wahres Paradies. Aber Du sagtest mir ja früher immer, Du müßtest mit Deinem Bruder gehen und ihm Haus halten. Hat sich denn das zerschlagen? Jedenfalls hoffe ich Dich noch hier zu sehen. Nur muß ich Dir leider sagen, daß mir neue Einquartierung bevorsteht. Der Staat ist so liebenswürdig mir zu den 150 fl jährlicher Pension eine fünftägige Einquartierung ®zweier Soldaten zuzumuthen, ich hoffe aber einen abzuschütteln, da ich Beschwerde eingelegt, aber einen werde ich wohl nehmen müssen.

®Edgar war kürzlich in Miesbach bei ®Heyse und am Achensee bei Maja, ferner in Innsbruck, Triteno, auf dem Gardasee, in Verona und zurück über Meran. Er kam ganz gebräunt von der ital. Sonne zurück. So sehr mich die Reise für ihn freute, so wars doch ein großer Unsinn bei seinen Finanzen, die nun noch übler stehen bis diese Reiseausgaben verschmerzt sind. Unsere Lage wird ohnedies immer sorgenvoller. Und nun habe ich auch noch die drohende Gefahr wegen ®Heyse. Dieser ist schon seit 6 Monaten sehr leidend, und er befindet sich im Augenblick schlechter als früher. Es ist ein schweres Nervenleiden, das natürlich auch mit einer apathischen Schwermuth verbunden ist. Er schrieb mir mit Noth und Mühe ein paar Worte, daß er fürchte auf immer gebrochen zu sein, und daß er leider auch, nicht mehr wie bisher für uns sorgen könnne, da er unfähig sei den ®Novellenschatz auch nur in der Weise wie bisher fortzuführen. (Es erschien alle Jahr ein Band zuletzt). Du kannst Dir denken wie diese Aussichten auf mir lasten, und wie schwer ich an des Freundes Leiden trage. Balde ist viel unwohl, doch ist das Gliederweh wieder behoben. Er ist aber dieses Jahr viel kränklicher als das letzte. Eine einzige Freude hab ich zu erzählen und das ist ein liebenswürdiger Brief voll Wärme und Begeisterung von ®Hemsen. Mit welcher Verehrung spricht er von Hermann, Deinem Onkel und Mörike, der Brief wird dich auch freuen. Bis Mitte September will er mich besuchen. (natürlich nur auf einen Tag)

Doch für heute genug, ich muß schließen. Balde steht hinter mir und läßt mir keine Minute Ruhe. Laß bald von Dir hören und bis wann Du endlich kommst. Mit treuer Liebe
Deine Marie
(Anm.: Linderhof, nicht Lindenhof, altes Herrenhaus in Schachen mit großem Park, heute Friedensmuseum)

24. 9. 1875

(aus Stuttgart, betr. Denkmal)
Liebe Marie!

Es war mir unmöglich Deinen Brief umgehend zu beantworten, weil Balde einen heftigen Krankheitsanfall hatte, und ich noch obendrein Besuch von ®Prof. Kopp erhielt, der in der Angelegenheit des Denk- mals, das nun fertig ist, hier war. Wenn Du nur ®einmal zu mir kommen kannst, so ziehe ich natürlich den längeren Aufenthalt im August dem kurzen in nächster Nähe vor. Erlaubt aber Dein Beutel und Deine Zeit einen doppelten Besuch, so möchte ich Dich bitten, ®sobald als möglich zu kommen und aber ganz gewiß im August wie- der. Dein Bücherverzeichniß werde ich so bald ich kann Keller und Klüpfel bringen. Heute hat die junge Maja an Isolde geschrieben und sie und Edgar aufgefordert an den Achensee zu kommen, sobald sie dort sind, was Edgar jedenfalls thun wird, wenn er nicht wie ge- wöhnlich an chronischem Geldmangel leidet.

Ich hätte Dir viel zu erzählen, aber in Folge meiner Menge Geschäfte, die mir das ®Denkmal bringen, keine Zeit habe, und ich noch immer hoffe, Dich bald bei mir zu sehen, gedulde ich mich auf unser persönliches Zusammentreffen. Hab ich Dir gesagt, daß mir Heyse eine sehr gute Büste von Hermann geschickt hat? Ich küsse und grüße Dich herzlich und bin mit treuer Liebe

Donnerstag, 24.
Deine Marie
Soeben waren Klüpfels da. Ich gab ihm das Verzeichniß mit, am liebsten aber hätte ich Deines Onkels Novellen.

13. 10. 1875

(an Marie Caspart, Lindau)
Meine liebe Marie!

Ich komme jetzt erst dazu Dir für Deine Sendung zu danken, weil ich durch ®Frau Heinrichs Ankunft, die mehrere Tage krank bei mir lag und jetzt erst ins akademische Krankenhaus gebracht worden ist, verhindert war. Hoffentlich trifft Dich dieser Brief in Lindau und Du hast Dein Halsübel und die übrigen Leiden in Stgt. zurückgelassen? Meine Isolde hat schon die ganze ®Bettina (Anm.) durchgeschwelgt und sie in derselben Ekstase gelesen wie ich vor Jahren in Kirchheim. Sie wird jetzt in Edgars Hände wandern; auch ich bin mit der "Clara" fertig und nicht weniger als erbaut davon. Das ist mir eine sonderbare Naturphilosophie, die an Schutzheilige und Hellseherinnen glaubt, ja zu dem unsinnigen ®Swedenborg (Anm.) mit herein- zieht. Ich bin ganz Göthes Ansicht, daß der Poet abergläubisch sein dürfe so lange nämlich als der Poet spricht, der Philosoph aber, solange er Philosophie treibt, soll vernünftig sein. Was würde der große Vater der Naturphilosohpie ®Spinoza sagen, wenn er diese Unklarheit zu Gesicht bekäme? Gar sehr enttäuscht habe ich mich über diesen verworrenen ®Schelling und bei ®Heine Rath geholt, und da finde ich zu meiner Aufklärung folgenden Passus in der romantischen Schule page 159: "Mißgunst und Neid hat Engel zu Fall gebracht, und es ist leider nur zu gewiß, daß Unmuth wegen Hegels immer steigendem Ansehen den armen ®Schelling dahin führt, wo wir ihn jetzt sehen, nämlich in den Schlingen der katholischen Propaganda. Herr Schelling verrieth die Philos. an den Katholizismus." Nun wurde mir mit einmal alles klar, dieses Schriftchen stammt wohl aus jener letzten Periode. Da hat der gute ehrliche ®Zschocke (A) in ganz schlichter Weise viel überzeugendere Argumente vorgebracht in seiner kleinen phil. Novelle: "Alamondate" Kennst Du sie? Das zu viel treibt mich gleich wieder dem vollsten Unglauben in die Hände. -®Josephine sagt Dir ihren großen Dank für die guten Strümpfe. Ich habe sie mit bewegtem Herzen in den Händen gehabt und gedacht: Wann hat Onkel Rudolf sie das letzte mal angehabt? Die arme ®Fina war die ganze Zeit mit einem geschwollenen Knie leidend. Sie lag mehrere Tage zu Bett und muß sich auch jetzt noch sehr schonen. Ich hatte vollauf zu thun, um alle Magdtdienste zu vollziehen. Frau ®Heinrich leidet an einem Blasenübel das sehr langwierig sein kann. (Krankenhaus) Sie will den Winter über hier bleiben, und ich soll sie verpflegen helfen, und ich habe doch so wenig Zeit. Schreib aber nichts davon nach Stuttgart, sie will icognito hier sein. - Wo soll ich die Bücher hinschicken, wenn sie vollends ausgelesen sind, nach Stuttgart oder Lindau? - Bei ®Heyse geht es ein bißchen besser. Es ist noch nicht sicher, ob er kommt. Er hat mir vor ein paar Tagen seinen neuesten Roman: "Im Paradies" geschickt. Wenn Du ihn lesen willst steht er Dir später auch zur Verfügung. Es ist nichts Welterschütterndes darin, alles modern, aber zur rühmlichen Aufgabe hat er es sich gemacht der sogenannten guten Gesellschaft die Heuchlerlarve vom Antlitz zu reißen und gegen falsche Moral und Engherzigkeit und Philisterei zu Felde zu ziehen. Seine Heldin braucht auch den Pfaffensegen nicht, noch die obrigkeitliche Bewilligung sich dem verheiratheten Manne zu eigen zu geben. Jetzt werden sie Zeter über ihn schreien und doch war Hermann noch viel freier.

Laß jetzt auch oft und viel von Dir hören, Du hast mehr Zeit zum schreiben als ich. Laß uns nun zusammenhalten für dieses Restchen Leben, denn wir gehören zusammen.

Am 10ten habe ich alle Briefe Hermanns wieder durchgelesen, die er einmal an mich geschrieben hat und immer mit dem Wunsche, Du möch- test neben mir sitzen und sie auch lesen. Wie kommt es, daß mein altes Herz so mächtig in der Liebe lebt, als wäre sie eben jetzt in der Frühlingsglut aufgegangen? Es ist mir wie eine traurige, aber schöne Melodie, die in mir immer klingt. Ich möchte mir oft die Ohren zuhalten, damit die Außenwelt mit ihren Disharmonien einem nicht die innere Harmonie stört.

Kennst Du das ®Gedicht von Hermann, das er in seiner Oper Maja an ihren Geliebten singen läßt?
"Ja Lieb ist stärker als die Welt: Das Eine steigt, das andre fällt
Doch Liebe wird nicht wanken.
Die Lieb ist alt und endet nicht,
Ihr Feuer stammt vom Himmelslicht,
Und kennet keine Schranken.
Ja Liebe kann auf Bergeshöhn,
Kann unter Meereswellen gehn
Und wird von nichts bezwungen:
Und weiß sich Herz vom Herzen los,
So ®steigt sie in des Grabes Schoß
Und hält ihr Gut umschlungen.
Die Liebe weht nicht hier allein,
Und was uns scheint geraubt zu sein,
Ihr kann es nicht entschwinden!
Sie fliegt durch alle Himmel hin,
Und ist ein seliger Gewinn,
Ein ewiges Wiederfinden!"

Doch jetzt lebe wohl, gib Nachricht und denke meiner, so wie ich Deiner in ewiger Liebe gedenke
Deine Marie
Die Kinder grüßen Dich herzlichst.

Anm.: ®Bettina von Arnim, 1785-1859 schrieb schwärmerische und phantastische Briefromane u.a."Goethes Briefwechsel mit einem Kind."

Anm.:Emanuel von ®Swedenborg, 1688-1772, schwed. Naturforscher und Theosoph, die Swedenborgianer, eine Sekte nach ihm benannt.
Anm. Heinrich ®Zschokke, 1771-1848, schweiz. Schriftst. u.a. Ausgewählte Novellen und Dichtungen, Aarau 1839 Er schreibt z. Bsp. in seiner "Welt- und Gottanschauung": ... "Es gibt nicht zwanzig, dreißig Christenthümer, sondern nur ein einziges Christenthum und dieses ist die wahre Weltreligion... ®Ein Gott ist nur, sein Name: Liebe, Weisheit und Erbarmen...."

Karte 15.11.1875

(an Frl. Marie Caspert auf dem Linderhof in Lindau i. B., Baiern)
[Nicht gedruckt, aber auf Festplatte] Liebe Marie!

Warum bist Du denn so ganz verstummt. Hast Du meinen Brief, den ich Dir vor mehreren Wochen nach Lindau geschrieben, nicht bekommen? Ich frug Dich wohin ich Deine Bücher senden sollte. Bist Du denn krank? Dein langes Schweigen ängstigt mich sehr! Prof. K. möchte unter den ihm zur Auswahl überlassenen Büchern, den Aristothanes. Balde ist viel unwohl und ich lebe in ständiger Sorge um ihn. Seit 8 Wochen ist Frau Heinrich (Hedwigs Mutter) hier im Krankenhaus schwer krank, die ich auch alle Tage besuchen muß. Wieviel wirst Du in Deiner Einsamkeit an Deinen Onkel denken, der nun auch schon ein Jahr unter dem Boden liegt! - Haben die fürchterlichen Stürme in Lindau keine Verheerung durch die Fluthen angerichtet?

Schreib, ich weiß ja gar nicht, ob Du wirklich in L. bist und was aus Dir geworden.

Tübingen
Deine Marie

26.11.1875

Meine liebe Marie! BB Was machst Du denn nur, daß Du immer krank bist? Das war eine böse Mitgabe in den neuen Beruf! Hoffentlich ist jetzt alles überwunden und Du fängst an Dich heimisch in der neuen Heimath zu fühlen. Hast Du denn auch Bücher und vor allem Zeit zum Lesen? Du hast mir fast nichts über Dein dortiges Leben geschrieben, ich hoffe nicht, daß dies am Ende eine schlimme Bedeutung hat und Du Dich unbehaglich fühlst. Daß Du stumpf geworden bist glaub ich Dir nicht einmal, obgleich es bei dem fortgesetzten Jammer wahrlich kein Wunder wäre. Wenn Du nur wenigstens einen Menschen in Lindau findest, mit dem Du harmonieren kannst, denn der ... Mensch hat Stunden, in denen er fühlt, daß es eine grimmige Pein ist, allein zu sein.- Ich würde Dir gerne mehr schreiben, wenn ich nur könnte. Meine Frau Heinrich ist noch immer in Krankenhaus, es geht jetzt etwas besser, aber wenn ich nur einmal ®einen Tag nicht zu ihr komme, so wird sie so ungeduldig und schickt Bote über Bote, daß ich eben in Gottes Namen wieder hinaus gehe trotz einem dreiwöchentlichen Zahnweh. Ich bin geplagt mit ihr und erzürne mich über mich selbst, daß ich zu schwach bin mich gegen sie zu wehren. Sie war ihr ganzes leben lang eine ungeheure Egoistin, und bekundigt sich jetzt auch als solche.

Mit unserer Lage wirds immer schlimmer. Es ist oft ganz jammervoll, daß ich Isoldes Verdienst angreifen muß und der arme Schelm arbeitet von morgens bis tief in die Nacht. Sie hat durch Hemsens Vermittlung von dem jüngst in Stuttgart ansässig gewordenen Buchhändler ®Auerbach, ein Sohn des Schriftstellers ein metaphysisches Werk von Ralph Emmerson zum Übersetzen zugeschickt bekommen. Der Spitzbube von einem Verleger hat sich dabei als ächter Jude entpuppt. Er zahlt ihr für das schwerste was sie je übersetzte fünf- zehn Mark für den Bogen, während sie von der "Rundschau" für 1 1/2 Bogen starke russische Übersetzung 300 Mark bekam. Das ist nun freilich ganz enorm, aber auch den Novellenschatz bezahlen sie mit 20 fl pro Bogen. Da man aber hoffen kann, daß diese Übersetzung eines wissenschaftlicheren Werkes die Brücke zu andern Ufern hintragen wird, mußte sie doch zugreifen. Sie dauert mich im tiefsten Herzen. Für ein Mädchen ist solch ein Arbeiten ums elende Geld noch viel drückender als für einen Mann und der arme Schelm war nie glücklich, mit allen Gaben der Natur- doch nicht zum Glück bestimmt!

- Marie ®Flattich hat mir nach ihrer Rückkkehr aus Rom einen recht lieben Brief geschrieben. Sie schickte Isolde eine Reliqui von Tassos Grab. Daß Ihre ®Helene nach Stuttgart ist, hat sie mir auch geschrieben, aber von der Verlobung mit ®Robert Vischer nichts gestanden, obgleich die Brautschaft in Stgt. bekannt ist und Frau ®Tafel Glückwünsche sandte. Helene Tafel war 14 Tage in Reutlingen, hat mich aber nie besucht. Keller erzählte mir, daß ®Auerbach ihm wieder geschrieben. Er habe den Gedanken mit Deines Onkels Werken durch uns nicht aufgegeben. ®Kröner schrieb mir, daß der Verkauf von Hermanns Werken so schlecht gehe, daß noch nicht die Hälfte der Kosten herausgeschlagen seien. ®Hemsen ist ungemein freundschaftlich gegen uns und thut alles um Isolde behilflich zu sein. ®Heyse ist aber noch immer leidend und fast jeder Verkehr zwischen ihm und uns abgebrochen. Schreibt er einmal einen zwei Seiten langen Brief, so geht gleich die Meldung bei, wie sehr ihn dieses Schreiben wieder angegriffen, wie schwach er sei, so daß ich schon aus Zartgefühl so wenig wie möglich mehr an ihn schreiben kann.

Wenn ich Dir auch nur wenig schreiben kann, mein liebstes Herz, so beschäftige ich mich doch immer viel mit Dir, und nie ohne den sehn- süchtigen Wunsch wir könnten unser Schicksal gemeinschaftlich tragen und miteinenander leben. Am 30.ist Hermanns Geburtstag, am Andreastag. Denk an diesem Tag auch an mich. Ich habe heute den ganzen Tag Gir- landen geflochten, mit denen ich sein Monument bekränzen will. Gelt das ist kindisch, aber dieser Kultus ist mir ein Bedürfniß in meiner trostlosen Vereinsamung. Lebe wohl und denke zuweilen an uns. Die Kinder lassen Dich herzlich grüßen,

Ich küsse Dich in alter Liebe
Deine Marie

o. D. (Anfang Dezember 1875 ?)

ohne Anrede

Dein Brief, mein armes Waldfegerlein, dem die Schwingen so gelähmt sind, hat mir viel Schmerz um Dich verursacht. Du warst diesen Sommer viel frischer und muthiger und nun muß dieses körperliche Leiden kommen und dazu die Einsamkeit! Wie feindlich drängt sich doch der Raum zwischen die Freundschaft! Hätte ich Dich bei mir was Liebe geben kann, sollte Dein Herz empfangen.

Auch ich bin seit Wochen übel dran. Sobald ich ins Bett steige, das sonst nur für mich ein wahres Lethebad voll süßer Träume war, bekomme ich das qualvollste Zahnweh, und deßhalb bin ich auch bei Tage in Folge der fehlenden Nachtruhe sehr matt.

Klüpfels fragen immer sehr theilnehmend nach Dir. Hier folgt der erste Band, den 2ten wirst Du durch Marie Knapp zugeschickt erhalten. ®Isolde hat nun mit ®Auerbach abgeschlossen, er gibt nur zwanzig Mark für den Bogen, eine sehr schlechte Bezahlung. Da er aber jetzt ordentlich ®selbst zugesetzt, daß es sehr schlech be- zahlt sei, er aber nicht besser zahlen ®könne, sind wir sehr zufrieden. In Beziehung auf Isolde hast Du wohl recht von ®Deinem Standpunkt aus, aber ein 21jähriges Herz, das nie noch ein Glück empfinden durfte, fühlt eben anders. Und mir wirds entsetzlich schwer, meines Kindes Verdienst fürs Allgemeine verwenden zu müssen. Ja, arm sein ist nicht so leicht.

Ich habe Dir früher einmal gesagt, daß ich Aussicht hätte, daß Prof. ®Brienz meinen ®Erwin nach München zu sich nehme. Nun stirbt sein Bruder und hinterläßt ihm zum versorgen sechs Kinder. Natürlich ist jetzt nicht mehr daran zu denken, daß sie auch noch einen fremden jungen Menschen zu sich nehmen könnten. Was soll nur aus dem vielversprechenden Talent werden? ®Heyse hat so viel mit sich und seiner Frau zu thun, daß er nicht Zeit hat an Erwin zu denken, ®zu sich nehmen würde er ihn auch keinesfalls. Ich muß nun nach Stuttgart und mit Becher und Pfau reden, denn hier kann Erwin nicht bleiben. So hören die Sorgen nie auf!

Das "Paradies" gefällt mir lange nicht so gut wie Heyses Novellen, auch lassen mich die Personen alle, "die rothe Zanz" ausgenommen, kalt. Das "Puppenspiel" ist aber hübsch. Es erinnert an Hermanns "Merlin".

Nun, nimm jetzt wieder Deinen Muth zusammen, Du bist ja tausendmal muthiger als ich. Wenn der Frühling kommt, so wirst Du sehen, daß die große Natur Dir an Dein Herz spricht, es ging mir auch so und kaum sechs Monate nach Hermanns Tod, obgleich ich geglaubt hatte, daß die ganze Welt aschgrau sei.

Am 30. November war ®Marie Knapp da und brachte einen Kranz für das Grab.

Ich küsse Dich und grüße Dich auf das Herzlichste.

Mit treuer Liebe
Deine Marie

25. 12. 1875

(nach Lindau)
Liebe Marie!

Ich kann Dir nur ein paar Worte schreiben, denn ich liege im Bett, wie ich denn überhaupt den ganzen Winter fast immer unwohl bin. Prof. ®Keller beauftragt mich, dir zu sagen, daß es nun doch zur Herausgabe Deines Onkels Werken kommen werde. ®Auerbach habe ihm wieder geschrieben und scheine die Sache jetzt ernstlich betreiben zu wollen. Er läßt Dir jetzt sagen, ihm so viele Notizen als möglich über Deinen Onkel zu schicken, damit er sich eine Biographie machen könne. Wenn es mit Deiner Gesundheit wieder besser geht, so ist dies eine belebende Arbeit für Dich. Schreib selbst nieder was Du weißt, denn wer könnte besser als Du, sein Denken und Wesen schildern? Diese That Auerbachs ist in meinen Augen viel an seinem sonstigen literarischen Schwindel. So ist doch noch ein besseres Fädchen an ihm, das ihn zu Idealen treibt. (Anm.)

Die drei Bände des "Paradieses" wirst Du erhalten haben, eines schickte ich fort, die zwei andern Marie Knapp. Die löbliche Tendenz, ausgenommen dem tugendsamen Philister eins zu versetzen, hat mich in diesem Roman wenig erbaut. Nur die rothe Zanz gefällt mir, die Helden sind langweilige Menschen, sie interessieren nicht, trotz aller Verführungen von ihrer Vortrefflichkeit, und der Krieg der als Deus ex machina auftritt, hat mir ohnedies etwas Ekelhaf- tes. Kein einziger dieser Menschen denkt politisch frei, lauter Franzosenhasser und eingefleischtes Preußenthum! Wie ganz anders waren seine früheren Novellen. Auch die Sprache hat einen so norddeutschen Klang. Wenn Du fertig damit bist, so schicke es mir bald wieder, weil ich das Buch auch Mülberger schicken soll. Mit dem jungen Barth. ®Auerbach, der Buchhändler und Verleger in Stgt. ist steht Isolde in Verbindung. Sie übersetzt für ihn den "Ennerson". Ist dir dieser sonderbare amerikanische Metaphysiker bekannt? Isolde wird bei ihrem angestrengten Arbeiten sehr mager. Sie ist auch viel betrübt. Dem armen Mädchen fehlt eben des Lebens Sonnenschein. Glaube mir es ist ein Unglück ®nie geliebt zu haben ein größeres, als unglücklich geliebt zu haben und getäuscht worden zu sein; denn die Seele kommt nicht zu ihrer ganzen Entfaltung. Ach, wärst Du hier! - wenns auch kein schönes Leben mehr für uns gibt, so würden wir uns doch am Schein der Vegangenheit mehr sonnen als so getrennt. Wie Du einsam in Lindau stehst, so einsam leben wir hier, einsam unter den vielen Menschen um uns herum, die uns innerlich so fremd sind.

Hoffentlich trifft Dich dieser Brief wohlauf. Laß bald von Dir hören und sei aufs Herzlichste gegrüßt von
Deiner Marie
(Anm.: Berthold ®Auerbach, 1812-1882, Schriftsteller und Jugendfreund aus Buoch von Hermann Kurz, u.a. Schwarzwälder Dorfgeschichten, 1843-1854, Roman: "Barfüßele", 1856)
Ende von Mappe 2 / Ende von Band I.

Band II